47. Die Verurteilung Jesu.
Der Todestag Jesu war angebrochen.
Mit dem frühen Morgen versammelte sich der Hohe Rat der Juden. Da
sprachen sie das Todesurteil über ihn aus, wie sie in der Nacht es
beschlossen hatten. Es war von nichts anderm mehr die Rede. Zwar einer
von ihnen, Joseph von Arimathia, willigte nicht in ihren Rat, Nikodemus
auch nicht, der einst in der Nacht zu Jesu gekommen war. Sie liebten und
ehrten ihn; aber sie konnten ihn nimmer retten.
Hierauf führten ihn seine Feinde vor den römischen Statthalter oder
Landpfleger Pontius Pilatus, daß er das Todesurteil bestätigte und
vollziehen ließe. Sie selbst durften es nicht vollziehen. Es zog auch
viel zusammengelaufenes Volk mit, wie zu geschehen pflegt. Unter ihnen
waren ohne Zweifel Gedungene von den Pharisäern. Die Bosheit und
Rachsucht erlaubt sich alle Mittel, daß sie ihre gottlose Absicht
erreiche. Pilatus fragte sie: »Was habt ihr für eine Klage gegen diesen
Menschen?« Sie sprachen: »Das Volk macht er aufrührisch und verbietet,
dem Kaiser die Schatzung zu geben, und sagt, er sei der König.« Sie
beschuldigten ihn nämlich, als wenn er ein weltlicher König sein und dem
Kaiser die Herrschaft über das Land entziehen wollte, die Boshaften.
Pilatus verhörte ihn: »Bist du der Juden König?« Jesus antwortete ihm:
»Ein König bin ich. Aber mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Pilatus
überzeugte sich bald von der Unschuld des frommen Jesus und dachte
daran, ihn zu retten. Deswegen hörte er es nicht gerne, daß Jesus den
Ausdruck gebrauchte: »Ich bin ein König.« Er hätte lieber gehört: »Ich
bin kein König.« Aber Jesus sprach: »Ich bin dazu geboren und in die
Welt gekommen, daß ich die Wahrheit bezeugen soll.«
Pilatus gab den Juden unverhohlen den Bescheid, daß er keine Schuld an
ihm finde. Aber sie beharrten darauf, daß er sterben müsse; nach ihrem
Gesetz müsse er sterben. Denn sie kannten den Pilatus wohl, daß er kein
fester und herzhafter Mann sei. Pilatus schickte Jesum zu Herodes, weil
Herodes Fürst von Galiläa war; damals aber befand er sich in Jerusalem.
Herodes verspottete ihn und schickte ihn wieder zurück.
Pilatus wendete sich nun an das gemeine Volk, welches sich vor dem
Richthaus versammelt hatte. Das Volk hatte ein altes Recht, auf das
Osterfest einen von den Gefangenen frei zu bitten. Damals saß ein
Aufrührer und Mörder gefangen mit Namen Barrabas. Pilatus redete das
Volk an: »Soll ich euch den Barrabas losgeben oder Jesum?« Er hoffte,
das Volk würde um Jesum bitten. Aber sie baten um Barrabas. Er fragte
sie: »Was soll ich denn mit Jesu anfangen?« Sie antworteten: »Kreuzige
ihn!«
O, wo sind die guten Menschen, die wenige Tage vorher den Einzug Jesu
mit Hosianna feierten? Die seinen Einzug mit Hosianna feierten, sind
nicht da. Viele sind daheim und trauern und kommen erst am Pfingstfest
wieder. Wann die Rotte der Bösen triumphiert, so trauern die Guten und
beten. Pilatus machte noch einen Versuch, das Mitleiden des Volks durch
Grausamkeit zu erregen. Er ließ den frommen Jesus geißeln. Nach der
Geißelung legten ihm die römischen Kriegsknechte einen Purpurmantel um.
Sie flochten eine Krone von Dornen und setzten sie auf sein Haupt. Sie
gaben ihm einen Stab in die Rechte. Sie knieten spottweise vor ihm
nieder und sprachen: »Gegrüßest seist du, der Juden König!« Sie standen
wieder auf, nahmen den Stab aus seiner Hand und schlugen damit auf sein
Haupt. Als er diese und noch mehr Mißhandlungen ausgeduldet hatte,
stellte ihn Pilatus mit seinen Striemen, mit seinen Wunden, in seinem
Blut wieder vor das Volk. »Seht doch,« sprach er, »welch ein Mensch!«
Aber die empörte Rotte beharrte darauf, daß er sollte gekreuziget
werden. Ja die Priester drohten zuletzt dem Landpfleger mit dem Kaiser.
»Lässest du diesen los,« sprachen sie, »so bist du des Kaisers Freund
nicht.« Da setzte sich endlich Pilatus auf den Richtstuhl und tat den
Ausspruch, daß Jesus sollte gekreuziget werden. Doch wusch er seine
Hände und sprach: »Ich bin unschuldig an dem Blute dieses Gerechten;
sehet ihr zu!« Also bezeugte der Richter mit eigenem Munde, daß er einen
Unschuldigen gerichtet habe.
Als Judas, der Verräter, sah, daß Jesus zum Tode verurteilt wurde, da
reuete ihn seine schreckliche Tat. Er brachte das Blut- und Sündengeld
den Priestern wieder. Er sprach: »Ich habe unrecht getan, daß ich
unschuldig Blut verraten habe.« Aber böse Menschen haben miteinander
keine Barmherzigkeit. Sie sprachen: »Das geht uns nichts an. Das ist
deine Sache. Da siehe du zu.« Solche Absolution gaben ihm die Priester
auf seine Beichte. Damit warf er verzweiflungsvoll das Blutgeld, die
dreißig Silberlinge, in den Tempel, suchte einen einsamen Ort und
erhenkte sich. Ein solches Ende nahm der Jünger, der um dreißig
Silberstücke seinen Herrn mit einem Kuß verraten hatte. Solchen Gewinn
brachte ihm sein Frevel. Solchen Gewinn bringt der Frevel.
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