Die Allemannen am
Rheinstrom (1814)
Der geneigte rheinländische Leser hat vor einem
Jahr mit seltnem Fleiß und Wohlgefallen vernommen, wie es ausgesehen hat
in dem Lande seiner Heimat von Anbeginn bis um das Jahr nach
Christi Geburt
zweihundert, und er hat sich's nicht verdrießen lassen, unterdessen um
ein Jährlein älter zu werden, damit er jetzt erfahre, wie es von jener
Zeit an weiter ergangen ist, und wer die Allemannen sind, die der
Hausfreund, so zu sagen, wie ein Quartiermacher aus dem dritten
Jahrhundert, im Kalender 1813 angekündigt hat. Eigentlich weiß niemand
recht zu sagen, wer diese berühmten Allemannen waren, noch wo sie auf
einmal hergekommen sind, wiewohl es sind dem zahlreichen geneigten Leser
am Oberrhein seine wahren Stammväter und Altvordern, von deren Blut er
abstammt, große grobgliederige Menschen mit blauen Augen, krausen roten
Haaren, voll Kraft und Mut und Trutz, fröhliche Trinker und Spieler,
ohne Kenntnisse. Es geht noch manchem ein wenig nach. Wenn einem von
ihnen ein zehnjähriges Büblein, wie sie heutzutag in die Schule gehn,
ein Additionsexempel angesetzt, oder ein Abc-Büchlein vorgelegt hätte,
oder eine achtzehnjährige Tochter des geneigten Lesers hätte einer Frau
Mehl und Eier und Butter gegeben, „da, Mütterlein backe Sträublein
draus", sie hätten nichts wissen damit anzufangen. Noch wurde kein
Vaterunser, noch kein Ave Maria gebetet. In die Kirche gingen sie nach
Schaffhausen an den Rheinfall, oder in die dichtesten Wälder, oder auf
den Beleben. Denn sie beteten unsichtbare Götter an, wenn nicht Sonne
und Mond oder den Rhein, und opferten ihnen Pferde. Sonst war ihre
liebste Beschäftigung der Müßiggang, dann die Jagd und der Krieg.
Zweihundert Jahre lang kämpften sie mit den Römern in unversöhnlichen
Kriegen zuerst um die Landschaften zwischen dem Rhein, der Donau und dem
Main, aber oft auch, wenn die Gelegenheit günstig schien, fielen sie in
das römische Gebiet jenseits der Flüsse ein, und spannen meist wenig
Seide dabei, bis gegen das Ende.
Dem geneigten Leser müßte es wohl ein wenig bange werden, ob es möglich
sei, daß er nach anderthalbtausend Jahren noch von diesem Heldenvolk
abstammen und auf die Welt kommen werde, wenn er erfahren sollte, was es
von einem Feldzug zum andern für schreckliche Niederlagen gelitten hat.
Wo ein Tal des Schwarzwaldes sich auftut, fluteten Mann an Mann und
Schild an Schild jetzt die Allemannen siegeslustig hinaus, jetzt die
Römer racheschnaubend mit Feuer und Schwert hinein. In alle Bäche floß
allemannisches Blut. Mehr als einmal gingen nach römischen Berichten,
die Allemannen hunderttausendweise in einem Feldzug zugrunde. Mehr als
einmal brannte der Schwarzwald an allen Ecken und Enden. Manchmal
machten wir auch gute Geschäfte bis nach Italien hinein und in die
Champagne. Aber wer zuletzt mit blutigen Köpfen wieder heimkam, waren
eben wir. In Champagne ließen wir auf einmal nicht mehr als 60000
liegen. Denn die nackte deutsche Tapferkeit und Kraft ohne die Kunst des
Krieges vermochte nie auszuhalten in die Länge gegen die geharnischten
Reihen und Glieder der Römer, gegen ihre Schwenkungen und andere
Kriegskünste, mitunter auch Schelmenstücklein. Mit 60 bis 80 000 Mann
über den Rhein oder über die Donau zu gehen, und die Römer anzugreifen,
wo wir sie fanden, war uns ein Leichtes. Aber wieder heimzukommen, und
die Feinde abzuhalten, daß sie nicht über den Fluß hinüber nachsetzten,
war oft etwas Schweres. Die Geschichte erwähnt eines mannhaften
deutschen Fürsten und Heerführers mit Namen Chnodomar, sie erwähnt auch
eines Fürsten und Helden mit Namen Vadomar der im Breisgau und Oberland
ein Herr war, und nach der Vermutung eines achtungswerten Gelehrten
seinen Sitz hatte, wo itzt Thumeringen steht im Wiesenkreis, also daß
dieses Ort zuerst geheißen hatte Vadomaringen. Der ist manchmal auf
seinem Hengst durch die Wiese geritten, oder im Käferhölzlein auf der
Jagd gewesen und hat mit lüsternem Auge hinübergeschaut in das Gebiet
der Römer jenseits Rheins. Chnodomar und Vadomar und andre deutsche
Fürsten als Uri, Ursiz, Vestralp und mehrere gingen mit ihren
Heerscharen über den Rhein, griffen bei Straßburg, bei Hausbergen den
römischen Feldherrn Julianus an, nicht zu guter Stunde. Als die Schlacht
gewonnen schien, war sie verloren. Chnodomar wurde gefangen, der
gereizte Feind kam über den Rhein, und hauste heidnisch mit den Leuten.
Aber Vadomar, der König von Thumringen, rettete sich und sein Land.
Nachgehends bekamen ihn die Römer durch List und schändlichen Verrat in
ihre Gefangenschaft und schleppten ihn nach Spanien. Später wurde auch
sein Sohn Vitigab ein gar feines und kluges Herrlein auf Anstiften der
Römer von seinem Bedienten heimlich ermordet. Was denkt der geneigte
Leser zu einer solchen schlechten Aufführung? Viele tausend biedere
Allemannen wurden auch als Gefangene nach Rom transportiert, und man hat
von den wenigsten mehr erfahren, was aus ihnen geworden ist, ausgenommen
ein Mägdlein von Doneschingen namens Bißlein, das hernachmals in Rom
gute Tage bekommen hat. Der Herr Römer, der es gefangen bekommen hat,
hat er sich nicht nachher in dasselbe verliebt, und laut gesagt, es sei
in ganz Rom kein Mädchen mit diesem allemannischen Töchterlein zu
vergleichen. - Wenn er itzt erst käme, und eins aussuchen dürfte. Aber
in der Tat man weiß nicht zu sagen, wo die vielen Menschen hergekommen
sind, die nach einem hundertjährigen Krieg und nach allen blutigen
Niederlagen und grausamen Landesverwüstungen noch übrig waren, kraftvoll
und rüstig, als die Macht der Römer im Land und daheim anfing zu
zerbrechen. War nicht auf einmal selbst das ganze jenseitige Rheinland
von Basel bis nach Mainz und bis an die jenseitigen Gebirge Untertan der
allemannischen Macht? Alles schien sich wieder zu erheben, bis ein neues
kriegerisches Schauspiel begann.
Draußen über dem Schwarzen Meer, wo Europa ein Ende hat, und seltsame
Völkerschaften eines andern Weltteils ihren Anfang nahmen, wohnten
damals, fremden Blutes und fremder Sitten die Hunnen ein wildes
räuberisches Gesindel, und es wird nicht viel gefehlt sein, so war ihr
Oberhaupt, genannt Attila, der Schlimmste unter allen. Attila brach um
das Jahr 451 mit seinem Volk aus ihren Wohnsitzen auf, um in Europa,
soweit es geht und guttut, zu erobern, zu plündern, zu sengen und zu
brennen und zu morden, und wo er hinkam, in den ersten 24 Stunden war
alles verwüstet und verödet, und je weiter er zog je furchtbarer
vermehrte sich sein Heer, denn alles zog mit, wie ein Heerstrom in
seinem Lauf größer und größer wird, durch die Waldströme die sich rechts
und links her in seine Fluten ergießen. Jetzt ist der Hunnenkönig schon
am Saustrom in Ungarland, jetzt schon an der Donau, jetzt schon in der
Gegend von Ulm, und wie Reihen der Franken wichen auf allen Seiten, bis
in der Herzensangst und Verzweiflung der fränkische König Chlodewig die
Hand zum Himmel aufhob, und den Schwur tat, wenn ihm Gott den Sieg
verleihe, so wolle er ja gerne ein Christ werden, seine Frau sei es
ohnehin schon. Es waren aber damals schon ganze christliche Regimenter
unter dem fränkischen Heer, und einer rief dem andern zu: „Du, wenn wir
dem König den Sieg erkämpfen, so will er sich taufen lassen." Also
schlugen die Christen unbarmherzig auf die Heiden drein, die Allemannen
werden in Unordnung gebracht und verlieren die Schlacht für diesmal, und
ihre teuer errungene Freiheit und Herrschaft auf immer.
Wer
diese Franken sonst ein wenig gewesen sind, und wie es unsern Altvordern
unter ihrem Regiment ergangen ist, will der Hausfreund im künftigen Jahr
erzählen. Der geneigte Leser aber wird klug sein, und am Ende jedes
Jahrs den alten Kalender in ein Kistlein legen, bis er alle beisammen
hat. Bereits aber wird er seine lustigen Täler, voll Kirchtürme, seine
fruchtbaren Felder und Hügel, seine Berge mit andern Augen ansehen, wenn
er sich daran erinnert, was sich hier schon zugetragen hat, und wird
manchmal denken: „Gottlob es sind jetzt gleichwohl bessere Zeiten."
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