(Ein Entwurf)
      Das Leben ist so süß, und doch so beschränkt. Wir hoffen ein zweites. 
      Haben wir vielleicht auch schon ein früheres gelebt?
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       Gründe für die Verneinung
      1) Wir haben gar keine Ursache es anzunehmen.
 Keine Erinnerungen, 
      Zeugnisse oder 
      Erscheinungen, 
      die so rätselhaft wären, daß sie einzig dadurch 
      erklärbar würden.
      2) Wir haben sogar Ursache, es zu bezweifeln. Man betrachte das 
      neugeborene Kind 
      und seinen Zustand, sein spät eintretendes Bewußtsein. 
      
      Wie neu ihm alles! Wie mühsam das Lernen! Wie viele Fragen!
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      Vermutungsgründe für die Bejahung
      1) Es ist doch möglich. Hier oder anderswo. — Müssen wir für alles 
      Erfahrung haben? — 
      Wir hätten aus einer süßen Schale der Lethe getrunken, 
      und es wartete auf uns eine süßere der Mneme.
      Wie vieles vergessen wir aus diesem Leben!
      2) Es ließen sich sogar sehr vernünftige Zwecke dabei denken:
      a) Wir waren in einem unvollkommenen Zustand. Sukzessives Steigen; - 
      die Leiter ist groß.
      b) Oder in einem ähnlichen, - vielleicht höhern. - Vielseitigkeit der 
      Erfahrungen; 
      Weisheit ist die Frucht der Erfahrungen; aber wie wenig 
      bietet ein Leben!
      3. Und hätten wir denn so gar keine Erinnerungen oder Erscheinungen? 
      Wir bemerken doch:
      a) Leichte Entwickelungen, gewisse Anlagen: Kunstsinn, Musik, Mechanik. 
      
      Wie, wenn wir diese Fertigkeiten schon einmal besessen hätten?
      b) Gedächtnis für manches.
      Wie, wenn es Erinnerung wäre? Was ist schwerer zu erlernen als eine 
      Sprache? 
      Und das Kind lernt sie!
      c) Vorherrschende Neigungen von Kindheit an. Haben wir sie vielleicht 
      mitgebracht?
      d) Unerklärbare Sympathie. Vorliebe für die Geschichte einzelner 
      Zeitalter, Männer, Gegenden.
      Sind wir vielleicht einmal dagewesen und mit jenen in Verbindung 
      gestanden?
      e) Leichtigkeit des Sterbens und schwärmerisches Sehnen des Jünglings 
      nach dem Tode.
      Ist es ein Heimweh, das in dem Busen des Mannes die Zeit geheilt hat?
      Es ist wahr, dies alles läßt sich auch sonst anderst erklären. 
      Körperliche Beschaffenheiten; — 
      Blutmischungen; — Gehirnbau; — Erziehungen; — erste dunkle Eindrücke. 
      —
      Der Mensch ist sich in so vieler 
      Hinsicht ein Geheimnis. 
      Aber
      
      4. der Gedanke ist doch so anziehend, so einladend zu süßen Phantasien.
      Zum Beispiel: Ich lebte schon zur Zeit der Mammute, der Patriarchen, 
      war arkadischer Hirte, griechischer Abenteurer, Genosse der Hermannsschlacht, half Jerusalem erobern.
      Ich habe mit meinen Freunden schon ein Leben und seine Freuden und 
      Leiden geteilt.
      Oder: ich bin ein angesessener Bürger des Sirius auf Reisen, dort wohl 
      bekannt und sehnlich erwartet.
      Wenn ich dereinst den goldenen Becher der Mneme getrunken habe, wenn 
      ich sie vollendet habe,
 so viele Wanderungen, wenn ich mein Ich gerettet 
      habe aus so vielen Gestalten und Verhältnissen, 
      mit ihren Freuden und 
      Leiden vertraut, gereinigt in beiden, - welche Erinnerungen, - welche 
      Genüsse,
 - welcher Gewinn!