Der Barbierjunge von Segringen
(1809)
Man muss Gott nicht versuchen, aber auch die Menschen nicht.
Denn im vorigen Spätjahr kam in dem Wirtshause zu Segringen ein Fremder
von der Armee an, der einen starken Bart hatte und fast wunderlich aussah,
also, dass ihm nicht recht zu trauen war. Der sagte zum Wirt, eh er
etwas zu essen oder zu trinken fordert: "Habt Ihr keinen Barbier im Ort,
der mich rasieren kann?" Der Wirt sagt ja und holt den Barbier. Zu dem
sagt der Fremde: "Ihr sollt mir den Bart abnehmen, aber ich habe eine kitzliche Haut. Wenn
Ihr mich nicht ins Gesicht schneidet, so bezahl ich Euch 4 Kronentaler.
Wenn Ihr mich aber schneidet, so stech ich Euch tot. Ihr wäret
nicht der erste." Wie der erschrockene Mann das hörte, (denn der fremde
Herr machte ein Gesicht, als wenn es nicht vexiert wäre, und das
spitzige, kalte Eisen lag auf dem Tisch), so springt er fort und holt den
Gesellen. Zu dem sagt der Herr das nämliche. Wie der Gesell das nämliche
hört, springt er ebenfalls fort und schickt den Lehrjungen. Der Lehrjunge
lässt sich blenden von dem Geld und denkt: "Ich wag's. Geratet es und
ich schneide ihn nicht, so kann ich mir für vier Kronentaler einen neuen
Rock auf die Kirchweihe kaufen und einen Schnepper. Geratet's nicht, so
weiß ich was ich tue", und rasiert den Herrn. Der Herr hält ruhig still,
weiß nicht, in welcher entsetzlichen Todesgefahr er ist, und der verwegene
Lehrjunge spaziert ihm auch ganz kaltblütig mit dem Messer im Gesicht
und um die Nase herum, als wenn's nur um einen Sechser oder im Fall eines
Schnittes um ein Stücklein Zunder oder Fließpapier darauf zu tun wäre
und nicht um vier Kronentaler und um ein Leben, und bringt ihm glücklich
den Bart aus dem Gesicht ohne Schnitt und ohne Blut, und dachte doch, als
er fertig war: Gottlob!
Als aber der Herr aufgestanden war und sich im
Spiegel beschaut und abgetrocknet hatte und gibt dem Jungen die vier
Kronentaler, sagt er zu ihm: "Aber, junger Mensch, wer hat dir den Mut
gegeben, mich zu rasieren, so doch dein Herr und der Gesell sind fortgesprungen? Denn wenn du
mich geschnitten hättest, so hätt' ich
dich erstochen." Der Lehrjunge aber bedankt sich lächelnd für das schöne
Stück Geld und sagte: "Gnädiger Herr, ihr hättet mich nicht
erstochen, sondern, wenn Ihr gezuckt hättet und ich hätt' Euch ins
Gesicht geschnitten, so wär' ich Euch zuvorgekommen, hätt Euch
augenblicklich die Gurgel abgehauen, und wäre auf und davon gesprungen." Als der
fremde Herr das hörte und an die Gefahr dachte, in der er gesessen war,
ward er erst blass vor Schrecken und Todesangst, schenkte dem Burschen noch
einen Kronentaler extra, und hat seitdem zu keinen Barbier mehr gesagt:
"Ich steche dich tot, wenn du mich schneidest." |