Etwas weniges noch, meine Freunde...
 
(Zur Bestattung von Joseph Schäfer, Präceptor am Gymnasium illustre)

Konvolut 3 / Text

(Original ohne Titel)

 

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Etwas weniges noch, meine Freun-

de von dem Leben Herrn Joseph

Schäfers gewesenen Präceptors an der
 
2ten Klasse des hiesigen Pädagogi-
           cums.
 

Die Schicksale dieses Mannes, den wir heu-
 
te begraben haben, waren so mannigfal-
 
tig, als es sein Verhalten gewesen ist.
 
Oft blieb sein unglückliches Gefühl für

seine besseren Verdienste in Schuld bei ihm;

und oft mußte er sein Verhalten durch

sein Schicksal aussöhnen - So wankte

er, so lange er lebte, zwischen Ruhe und

Kumer, zwischen Würde und Gebrechen

hin und her - Jeder fühle dabey in sein
 
Herz! Und an aller dieser Unstätig-
 
tig keit im  2ten dem 2ten Theil seines Lebens
 
in sonderheit war die schiefe Bestim-

mung schuld, die man ihm für die erste

Hälfte desselben gegeben hatte.

Von catholischen Eltern nemlich, wovon

sein Vater Joseph Schäfer Bürger
 
und Rothgerber in Buchen am Odenwald

         
 
war, und seine Mutter Ursula Mül-
 
ersfeldin hieß, Ao. 1731 gebohren,
 
und von der fromen Andacht dieser El-

tern dem klösterlichen Leben gewidmet,
 
geriet er, nachdem er zu Heidelberg
 
und Mainz studiert hatte, sehr bald
 
in jenen geistlichen Orden, der willig
 
genug ist, allen schönen Glückseligkei-

ten der Welt zu entsagen, weil er

auf mehr für den Himel als für die Welt

arbeitet. Aber unser Verstorbener

brachte zu dieser himlischen Bestimung

ohne seine Schuld mehr Anlage für die
 
Welt; und darum nahm er auch, als

er diese Bestimung verließ, nur die

Gebrechen derselben mit sich - Und

mit diesen hatte er zu ringen, so lang

er lebte.    Ao. 1762 fing er die
 
2te Hälfte diese Lebens in Karls-
 
ruh an, wo er zu unserer Kirche
 
trat. Weil er vorher Geistlicher

war, so blieb ers auch unter uns,

 

       

 
 
erhielt seine erste Stelle in Lörrach
 
als Diaconus und präceptoriats Vi-
 
carius bey dem dasigen Pädagogium,       
von welchem ihm noch
                                                                            der erste Dank einiger sei-
und verehlichte sich mit Jungfer Susan-   
ner Jünglinge biß
                                                                               in die letzten Monate
ne Maria, des gewesenen Herrn Bau-       
seines Lebens nach-
                                                                                folgte - ;
meisters Arnolds ehlicher Tochter, die
 
ihm 4 Kinder, wovon nur noch ein Sohn
 
lebt, gab, und die nun - eine bedauern-
 
de Wittwe, nun aller Unterstützung
 
verlassen jedes Mittleids und jeder
 
Hülfe würdig ist. Von Lörrach rief ihn
 
die Vorsehung auf die Pfarrey Hü-
 
hnefeld, und von dorten führte sie

ihn nach Ispringen. Diese gütige
 
Vorsehung war es jedoch nicht, die ihn
 
von Ispringen wieder wegnahm,

und ihn auf einige Zeit einem müh-

samen und kumervollen Leben über-
 
gab. Sie reichte ihm ihre waltende
 
Hände erst wieder, als er vor einigen
 
Jahren an die 2te Klaße + gerufen          
+ des hiesigen Päda-
                                                                                   gogiums
wurde, wo er ehrlich that, was er konte,
 
und vielen meiner Schüler nützlich wur-

de; und gewiß hätte er durch die reife-
 
Tugenden des Alters seine ungünsti

       


 
ges Schicksal noch völlig versöhnt, wenn
 
ein Mensch das Ziel überschreiten
 
könte, das ihm gesetzt ist. Allein der
 
Tod überfiel ihn unvermuthet aus dem

dem Hinterhalt eines heftigen Un-

willens, und richtete 2mal an sei-

nem eher entkräfteten Körper hin.

Eine Hälfte  desselben tötete ein

Schlagfluß vor verwichenen  Dienstags

Nachmittags unter seinen Berufs-
 
gefährten; und der übrige Rest seines
 
Lebens erlag vorgestrigen Frey-
 
tag Mittags um 12 Uhr.   Von
 
52 Jahren und 20 Tagen sieht er
 
nun selbst Werth und Unwerth in

einem unpartheyischern Licht, als
 
man es hier sehen kan - Gottes

Barmherzigkeit seye mit ihm und

uns jenseits und dieseits des
 
Grabes!

 
     

Dieser Text, der einer Abdankungsrede gleichkommt, wirft mehrere Fragen auf, die jedoch nicht zu beantworten sind:
- Hebel war zwischen 1780 und 1783 Hauslehrer in Hertingen, er kann daher kein Kollege des bedachten Präceptors gewesen sein,
weder in Lörrach noch in Karlsruhe, allenfalls als Schüler in Karlsruhe könnte er ihn gekannt haben
- welche Beweggründe haben ihn zum Verfassen dieses Textes bewegt
- ist der Text vielleicht als "Übung" bzw. Vorbereitung für einen möglichen "Ernstfall" erarbeitet worden
- sind der so auffallend detailliert beschriebene Joseph Schäfer und seine Eltern real existierende Menschen gewesen oder nur erfundene Personen für diesen Reden-Entwurf - die Beschreibung der Mutter erinnert doch sehr an Hebels eigene Mutter Ursula
- eine Pfarrei oder ein Ort Hühnefeld ist nicht zu finden (vielleicht heißt er inzwischen auch anders oder ist Teil einer größeren Gemeinde),
 die Orte Buchen am Odenwald (Kurmainz) und Ispringen (Markgrafschaft Baden) existieren aber sehr wohl
- Weshalb ist die Schrift so auffallend anders als Hebels sonstige Handschrift - sie entspricht einem Stil, der bei Urkunden oder Markgräflichen Erlassen üblich war - mehr gemalt als geschrieben und ohne persönlichen Duktus

- stammt der Text ev. gar nicht von Hebel - und ist, aus welchen Gründen auch immer - zufällig (?) in die Hebelschen Papiere geraten
 

 

 
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