zurück zur Briefübersicht

 

 
   

AN SEBASTIAN ENGLER

 
   

[Ende Februar]—20. Merz 1804      

Hoffentlich werden Sie, mein lieber Angelo, von allen den Briefen, die ich seit einiger Zeit an Sie habe schreiben wollen, noch keinen erhalten haben, wen nicht Sir Lucifer sein Spiel mit uns treibt, der sich in unsere Correspondenz nichts zu meliren hat, weder in die, die wir wirklich mit einander führen, noch in die, die wir nicht führen. — Ich habe seit Ihrem letzten Schreiben viel geschlafen, und hätte gern die große Sonnenfinsternis Anno 1804. benuzt, mich wieder ins Bett zu legen, wens nur etwas dunkler geworden wäre. Was kann man in diesen Wind und Schneereichen Wintermonden beßeres thun? Etwa das Badische Magazin selig ins Lateinische übersetzen? oder die Inquisitionsakten von Schinderhanes u. Comp. in Hexameter bringen, z. B.

„Aber am 4ten Vendemiäire Morgens um Acht Uhr
ward der Schwarze Peter hineingeführt zum Verhöre.
Gegenwärtige waren die Bürger N. N. und N. N.
und das Verhör began: „Wie? seid ihr Peter der Schwarze?
— Peter, ia das bin ich. so nennt mich zeugend das Taufbuch.
Bin ich schwarz, so hat mich so die Sone geröstet,
oder der Rauch gemahlt. Ein Weißer bin ich gebohren,
und in Alzei getauft vom reformirten Herr Parrer.

Oder soll man an die Herausgabe eines trigonometrischen Almanachs denken, und ein Duzend rührende Scenen aus den Logarithmen-Tafeln zu Monats Kupfern auswählen? Oder eine Topographie des Sÿ Sirius nach Maßgabe des Lüneviller Friedens entwerfen? Data dazu würde Herr Hofbuchdrucker Müller zu verschaffen wohl wissen. Oder soll man sich in die Botanik des Aldebaran einstudiren, oder der Correspondenz eines gewißen Herrn Pfarrers in Süd-Süd-Westen auf Noten setzen? Lieber Erzbothe, oder Archangelo, damit zerstöre ich meine Zeit mir nicht, sondern wie gesagt, ich schlafe, und habe eben vor einer halben Stunde von Ihnen geträumt. Sie waren gesund. O mögen Sie es seÿn! Sie lachten. + O mögen Sie es! Das ist des Menschen sein Theil unter der Sonne, Gesundheit und ein froher Sin, wen man doch bisweilen wachen muß und nicht imer schlafen kann. Ich befolge daher die Regel des weisen Cohelet, daß es beßer seÿ in das Klagehaus gehen als in das Freuden haus, und gehe den ganzen Winter in keine Comödie oder Lustspiel, weil man darin nie sicher vor dem Weinen ist, wohl aber in alle Trauer u. Ernsthaften Schauspiele. Den da gibt es doch bisweilen etwas zu lachen —

Carlsruhe d. 20. Merz 1804. Lieber Erzbothe! Da bin ich vor ungefahr einem Monate bey dem Wort: lachen, wieder eingeschlafen und vor Kurzem wieder erwacht. Es wird wohl alles noch seÿn, wie es vor einem Monat war. Wenigstens ists heute kalt und schnee'ig, und der unglückliche Berginspektor, an den ich nicht ohne tiefes Bedauern denken kan, wird noch auf dem Brombacher Thor in Lörr. sitzen, wenigstens sizt der gute Pfarrer v. Wies noch beÿ dem Linkenheimer in Carlsruhe. Er fängt an, die spitzige und verfängliche Frage aufzuwerfen, wer der Narr seÿ er? — oder die, die ihn aus christlicher Theilnahme an seinem Zustand und Sorgfalt für seine Wiederherstellung nun bald 4 Monate lang, ohne Hülfe im Kerker schmachten lassen, worunter er meines Erachtens zunächst den ersten Senat zu verstehen hätte, vor welchem seine Sache ligt. Freilich hat der Senat wohl an andere Sachen auch zu denken, die theils wegen ihrer allgemeinern Wichtigkeit pressanter sind, theils von denen, welche sich dabeÿ interessiren, häufiger erinnert und eifriger betrieben werden, und es ist für den guten Pfarrer zu beklagen, daß dieses niemand für ihn zu thun scheint. Ich besuche ihn ieden zweiten oder dritten Tag (denn kein Mensch besucht ihn sonst,) und finde ihn in der manigfaltigsten Laune. Er ist oft so heiter, so witzig, so scharf beobachtend, so richtig schließend, selbst wen er von Luftgespinsten ausgeht, daß man, wen er nur nicht imer und unaufhaltsam allein spräche, die angenehmste und interessanteste Unterhaltung mit ihm haben könte. ist von weitem nicht abzusehen, wan er wegkomen, wo er hinkomen, was für seine Widerherstellung geschehen wird.

Haben Sie den beÿ den gegenwärtigen Vakaturen nicht auch ein wenig am Rad des Schicksals gerüttelt, oder fangen Sie an, mit Ihrer Lage sich auszusöhnen und sie lieb zu gewinen. Freilich wenn man das Informiren einmal angefangen hat, man ist wie behext, und kan sich nimer von der süßen Plage losmachen, zumal in Ihrer Lage. Sonst klagt man mit Recht, daß es den Schulmänern zu sehr an Bewegung und Zerstreuung unter den Menschen fehle, aber für Bewegung und frische Luft ist beÿ Ihnen gesorgt. Doch Sie möchten vielleicht statt einer Frage über diesen Gegenstand, lieber eine Antwort von mir hören. Herzlieber Angeliko, ich weiß nichts. Ich weiß nur so viel, daß ich Ihnen alles Schöne und Gute herzlich göne und wünsche, und beÿ diesem Bekentnis der Freundschaft einen großen Wunsch unterdrücke. Den wen Sie gerne Pfarrer in Hausen seÿn könten, so wäre mirs noch lieber, Sie wissen nun einmal, was ich einst für ein böser Bub war. Soll's, wen Sie Morgen oder übermorgen fortgehn, ein anderer auch erfahren, zulezt gar noch einer von meinen Schülern, an die es bald komen wird? Gott befohlen, mein Bester Angelo, und Ihrem frölichen Weiblein meinen hertzlichen Gruß. In Neusatz und Rothensol ist alles ruhig.

Ihr

                                                                             redlicher Fr.

                                                                               Hebel

 

    Konsonantenverdoppelungen schreibt Hebel mit Reduplikationsstrich: m = mm ; n = nn;
das y mit Überpunkt wie i und j, geht in Webbrowsern nicht, deshalb hier als ÿ dargestellt

Die Lesefehler sowie die ev. beabsichtigten Anpassungen von Zentner an den "Zeitgeist" - wurden an Hand des Autographen korrigiert. Einige Wörter, am Zeilenende, die beim A. fehlen, wurden sinngemäß ergänzt. Unklar sind in den letzten Zeilen bef[ohlen] und We[iblein].

Lörr. = Lörrach; Neusatz = Ortsteil von Bühl; Rothensol = Ortsteil von Bad Herrenalb.

Vakatur = Synonym für Vakanz

Berginspektor = Johann Jeremias Herbster, seit 1769 Faktor, seit 1784 Berginspektor am Bergwerk in Hausen, der wegen Unterschlagung von Geldern des Amtes enthoben und eingesperrt wurde. Deswegen hat Hebel auch ab der 2. Auflage der Al. Gedichte die Widmung weggelassen.

 

Aktuell völlig unklar ist jedoch, wie der Autograph in die Eutiner Landesbibliothek gelangen konnte.

 

 
 


1   


   2

3   

   4
  zurück zur Briefübersicht


Eutiner Landesbibliothek, Autogr. II.19.2.

 

 

nach oben