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Die Irrlichter

Es wandlen in der stille dunkle Nacht
wohl Engel um, mit Sterneblume g'chrönt,
uf grüne Matte bis der Tag verwacht,
und do und dört e Betzit-Glocke tönt.

Sie spröche miteinander deis und das,
sie machen öbbis miteinander us;
's sin gheimi Sache, niemes rothet, was?
Druf göhn sie wieder furt, und richte's us.

Und stoht ke Stern am Himmel und ke Mon,
und wemme nümme sieht, wo d'Nußbäum stöhn,
mü'en seli Marcher usem Füür an d'Frohn,
sie müen den Engle zünde, wo sie göhn.

Und jedem hangt e Bederthalben a,
und wenn's em öd wird, lengt er ebe dri,
und biißt e Stückli Schwefelschnitten a,
und trinkt e Schlückli Treber-Brentewi.

Druf putzt er d'Schnören amme Tschäubli ab,
Hui, flackerets in liechte Flammen uf,
und, hui, gohts wieder d'Matten uf und ab,
mit neue Chräfte, d'Matte ab und uf.

's isch chummliger so, wenn eim vorem Fuß
und vor den Auge d'Togge selber rennt,
aß wemme sie mit Hände trage muß,
und öbbe gar no d'Finger dra verbrennt.

Und schritet spot e Mensch dur d'Nacht derher,
und sieht vo witem schon die Kerli goh,
und betet lisli: "Das walt Gott der Her" -
"Ach bleib bei uns" - im Wetter sind sie do.

Worum? Sobald der Engel bete hört,
se heimelets en a, er möcht derzu.
Der füürig Marcher blieb io lieber dört,
und wenn er chunnt, se hebt er d'Ohre zu.

Und schritet öbsch e trunkne Ma dur d'Nacht,
und fluecht und sappermentet: "Chrütz und Stern"
und alli Zeichen, aß der Bode chracht,
sell hörti wohl der füürig Marcher gern.

Doch wirds em nit so gut. Der Engel seit:
"Furt, weidli furt! Do magi nüt dervo!"
Im Wetterleich, sen isch der wiit und breit
kei Marcher me, und au kei Engel do.

Doch goht me still si Gang in Gottis G'leit,
und denkt: "Der chönnet bliben oder cho,
ne jede weiß si Weg, und 's Thal isch breit",
sell isch's vernünftigst, und sie lön ein go.

Doch wenn der Wundervitz ein öbbe brennt,
me lauft im Uhverstand den Engle no,
sel isch ene wie Gift und Poperment;
im Augeblick se lön sie alles stoh.

Z'erst sage sie: "Denkwol es isch si Weg;
er goht verbei, mer wen e wenig z'ruck!"
So sage sie, und wandle still us Weg,
und sieder nimmt der füürig Ma ne Schluck.

Doch folgt me witers über Steg und Bort,
wo nummen au der Engel goht und stoht,
se seit er z'letzt: "Was gilts, i find en Ort,
du Lappi, wo di Weg nit dure goht!"

Der Marcher muß vora, mit stillem Tritt
der Engel hinterher, und lauft me no,
se sinkt men in e Gülle, 's fehlt si nit.
Jez weisch di B'richt, und iez chasch wieder goh!

Nei, wart e wenig, 's chunnt e guti Lehr!
Vergiß mers nit, schribs lieber in e Buch!
Zum Erste sagi: Das walt Gott der Her,
isch alliwil no besser, as e Fluch.

Der Fluch jagt d'Engel mittem Heil dervo;
ne christli Gmüeth und 's Bette zieht si a;
und wemme meint, me seh ne Marcher cho,
's isch numme so d'Laterne vorne dra.

Zum Anderen, und wenn en Ehre-Ma
ne Gschäft für ihn ellei z'verrichte het,
so loß en mache, was goht's di denn a?
Und los nit, wemme mittem Nochber redt!

Und goht me der us Weg, se lauf nit no!
Gang diner Wege furt in Gottis G'leit!
's isch Uhverstand, me merkt's enanderno,
und 's git en Unehr. Sag, i heig ders gseit.

 

 

 

In einem Brief vom 14. November 1822 an einen
 unbekannten Empfänger schreibt Hebel:

...In der Gegend , in welcher die
all. Gedichte sich bewegen , hält man
die sogenanten Irrlichter ( Frauen u.
Mäner ) für Geister von Gewissen-
losen , die bei Lebzeiten Gränz-
oder Marchsteine verrückt ha-
ben , daher der Name " Mar-
 cher ". Der Aberglaube sagt
uns folgendes hierzu : Wen
einer betet so komen sie , wen
einer flucht, so fliehen sie , wen
einer ihnen folgt, so geräth er
in einen Sumpf . Diese Erscheinung
hat wohl , wie weit sie wahr ist ,
Ihre ,  ihren ph
ÿsischen Grund. Ich
erinere mich aber aus den Jah-
ren in welchen s
ich selbst noch an
Gespenster glaubte , wie schmerzlich
es mir war, zu hören , daß  xxx          
Nähe das Fluchen nächtlicher xxx
das Beten seÿ , daher nun folgen-
de Modifikation der Mÿthen .
Die feurigen Marcher existiren.
Aber sie stehen unter der Botßig-
keit der Engel , die in den Näch-
ten Geschäfte auf der Erde verrich-
ten . Die f. Männer müßen als
da
n den E. vorangehen , nun ih-
nen durch den Schein ihrer bren-
nenden Körper zu leuchten. (Vergl.
das Gedicht: Der Dengelegeist )
Daher nähern sie sich den Be-
tenden u. fliehen vor den
Fluchenden , nicht sie , sondern
die E.   We
n man aber seines
unbefangenen Ganges ihnen
nemli* den E zu nahe komt , so weichen sie
aus , wie Leute , die etwas
Geheimes mit einander zu
besprechen oder zu Verrichten
haben . Hat man nun nicht
Anständigkeitssi
n genug , sie
gehen zu lassen , sondern ver-
folgt sie , wie zudringliche oder
Vorwitzige zu thun pflegen ,
so sinkt man zu lezt in eine
Pfütze . Hiernach die Moral
die sich nun von selbst ver-
steht.
Da Euer x einige andere
Stücke nicht aufnehmen, so
möchte ich vorschlagen auch
dieses auszuschließen , theils
weil ich es nicht zu meinen
gelungensten rechne, theils eben
weil es für das größere
Publikum einer Erklärung
bedarf. Ich hatte bei der erst-
Auflage nur meine Lands-
leute im Auge , u. gestehe,
daß ich dieses Gedicht kaum
würde aufgenommen haben
( einige andere ebenfalls
nicht ) we
n ich die große
Aufmerksamkeit u. Theil-
nahme hätte erwarten kön-
nen, womit diese Samlung
geehrt wurde...

 

Auf der 2. Seite fehlen rechts ausgerissene Teile -
die mit rot  markierten Buchstaben sind vermutbare
 Ergänzungen, die mit xxx markierten nicht zu erschließen.

f. = feurigen

E. = Engeln

* nemli = nemlich (nämlich)

x = ? (nicht lesbar)

Konsonantenverdoppelungen schreibt Hebel
 mit Reduplikationsstrich: m = mm ; n = nn;
das y mit Überpunkt wie i und j, geht in 'Verdana' nicht,
 deshalb hier als ÿ dargestellt.

 

 

Hermann Hendrich, "Irrlichter und Schlange" (Ausschnitt), 1882

 

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Bild:
Wikipedia
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