Andreas Hertzeg (1812)
Am 13. April, zwar schon vor 9 Jahren, ging in Ungarn, in der Gespanschaft
Neograd ein Mann verloren namens Andreas Hertzeg, und es war schade für
ihn, denn er war rechtschaffen, ziemlich wohlhabend und noch nicht lange
verheiratet. Man erkundigte sich nach ihm in allen Dörfern, in allen
Gespanschaften mündlich, schriftlich im Wochenblättlein. Niemand wußte wo er
hingekommen ist. Sein Bruder in einem andern Dorf sagte zwar, er sei selbigen
Morgen bei ihm gewesen. Das wußte seine Frau auch, und als er gegen Mittag
fortging, sagte er, jetzt wolle er heim. Also hielten ihn zuletzt die Seinigen für tot, legten Trauer an, nach ihrer Landesart, und
veranstalteten ihm eine Seelenmesse. Er selber wußte, sowenig als die andern
Leute, wo er war, und wo er so lange blieb. Aber am 8. August darauf zuckte
etwas in einer Felsenhöhle und streckte sich, und es kam Empfindung in eine
erwachte Brust und es richtete sich etwas auf, und als es auf den Beinen stand,
sagte es zu sich selber: „Bin ich der Andreas Hertzeg, der jüngere? Ich glaube."
Als er aber schlaftrunken vor die Höhle herauskam und sah den heitern blauen
Himmel, und wie es zitterte in der Luft vor Hitze; die Bäume hingen voll Laub
und reifer Früchte, die Heuschrecken und Sommervögel machten sich lustig, ein
Mägdlein in der Ferne griff an einem Weinstock nach den weichen Beeren; da sagte
er zu sich selbst: „Ich kann doch nicht der Andreas Hertzeg sein. Denn wenn ich
der Andreas Hertzeg bin, so hat's geschneit und gestöbert als ich in die Höhle
ging und einschlief, sonst war ich nicht hineingegangen." Unterdessen kam er
immer mehr zu sich, erkannte immer besser die Gegend, und als er in der Ferne
den Kirchturm erblickte, und die Häuser erkannte, und sein eigenes auch, dachte
er: Jetzt will ich bald erfahren, wie ich dran bin, denn wenn ich der Andreas
Hertzeg bin, so muß meine Frau mich kennen. Als er aber in der freien Luft sich
in Bewegung wollte setzen, da war er so kraftlos und so matt, und als er in die
Tasche griff, ob er ein Pfeiflein Tabak rauchen könne, blieb ihm die ganze
Tasche in den Händen, denn auf der Seite, wo er gelegen war, waren seine Kleider
mürb geworden und verfault. Doch kam er mit Not und Mühe in das Dorf, und seine
Frau saß vor der Türe und schabte gelbe Rüben. Da warf sie, ihren Mann
erblickend, in freudigem Schrecken das Messer weg, und sprang auf ihn zu, und
als sie ihn mit Tränen und Liebe umarmen wollte, sagte er: „Gemach! wirf mich
nicht um!" und erkannte, daß er doch der Andreas Hertzeg sei. Hierauf erzählte
sie ihm, wie sie sich um ihn bekümmert und geweint und wie ihn jedermann für tot
gehalten habe, und heute sei der 8. August, und fragte ihn, wo er unterdessen
gewesen, und was ihm zugestoßen sei. „Wenn heute der 8. August ist", sagte er,
„so hab ich weiter nichts als 16 Wochen lang geschlafen in der Felsenhöhle bei Berceßno." Und so war's auch. Sechzehn
Wochen hatte er geschlafen ohne Speise, ohne Trank, ohne Deckbett und ohne
Pfulben, und war jetzt wieder da. Dies ist ein merkwürdiges Ereignis, und
beweist, daß die Gelehrten noch lange nicht genug die Natur des menschlichen
Körpers ausstudiert haben. Denn nicht jeder hätte ja gesagt, wenn er wäre vorher
gefragt worden, ob so etwas möglich sei.
Nunmehro aber wird sich der geneigte Leser freuen auf die Mahlzeit, und wie
sich der ausgehungerte Mann eine Weinsuppe kochen läßt 22 Zoll im Durchmesser
und 9 Zoll Tiefe, wie er ein paar Spanferkel schlachten läßt und ein Kalb und
wie er jetzt hinwiederum 16 Wochen lang wachen, und dem Nachtwächter den Dienst
abnehmen kann um eine Kleinigkeit. Nichts nutz! (pflegt der Präsident zu sagen,
der mit dem Hausfreund das Gespenst gesehen hat) sondern er war vor großen
Schmerzen in den Kinnladen nicht capable den Mund zum Essen zu öffnen, konnte
nur etwas dünne kräftige Brühe zu sich bringen, ward täglich schwächer und
elender und empfing am 4. Tag das heilige Abendmahl, und schlief in Gottes Namen
noch einmal ein, bis ihm nachher am dritten Tag ein böses Geschwür im Kopf
aufging, und die Materie davon zu den Ohren herausfloß.
Als aber das Geschwür sich geöffnet und halber wieder gesäubert hatte, kam
auch der Mann nach und nach wieder zu seinen völligen Kräften und in seine
Ordnung, hat unterdessen mehrere Kinder erzielt, lebt noch bis auf diese Stunde
und ist gesund.
Der Hausfreund verlangt nicht, daß ihm der geneigte Leser diese seltsame
Geschichte auf sein Wort glauben soll, maßen er selber nicht dabeigewesen
ist. Aber die Sache ist hernach gerichtlich von den Herrn der Gespanschaft und
von dem Physikat untersucht und als authentisch in die Akten gebracht worden,
und ein rechtschaffener Herr daselbst hat sie voriges Jahr wieder aus den Akten
herausgezogen und in der Stadt Wien durch den Buchdruck bekannt gemacht.
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