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Der Ursprung: Hebels Quelle für
Kindesdank und Undank |
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56.
Der Räthselvolle Bauer
Ein gewisser König ging einsmals auf dem Fel-
de in schlechter Kleidung spaziren, weil er nicht
erkannt seyn wollte. Er fand einen Bauer, der den
Acker bearbeitete, und einige funfzig Jahre
alt zu seyn schien; er hatte weiße Haare, und
arbeitete im bloßen Kopfe. Der König redete ihn
an: Gott behüte dich, Mensch der Erde. Und
auch euch, Herr der Erde, antwortete der Bauer.
Warum nennest du mich so? fragte der König; ken-
nest du mich? Nein, sagte der Bauer, (welcher
ihn wohl kannte, aber merkte, daß der König ver-
borgen bleiben wollte,) aber ich nenne euch darum
so, weil der Mensch ein Herr der Erde seyn soll,
indem Gott dieselbe zu seinem Gebrauche er-
schaffen hat. Der König wurde seine weißen Haa-
re gewahr, und sagte: Es hat auf dem Berge
sehr geschneyet. Die Zeit bringt es so mit
sich, antwortete der Bauer. Als der König aus
diesen zweydeutigen Antworten des Bauers schloß,
daß er viel natürlichen Verstand habe, ließ er sich
mit ihm in ein weiteres Gespräch ein. Ihr arbeitet
viel, sagte er, und seyd doch schon sehr alt. Ich
habe wohl welche, die noch älter sind als ich, zu
ernähren, antwortete der Bauer, und ich muß auch
arbeiten, um mir selbst den Lebensunterhalt zu ver-
schaffen. Wie viel verdienet ihr täglich? fragte der
König. Acht Schillinge, antwortete er. Ist denn
das zu eurer Nahrung hinreichend? sagte der Kö-
nig. Es muß wohl noch zu einem mehrern reichen, |
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erwiederte der Bauer,
denn, was ich verzehre, ist
das wenigste. Nun wozu verbraucht ihr sie denn?
fragte der König. Der Bauer antwortete: Ich
brauche zu meiner und meiner Frau Nahrung
nur täglich zwey Schillinge, mit zwey andern
zahle ich meine Schuld täglich ab, zwey Schil-
inge verleihe ich alle Tage, und zwey werfe ich
täglich weg. Wie soll ich das verstehen? fragte
der König. Der Bauer antwortete: Zwey Schil-
linge verzehre ich täglich mit meiner Frau, und für
ein so weniges Geld können wir freylich nicht
viel genießen mit zwey andern Schillingen
zahle meine Schuld ab, denn ich habe
noch
Vater und Mutter, welche beyderseits so alt
sind, daß sie nicht mehr selbst arbeiten kön-
nen und da sie mich in meiner Jugend er-
nähret haben, so ernähre ich sie jetzt in ihrem Al-
ter, auf diese Weise zahle ich ihnen meine
Schuld ab. Die zwey andern Schillinge, wel-
che ich täglich verleihe, sind zur Ernährung
meiner Söhne, welche noch so jung sind, daß sie
nicht selbst arbeiten können, denn ich habe erst
geheyrathet, als ich schon ziemlich bey Jahren
war; dieses Geld leihe ich ihnen jetzt, weil ich
hoffe, daß sie es mir wiedergeben werden, wenn
sie zu arbeiten im Stande sind, und ich vor ho
hem Alter nichts mehr werde thun können, so wie
ich es jetzt denen wiedergebe, die mich in meiner
Jugend ernährt haben. Endlich die zwey Schil-
linge welche ich täglich wegwerfe, sind zur Un-
terhaltung der beyden Töchter, welche ich von
meiner zweyten Frau habe; davon kann ich |
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niemals etwas wieder
hoffen, weil sie wenn sie
groß sind, Männer bekommen, welche sie ver-
hindern werden, mir wieder etwas zu geben. Der
König fand großes Vergnügen
an den Reden
dieses Bauers. Höret, sagte er zu ihm, mir hat
euer Gespräch
sehr wohl gefallen, aber ich verbiete
euch bey scharfer Ahndung, niemanden
etwas von
dem zu sagen was, ihr mit mir gesprochen habt, es
sey denn in
meiner Gegenwart: Betrachtet die-
ses Gesicht recht, und ehe ihr nicht
dasselbe wie-
der sehet, entdecket keinem, was ihr jekt zu
mir gesaget habt.
Der Bauer versprach es.
Der König ging nach der Stadt zurück,
und ließ am
folgenden Tage alle Gelehrten
zusammenrufen, welchen er erzählete, daß er
am
vorigen Tage einen Bauer gesprochen, der im
Stande sey, sie alle zu
verwirren. Er sagte ih-
nen, daß dieser Bauer täglich acht Schillinge
verdiene . Zwey davon braucht er zur Nahrung
für sich und seine Frau; mit zweyen zahle er
seine Schulden ab; zwey verleihe er, und zwey
werfe er weg.
Er verlangte hierauf die Auslegung
dieser Worte von ihnen. Sie wurden
sehr erstaunt,
und wußten nicht, was sie antworten sollten. Der
König sagte, daß er ihnen drey Tage Bedenkzeit
geben wolle, und wenn sie es hernach nicht erra-
thet hätten, so wolle er sie, als Ignoranten, aus
der Stadt
jagen. Sie quäleten sich sehr, den
Sinn zu finden, ohne daß sie ihn treffen
konnten.
Endlich entschlossen sie sich, den Bauer allenthalben
aufzusuchen,
um aus seinem eigenen Munde die
Auslegung zu haben. Sie erkundigten sich
in |
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welcher Gegend der König
am vorigen Tage spa-
tziren gegangen, und nahmen denselben Weg. Sie
ließen
sich mit allen Bauern ein, welche ihnen be-
gegneten, um zu erfahren, ob es
der sey, wel-
chen sie sucheten. Endlich fanden sie ihn. Er
gestand, daß er
mit dem Könige gesprochen, und
denselben recht gut gekannt habe. Sie
fragten
ihn, welche Reden er mit dem Könige geführet
habe, aber er sagte, daß ihm verboten sey, da-
von zu sprechen. Sie fragten weiter, ob er
nicht
dieses und jenes mit dem Könige geredet
habe? Er antwortete: Ja. Sie baten
ihn um
die Auslegung, und versprachen ihm dieserhalb
große Belohnungen.
Allein er trauete nicht, und
wollte nichts entdecken. Sie gingen darauf in
die
Stadt zurück, und kamen mit einer großen Menge
goldener Münzen wieder
zu ihm, auf welchen des
Königs Bildniß war. Als diese der Bauer erhielt,
entdeckte er ihnen ohne Schwierigkeit alles, was er
mit dem Könige
gesprochen. Sie gingen darauf
voller Freuden zu dem Könige, und sagten ihm
die Auslegung. Der König wurde wider den
Bauer aufgebracht, weil er leicht vermuthen
konnte, daß dieser den Gelehrten die Entdeckung
müste gemacht
haben. Er ging zu ihm und sagte:
Freund, warum habt ihr nicht das Wort ge-
halten, welches ihr mir gegeben habt? Ich,
mein Herr, antwortete der Bauer
,habe alles
genau beobachtet, was Sie mir befohlen ha-
ben. Allein, erwiederte der König, hatte ich euch
nicht verboten, jemanden die Reden
auszulegen,
welche ihr mit mir geführet, und dennoch weiß ich, |
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daß ihr sie denen und
denen entdecket habt? Der
Bauer antwortete, das sey wahr: aber, fügte er
hinzu, ich habe nichts wider Ihre Befehle ge-
than. Anfänglich kamen diese Leute ohne Sie,
und darum habe ich ihnen auch nichts sagen wol-
len. Denn Sie hatten mir verboten, etwas zu
sagen, wenn ich Ihr Gesicht nicht sähe. Dar-
auf kamen sie wieder, und brachten mir Ihr
Gesicht nicht einmal, sondern eine ganze Men-
ge Ihrer Gesichter, wie Sie hier sehen, (indem
er dieses sagte, zeigte er dem Könige die goldenen
Münzen,) und da habe ich weiter keine Schwie-
rigkeit gemacht, ihnen alles zu beantworten,
was sie mich frageten. Der König verwunderte
sich über den feinen Verstand des Bauers, und man
sagt, daß er ihn an seinen Hof genommen, und aus
einem armen zum reichen
Manne gemacht habe. |
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