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zurück | Predigt am sechzehnten Sonntage nach Trinitatis 1793 | |
Gott, wir klagen so oft, wo wir dir danken und uns freuen sollten, sehnen uns nach Ruhe und Frieden; und als ob wir eines harmlosen Lebens überdrüssig waren, schaffen wir uns Sorgen und Leiden ohne Noch, dürsten in unsern Bekümmernissen nach Trost; und als ob kein Bedürfniß unserm Herzen und kein Wunsch unserer Laune fehlte, verschmähen wir den sanften, erquickenden, wirksamen Trost, der uns in den Spuren deiner Vorsehung, deiner nah und ferne wirkenden Weisheit und Güte, so nahe umgiebt, allenthalben entgegen kommt und begleitet, suchen ihm zu entgehen, um Kummer durch Kummer zu nähren und Schmerz mit Schmerzen zu betäuben. O führe unsern Sinn zu dir, du Liebender, du, der durch Trübsale väterlich prüft, zu dir, der die Geprüften mit Trost und Segen erquickt. Laß uns den frohen Gedanken, daß du bist und waltest, lebhafter fühlen, deine Führungen besser verstehen, und wenn wir ihnen auf der Erde keinen Zweck mehr abrathen können, desto zuversichtlicher auf die Ewigkeit hoffen, geduldiger und freudiger ihr entgegen harren. Laß es jeden Bekümmerten fühlen, (o es grämen sich viele unter deiner Sonne, und freuen sich unter dem Druck der Lebensmühe ihres milden freundlichen Genusses nicht,) — laß jeden Bekümmerten es empfinden, daß du auch Vater seyst, und unter den zahllosen Geschöpfen, die deine Hand so väterlich nährt und pflegt und deckt, nicht ihn allein vergessen, nicht ihn allein einen Weg geführet habest, dem du nicht zuvor einen frohen Ausgang wußtest. Oeffne dem Trostlosen das Auge vor dem reichen Schauplatz der Thaten und Wunder, die deine Größe von jeher verherrlichet haben, und zeige dem Armen, der auf der Erde nichts mehr zu suchen und zu finden hat, desto freundlicher die Aussicht in ein besseres Leben, wo frohe Vollendung seiner Schicksale ihn erwartet. Laß uns alle auch heute durch die Betrachtung deines Wortes, zu neuem frohern und lebhaftem Vertrauen, auf dich erweckt werden, wir rufen dich darum an in einem stillen V. U. Text: Lukas 7, 11 — 14 11 Und es begab sich danach, dass er in eine Stadt mit Namen Nain ging;
und seine Jünger gingen mit ihm und eine große Menge. Es reicht zur Ruhe unsers Lebens, zur furchtlosen Freude im Glück und zur stillen ruhigen Ergebung im Unglücke nicht zu, versammelte Zuhörer, daß wir uns mit einem leichten, flüchtigen, nachgebeteten Glauben an Gott und Vorsehung begnügen, für ein Leben, so mannigfaltig an Verhältnissen, so reich an Veränderungen, so eigen und bedingt durch seine Schicksale, mit einem so nothdürftigen, allgemeinen Glauben uns begnügen. Je mehr und länger wir in unsern Erfahrungen und an fremden Beispielen Beweise für die Wahrheit sammeln, daß ein guter Gott für alles sorge, je sorgfältiger und anhaltender wir seinen Führungen nachgehen, je richtiger wir gewisse, — Grundsätze möchte ich sagen — Gesetze, die er sich selbst unverbrüchlich gemacht hat, fassen und bemerken, je einfältiger wirs der Blume auf dem Felde ablernen, und von allen Zeugen, nahe und ferne, am Himmel und auf der Erde, es uns zurufen lassen, daß Gottes Weisheit und Erbarmung keine Gränzen, seine Thaten und Regierung keinen Tadel haben, desto einheimischer wird Ruhe und ein froher Muth in unsrer Seele sich befestigen, desto deutlicher werden wir Gottes gute Absichten auch in jedem besondern Schicksal unsers Lebens anerkennen, und durch Geduld und Vertrauen ehren. Aber wir täuschen uns sehr, und machen uns dieses wichtige und angenehme Geschäft ausserordentlich schwer, wenn wir es auf die ungünstigen Tage der Widerwärtigkeit versparen, und die Ueberzeugungen erst alsdann sammeln wollen, wann sie mit ganzer Stärke in unsrer Seele wirken und ihre Kraft an uns beweisen sollten. Laßt uns, so lange uns eine freundliche Sonne und ein heitrer ruhiger Himmel lacht, die wohlthätige Pflanze pflegen, die uns in der drückenden Lebenshitze mit ihrem Schatten erquicken, und gegen die Stürme des Schicksals durch ihr Obdach schirmen soll. Ich will sagen, wir müssen schon die bessern Tage, die uns die Vorsehung gönnt, dazu anwenden, unsern Verstand von Gottes Liebe und Weisheit zu überzeugen, sie unserm Herzen fühlbar machen, den besten und seligsten Glauben stark zu nähren, damit uns frühe oder spät die schmerzhaften Erfahrungen des Lebens nicht zu Furcht und Kleinmuth und Zagen an Gott herabbeugen. Auch unser heutiges Evangelium bietet uns Gelegenheit, an einem fremden Beispiele über die Wege der göttlichen Weisheit, Güte und Erbarmung nachzudenken, Trost fürs Leben und Hoffnung für die Ewigkeit zu schöpfen. Wir werden unsre Aufmerksamkeit zu dem Ende auf vier besondere Betrachtungen heften: 1) Gott läßt oft für einzelne Menschen Trübsale und Gefahren ihre höchste Stufe erreichen; aber er kennt den rechten Augenblick zur Rettung, und übersieht ihn nicht. 2) Wenn wir lange fruchtlos um Hülfe gefleht, und nun die Hoffnung aufgegeben haben, so kommt er und hilft auch ohne unsre Bitte. 3) Er vergilt das Ungemach überstandener Prüfungen mit Vortheilen und Freuden im gerechten Maß. 4) Eine Ewigkeit vollendets, was sich in den wenigen Tagen eines
Erdenlebens oft nur anfangen, Unser Evangelium stellet uns eine weinende trostlose Wittwe auf, die den Leichnam eines einzigen vielleicht hoffnungsvollen Sohnes, und in ihm ihren letzten und einzigen Trost zum Grabe begleitet. Sie hatte in ihm die einzige Freude ihres einsamen und traurigen Standes, den Freund und Rathgeber und Pfleger ihres herannahenden Alters geliebt und erzogen, wollte einst in den gedeihlichen Früchten ihrer mütterlichen Erziehung, in der zärtlichen Liebe eines dankbaren Sohnes, in seiner hülfreichen Pflege, wenn sie schwach und kraftlos würde, und in seinen Tröstungen am Tage ihres Todes den Lohn für alle Sorgen und Mühen und Bekümmernisse ihres Mutterherzens erndten, und sie mußte ihn sterben sehen, und auf dem Wege, auf welchem sie vielleicht vor wenigen Monden einen erblaßten Gatten begleitete, nun trostloser noch und gebeugter der Leiche des Sohnes zum Grabe folgen, das sie lieber für sich zur stillen verborgenen Ruhestätte und Erlösung ihres Kummers gewählt hatte. Von welchen bangen Empfindungen mußte diese Unglückliche während einer bedenklichen Krankheit ihres Lieblings gepeiniget werden, — mit welchen unnennbaren Schmerzensgefühlen ein schlimmes Zeichen des herannahenden Todes nach dem andern bemerken, — wie oft für ein Leben, welches ihr theurer als das ihrige war, zu dem Vater der Waisen und Pfleger der Wittwen tief aus ihrem zerrissenen Herzen, heraufgeseufzt, und mit welchen Umarmungen und Weheklagen es im Wahnsinn des höchsten Schmerzes versucht haben, Lebenswärme in die erstorbene Brust, und den entflohenen Geist in die kalte, blasse todte Hülle zurückzurufen! Denket euch den möglichen Fall, daß das Gerücht, welches von den großen Thaten Jesu Christi, des segnenden Menschenfreundes und Wundertäters, von einem Ende des jüdischen Landes zum andern erschallte, auch in Nain sich schon verbreitet und Aufmerksamkeit erweckt hatte; mit welchen heißen Wünschen mußte sie dem theuren Gottesmann von dem ersten Tage ihrer schmerzlichen Leiden an herbeigeseufzt, wie mit bangem klopfendem Herzen in jedem fremden, freundlichen, bescheidenen Angesicht, das ihrem Blick begegnete, ihn vermuthet haben! Aber umsonst! — Der einzige theure Sohn lag krank zum Tode, und der durch leise Berührung des Fingers Kranke heilen konnte, war nicht da, Der Sohn ihres Herzens starb, und der mit allmächtigem Gottesruf Leichname aus dem Schlummer des Todes erwecken konnte, erschien nicht. Schon war er eingehüllt in Todtenlinnen, schon folgte die Arme dem geliebten irdischen Rest ihres Lieblings zu seiner stillen Ruhestätte. — Und es begab sich darnach, daß Jesus in die Stadt Nain gieng mit seinen Jüngern; und als er nahe an das Stadtthor kam, siehe so trug man den Todten heraus. — Gottes Absichten in den Führungen der Menschen sind uns, so sehr wir sie im Allgemeinen als gut erkennen müssen, doch in einzelnen und bestimmten Fällen tief verborgen. Indem hier ein Glücklicher, nur dem Namen nach mit den mannigfaltigen Leiden der Menschheit bekannt, seine frohen Tage verlebt, indem dort einen andern der Schlag eines traurigen Schicksals nur vorübergehend und schonend streift, steht irgendwo ein Unglücklicher, als ob er nur zum Schmerz geschaffen und zum büßenden hingegebenen Sühnopfer für Alle bestimmt wäre, jedem harten Sturm des Lebens ausgesetzt, und muß den Kelch der Schmerzen bis auf den letzten bittern Tropfen schmecken, hinter sich eine freudenleere Vergangenheit, und vor sich eine trostlose Zukunft beweinen. Süß, und wie ein kühlender, heilender Balsam erquickend, ist dem Leidenden der Gedanke, daß ein guter Gott seine Schicksale geknüpft habe, und das Vertrauen, daß er, der Wunden schlug, sie wieder heilen, er, der einen Augenblick betrübet, wieder trösten und erfreuen werde. Aber je länger der Unglückliche diesen Gedanken und dieses Vertrauen nähren muß, je nöthiger ihm unter anhaltenden steigenden Trübsalen Leben und Kraft des Trostes wird, desto schwächer wird er nicht selten; und die tiefen Schmerzen einer plötzlichen Trostlosigkeit wagen vielfach die Linderung der genährten Hoffnungen auf, wenn ein fürchterlicher Schlag geschehen ist, wenn wir unsere einzige und letzte Hoffnung, die Hoffnung auf Gott getäuscht glauben. Und doch kennt Gott die rechte Stunde der Hülfe, und übergeht sie nicht, rettet oft noch groß und göttlich, wenn alles scheint verloren zu seyn; und wir haben uns getäuscht, wenn wir glaubten in einen rettungslosen Zustand versunken zu seyn, da es dem, der keinen Sterblichen zum Unglück schuf, nie unmöglich seyn kann, den, welchen er zur Freude ins Leben rief, unter dem Druck der Drangsale, die nur eine wohlthätige Zugabe zu den Freuden seyn sollen, zu erhalten. Dieses Vertrauen zu ihm müsse in keiner Brust entschlafen. Wenn ihr keinen Weg zur Hülfe mehr vor euch seht, wenn ihr bei Menschen sie vergeblich sucht, dann wißt, dann erinnert euch mit allen aufgeforderten Gefühlen eures Herzens, daß ihr ja nicht euch, nicht ohnmächtigen Menschen, sondern Gott vertraut. Wir gehen zur zweiten Betrachtung über. — So weichmüthig und theilnehmend auch das gute Herz Jesu Christi bei dem Anblicke menschlicher Gebrechen und Leiden schlug, so nahe ers durch sein theilnehmendes Herannähern, durch sein Weilen, durch seinen freundlichen Blick jedem Bekümmerten legte, daß er zum Helfen gekommen sey, und keine vertrauende Bitte verschmähe, so bemerken wir doch durchgehends, daß es seine Regel war, erst die Anrufungen und Bitten der Bekümmerten zu erwarten, und ihre Bedrängnisse sich klagen zu lassen, ohne Zweifel auch darum, weil er die Menschen, denen er zum Arzt nicht minder für den Geist als für den Körper gekommen war, einladen und gewöhnen wollte, zu dem guten Vater im Himmel, dessen Ebenbild an ihm in aller göttlichen Vollkommenheit so herrlich aufstrahlte, mit Vertrauen zu beten, weil er ihnen die beruhigenden Gefühle, die Kraft und den Segen des frommen Gebets, der kindlichen Hoffnung und Offenherzigkeit merkbar machen wollte. Aber arme Mutter eines erblaßten einzigen Sohnes, wenn Jesus auch vor dem Thore zu Nain nach seiner Regel handelte? — Sie kannte ihn nicht; oder im Gewühl und Getümmel der begleitenden Menge bemerkte sie ihn nicht; oder die starken stürmenden Gefühle in ihrem Jnnern machten sie gegen alles Aeussere gleichgültig; in dem vollen gepreßten Herzen fand kein Senfkorn des Glaubens, kein leiser Gedanke an einen allmächtigen Retter mehr Raum. Aber Jesus, der nicht stumm vor Leidende hinstand, um durch Flehen und demüthige Begrüßungen seiner gefühlten Größe schmeicheln und huldigen zu lassen, der nicht in allen verschiedenen Fällen und Verhältnissen nach einer willkührlichen und eigensinnig gewählten Regel handelte, — als er sie sahe, jammerte ihn derselben und trat zu ihr, und sprach: weine nicht. Ist nicht die dumpfe Gleichgültigkeit der weinenden Wittwe, mit allen ihren möglichen Veranlassungen, das ähnliche Bild menschlicher Gleichgültigkeit gegen Gott, wo wir sie antreffen? Die betende Lippe verstummt — oft nahe am Ziele der Erhörung; der schwache kümmerlich genährte Funke des Vertrauens verglimmt, entweder weil wir den guten waltenden Vater im Himmel, so kennbar er sich in seinen Werken und Thaten offenbarte, noch nicht genug kennen, die Züge seiner erbarmenden Vatermilde noch nicht genau genug betrachtet und gefühlt haben, oder weil wir im Geräusch und in der Verwicklung mit irdischen Angelegenheiten und Geschäften ihn vergessen, unter den Verhältnissen und Verbindungen mit Menschen seine trostreiche, durch stillen Segen wirkende Nähe nicht ahnden noch bemerken, oder weil uns in den Stunden der Widerwärtigkeit das Gefühl des Himmlischen und Irdischen zu nahe und schmerzhaft drängt, als daß das Herz sich davon losreißen und zum Unsichtbaren und Himmlischen emporschwingen könnte. Dann siehst du Allwaltender mit väterlicher Schonung auf unser schwaches Herz herab, lässest dich durch unsern Irdischen widerstrebenden Sinn, durch unsere Ungeberde nicht irre machen, unsere Prüfungen auf dem gewählten besten Wege mit sorglicher Liebe zu ihrem guten fröhlichen Ende zu führen. Und wenn wir lange genug vergeblich gefleht haben, weil unsere Bitte Unverstand vor dir war, wenn wir, des Wartens auf deine zögernde Hülfe müde, bei Menschen oder nirgends mehr Rettung suchen, so lässest du unvermerkt aus der Dunkelheit, in der wir zagen, die Stunde der Erhörung heraufscheinen, und öffnest die Lippen, die einst zum Beten verstummten, nun freudiger zu Dank und Lobpreisungen. Laßt uns zur dritten Betrachtung übergehen. Gott vergilt das Ungemach überstandener Prüfungen mit Freuden und Vortheilen im gerechten Maße. Von tausend glücklichen Eltern mußte die Arme in unserm Evangelium den langsamen steigenden Schmerz der Beraubung ihres Liebsten und Besten erfahren und ausempfinden. Vor tausend und tausend unglücklichen ward ihr der minder lebhafte, aber inniger fühlbare und anhaltende Schmerz der Entbehrung des Liebsten und Besten unerwartet abgekürzt. Eine Wunde, die der Balsam der Zeit nach vielen Jahren nur mit einer blöden Narbe bedecken konnte, heilte das Wort des machtvollen Menschenfreundes: Jüngling ich sage dir, stehe auf. Zweifelt nicht, daß ihre Wonne, als ihn Jesus lebendig und gesund in ihre Arme zurückführte, die ausgestandenen Herzenswehen aufwog, daß sie ihren Sohn mit einer ihr ungewöhnlichen, nie bekannten Herzensinnigkeit nun an die Brust drückte, und an ihre ausgeweinten Leiden nur darum sich mit süßer Wehmuth oft erinnerte, um den Genuß ihres Glücks und Besitzes sich anzufrischen und zu schärfen. War sie weise und lernte ihren Schicksalen auch die Wahrheit ab, daß noch ein besserer als ein menschlicher und sterblicher Freund und Pfleger für die Verlassene lebe, hob sich ihr Geist von dem Vertrauen aufs Sterbliche freier und froher zu dem Glauben an einen unsterblichen Vater und Beschützer empor, fühlte sie sich von nun an ruhiger unter seinem Schutze, seliger in seiner Liebe, williger und starker in der Erfüllung seiner Gebote, o dann blühten ihr die geweinten Thränen zu schönem der Ewigkeit entgegen reifendem Segen auf. Nicht immer vergütet die Vorsehung so schnell und merkbar; aber möge das Vertrauen jede Seele beleben: Gott gleicht einmal und auf irgend eine Art Freuden und Leiden zu seiner Führungen Preis und zu unsrer Zufriedenheit aus. Oft mischt er das Bittre wie eine Arznei in den Taumelkelch der Freude, ruft durch sie die Freudetrunkenen zur weisen glücklichen Mäßigung herab, hebt die Gleichgültigen, denen der anhaltende Besitz eines Gutes die Freude des Besitzes raubte, durch sie zur Fähigkeit eines neuen Genusses empor. Es ist die weise Einrichtung der Natur, daß nun einmal jede Freude eine Zuthat von Ungemach hat, das ihr entweder vorgeht oder nachfolgt, oder sie begleitet. Gott konnte nur dadurch dies Gegengewicht entbehrlich machen, wenn er uns des Guten und Angenehmen weniger gegönnt und zugedacht hätte, aber er fand die höhern Vortheile und Freuden dieser kleinem Prüfungen werth. Alles schön und trostreich, was wir in der Geschichte unsers Evangeliums entdecken, — wenn nur dieser einzelne Fall allgemeine Regel wäre! Aber wie viele entgegengesetzte Erfahrungen bieten unsern Augen sich dar, unter denen wir ängstlicher, als wenn wir das unglücklichste Schicksal gewiß wüßten, zwischen Furcht und bangen Hoffnungen herumgetrieben werden! Es wandelt kein himmlischer Lebensschöpfer mehr zwischen den Gräbern umher, der die Todten erweckte; und wie viele schlummern schon unter diesen Gräbern, und wie viele wallen ihnen entgegen, denen der Augenblick der Erhörung, der unerbetenen nimmer erwarteten Rettung, der reichen frohen Vergütung nie erschien! Wahr! — aber laßt uns die irdischen Aussichten, wo sie trüber und dunkler werden und ganz in Finsternisse übergehen, mit einer vierten himmlischen erhellen, die uns das Evangelium ebenfalls so nahe legt. Eine Ewigkeit vollendets, was sich in den wenigen Tagen eines Erdenlebens wohl anfangen, aber nicht immer entwickeln kann. Allerdings wenn das flüchtige Leben unter der Sonne unser ganzes Daseyn umspannt, so ist alles, was wir von Vorsehung sagen können, ein erdichteter Traum. Schlimmer noch als Traum. Unsre beste Stunde ist unselige Täuschung, das glücklichste Leben eine grausame Vorbereitung zu einem desto trostlosern Tode; Vernunft ein anhaltender regelmäßiger Wahnsinn; das Gewissen eine unheilbare Krankheit; das große edle, von himmlischen Gefühlen durchströmte Herz mit allen seinen Ahndungen Trieben und Neigungen, der betrogenste Betrüger. Die ganze Ordnung der Dinge kehrt sich um, der Mensch ist nicht mehr an der Spitze der Geschöpfe das Meisterstück ihres Urhebers; als das einzige mißlungene Werk, das der Schöpfer zu groß anfieng um es vollenden zu können, sinkt er unter alle herab, unglücklicher als alle, die von keiner Vernunft verwirrt, von keinen Ahndungen betrogen, den einfachsten Gang zum Tode gehen, jeden Augenblick den Zweck des Augenblicks ganz erfüllen, von der Vergangenheit nichts nachzufordern und von der Zukunft nichts zu erwarten haben. Gott selbst sänke von der Stufe der erhabensten Vollkommenheit herab, wäre nicht mehr der Allmächtige, Weise und Gute, — unter den herabgesetzten Menschen herab, denn dem Menschen wäre ein besserer Gott gedenkbar. Doch weg mit diesen empörenden Gedanken! Er ist der Weise, Gute und Erbarmende; alle seine Werke zeugens. Wo hätten wir diesen erhabenen Begriff von ihm geholt, wenn ihn nicht das Anschauen seiner Werke lehrte. Und wir, die wir ihn allein erkennen, die Wahrheit allein verstehen, sollten die einzigen Ausnahmen von ihr seyn? Die Wahrheit sollte in ihrem eigenen Widerspruche eingehüllt liegen, und fortgeerbt werden? Nimmermehr. Es wartet eine vollendende Ewigkeit auf uns. Dieser Ahndung der Vernunft kam Gottes Eingeborner mit der frohen Bestätigung entgegen, schon dadurch ein willkommener Himmelsbote, den Müden und Bekümmerten ein lieber angebeteter Engel des Trostes. Unsterblichkeit ist in der Lehre Jesu nicht an seinem Ort ein einzelner Artikel, ein Theil des Ganzen. Sie athmet in seiner ganzen Religion, in seinem ganzen Leben, in seinem ganzen Werk Sie ist der Grund, worauf alles ruht, der Geist, der alles belebt, das Ziel, zu dem alles führt. Der Befestigung des Glaubens an sie widmete er in den Tagen seines Lebens die höchste Anwendung seiner allmächtigen Gotteskraft, weckte auch in unserm Evangelium, nicht in einem verborgenen Winkel, sondern vor einem zahlreichen, ihm begegnenden und ihn begleitenden Volk, einen Todten ins Leben zurück, zum Beleg einer großen Ankündigung: Es werden alle, die in den Gräbern sind, meine Stimme hören, und hervorgehen. In diesem Lichte lasset uns die Absichten und Wege der Vorsehung betrachten. Das jetzige Leben ist Anfang wie des Daseyns so der Schicksale. Wir gehen über das Grab hinweg in eine fortlaufende Zukunft. Der Punkt, der alles zu trennen scheint und abzuschneiden, ist innige feste Verbindung, macht aus der Zeit und aus der Ewigkeit Zusammenfügung in ein Ganzes. Manches unsrer Schicksale entwickelt sich schon hier; aber der größte und beste und wesentlichste Tbeil derselben läuft mit uns an mannigfaltigen zarten Fäden in die Ewigkeit hinüber. Laßt uns dieser Unvollkommenheit des irdischen Glücks, dieses Anfangs ohne Vollendung, dieser Saat ohne Erndte uns freuen. Sie verbürgt uns eine bessere Zukunft mit. Gebts dem guten waltenden Schöpfer anheim, der jedem Stern der Nacht seinen Aufgang, jeder verborgenen Pflanze die Zeit ihrer Blüthe bestimmt, ob er nun bald, hier oder dort eure Wünsche erhören oder für das Thörichte, das ihr bittet, etwas besseres geben werde. Unterdessen wird er Kraft zum Dulden, Erquickung dem Müden, Trost dem Betenden wie Thau vom Himmel senden, und keinen versuchen über sein Vermögen, sondern machen, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß ihrs möget ertragen, Legt einst ruhig eure Last und eure Freuden neben dem Grabe ab; auch ihr werdet seine Stimme hören: Entschlummerter, ich sage dir: stehe auf! Wie ein fremder Wassertropfen im strömenden Fluß wird dann das Andenken an vollendete Erdenmühen sich verlieren, und übergehen in Freuden und Segen ohne Maß und Ende eine Prüfung eures Lebens nach der andern, — in gepriesene Vollendung übergehen, und Dank und Lobgesang dem Weisen und Erbarmenden der Ausdruck eurer Empfindung seyn. Amen.
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