Baumzucht
(1811)
Der Adjunkt tritt mit schwarzen Lippen, ohne daß er's weiß, mit blauen
Zähnen und herabhängenden Schnüren an den Beinkleidern, zu dem
Hausfreund. „Die Kirschen", sagt er, „schmecken mir doch nie besser, als
wenn ich selber frei und keck wie ein Vöglein auf den luftigen Baum kann
sitzen, und essen frisch weg von den Zweigen die schönsten, — auf einem
Ast ich, auf einem andern ein Spatz."
„Wir nähren uns doch alle", sagt er, „an dem nämlichen großen
Hausvaterstisch und aus der nämlichen milden Hand die Biene, die Grundel
im Bach, der Vogel im Busch, das Rößlein und der Herr Vogt, der darauf
reitet."
"Hausfreund", sagt der Adjunkt, „singt mir einmal in Eurer Weise das
Liedlein vom Kirschbaum. Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt."
Der lieb Gott het zum
Frühlig gseit:
„Gang, deck im
Würmli au si Tisch!"
Druf het der Chries-Baum Blätter treit,
viel tausig
Blätter grün und frisch.
Und's Würmli
usem Ey verwachts,
's het gschlof
en in si'm Winterhuus,
es streckt si, und spert 's Müüli uf,
und ribt die
blöden Augen us.
Und druf se hets mit stillem Zahn
am Blättli
g'nagt enander no
und gseit: „Wie
ist das Gemües so gut!
Me chunnt
schier nimme weg dervo."
Und wieder het der lieb Gott gseit:
„Deck jez im Imli au si Tisch."
Druf het der Chriesbaum Blüethe treit,
viel tausig Blüethe wiiß und frisch.
Und
's Immli siehts und fliegt druf los,
früeih in der Sunne Morge-Schin.
Es
denkt: „Das wird mi Caffe sy,
si
hen doch diosper Porzelin.
Wie
sufer sin die Chächeli gschwenkt!"
Es streckt si trochche Züngli dri.
Es trinkt und seit: „Wie schmeckts so süeß,
do
mueß der Zucker wohlfei sy."
Der lieb Gott het zum Summer gseit:
„Gang, deck im Spätzli au si Tisch!"
Druf het der
Chriesbaum Früchte treit.
Viel tausig Chriesi roth und frisch.
Und 's Spätzli seit:
„Isch das der B'richt?
do sizt me zu, und frogt nit lang.
Das git mer Chraft in Mark und Bei',
und stärkt mer d'Stimm zum neue Gsang."
„Hausfreund", sagt
der Adjunkt, „hat Euch auch manchmal der Feldschütz verjagt ab den
Kirschbäumen in Eurer Jugend? Und habt Ihr, wenn's noch so dunkel war,
den Weg doch gefunden auf die Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu
Schöpfen, und Äpfel und Nüsse eingetragen auf den Winter, wie meiner
Frau Schwiegermutter ihr Eichhörnlein, das sie Euch geschenkt hat? Man
denkt doch am längsten dran, was einem in der Jugend begegnet ist."
„Das geht natürlich zu", sagt der Hausfreund, „man hat am längsten Zeit
daran zu denken."
Der
lieb Gott het zum Spötlig gseit:
„Ruum ab! sie hen jez alli g'ha."
Druf het e chüele Bergluft gweiht,
und 's het scho chleini Rife g'ha
Und
d'Blättli werde gel und roth
und fallen eis im
andere no
und
was vom Boden obsi chunnt,
mueß au zum Bode nidsi go
Der
lieb Gott het zum Winter gseit:
„Deck weidli zu, was übrig ist."
Druf het der Winter Flocke gstreut-
„Hausfreund", sagt
der Adjunkt, „Ihr seid ein wenig heiser. Wenn ich die Wahl hätte ein
eigenes Kühlein oder ein eigener
Kirschbaum, oder Nußbaum, lieber ein Baum."
Der Hausfreund sagt: „Adjunkt Ihr seid ein schlauer Gesell. Ihr
denkt, wenn ich einen eigenen Baum hätte, so hätt
ich auch einen eigenen Garten, oder
Acker, wo der Baum darauf steht. Eine eigene Haustür wäre auch
nicht zu verachten, aber mit einem
eigenen Kühlein auf seinen vier Beinen könntet Ihr übel dran
sein."
„Das ist's eben", sagt der Adjunkt, „so ein Baum frißt
keinen
Klee und keinen Haber. Nein er trinkt still wie ein Mutterkind den
nährenden Saft der Erde, und saugt reines warmes Leben aus dem
Sonnenschein, und frisches aus der Luft,
und schüttelt die Haare im Sturm.
Auch könnte mir das Kühlein zeitlich sterben. Aber so ein Baum
wartet auf Kinder und Kindeskinder
mit seinen Blüten, mit seinen Vogelnestern und mit seinem Segen.
Die Bäume wären die glücklichsten Geschöpfe, meint der Adjunkt, wenn sie
wüßten, wie frei und lustig sie wohnen, wie schön sie sind im Frühling
und in ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehenbleibt
und sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer
ausruht in ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Tabak genießt, oder ein Stücklein Käs, und wie sie gleich dem Kaiser Wohltaten austeilen können,
und jung und alt froh machen
umsonst, und im Winter allein nicht heimgehen. Nein sie bleiben
draußen und weisen den Wandersmann zurecht, wenn Fahrwege und Fußpfade
verschneit sind: Rechts - jetzt links
- jetzt noch ein wenig links über
das Berglein."
„Hausfreund", sagt der Adjunkt, „wenn Ihr einmal Vogt werdet,
Stabhalter seid Ihr schon, oder gar Kreisrat, das Alter hättet Ihr, so
müßt Ihr Euere Untergebenen fleißig zur Baumzucht und zur Gottseligkeit
anhalten, und ihnen selber mit einem guten Beispiel voranleuchten. Ihr
könnt Euerer Gemeinde keinen größeren Segen hinterlassen. Denn ein Baum,
wenn er gesetzt oder gezweigt wird, kostet nichts oder wenig, wenn er
aber groß ist, so ist er ein Kapital für die Kinder, und trägt dankbare
Zinsen. Die Gottseligkeit aber hat
die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens."„Wenn ich mir
einmal so viel bei Euch erworben habe", sagt der Adjunkt zum Hausfreund,
„daß ich mir ein eigenes Gütlein
kaufen, und meiner Frau Schwiegermutter ihre Tochter heiraten
kann, und der liebe Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem
meiner Kinder ein eigenes Bäumlein, und das Bäumlein muß heißen wie das
Kind, Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital
und Vermögen, und ich sehe zu, wie
sie miteinander wachsen und gedeihen, und immer schöner werden,
und wie nach wenig Jahren das Büblein selber auf sein Kapital klettert
und die Zinsen einzieht. Wenn mir
aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich
den Herrn Pfarrer oder den Dekan, und begrabe es unter sein Bäumlein,
und wenn alsdann der Frühling wiederkehrt, und alle Bäume stehen wie
Auferstandene von den Toten in ihrer Verklärung da, voll Blüten und
Sommervögel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab, und rufe leise
hinab: ,Stilles Kind, dein Bäumlein blüht. Schlafe du indessen ruhig
fort! Dein Maitag bleibt dir
auch
nicht aus."
Er
ist kein unwäger Mensch der Adjunkt. |