28. Von dem verlornen
Sohn.
Ein Mann hatte zwei Söhne. Der
jüngere sprach: »Gib mir, Vater, das Teil der Güter, das mir gehört.«
Darauf teilte er ihnen das Gut. Nicht lange hernach nahm der jüngere
Sohn sein Vermögen zusammen, zog damit in ein anderes Land und verpraßte
sein Vermögen. Als er nun alles verzehrt hatte, kam eine Teurung in das
Land. Er fing an zu darben und wendete sich an einen Bürger des Landes;
der schickte ihn auf seinen Acker, daß er die Schweine hütete. Abends,
wenn er heimkam, wünschte er sich zu sättigen mit der Nahrung, die man
den Schweinen vorwarf; aber niemand gab sie ihm. Endlich ging er in sich
und sprach: »Wie viele Taglöhner hat mein Vater, die Speise genug haben,
und ich verderbe vor Hunger. Ich will zu meinem Vater gehen und zu ihm
sagen: Ich habe gesündiget in dem Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr
wert, daß ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Taglöhner!«
Er tat, wie er sich vorgenommen hatte. Als ihn der Vater von ferne
erblickte, wie er herzukam in seiner Armut und in feinem Elend, jammerte
ihn seiner. Er ging ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küßte ihn.
Der Sohn sprach: »Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor dir. Ich
bin nicht wert, daß ich dein Sohn heiße.« Aber der Vater befahl seinen
Knechten: »Bringet das beste Kleid her und leget es ihm an und einen
Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße, und bringet ein gemästetes
Kalb her und schlachtet es. Lasset uns essen und fröhlich sein; denn
dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig worden. Er war verloren
und ist wieder gefunden worden.« Also fingen sie an, fröhlich zu sein.
Der älteste Sohn war damals auf dem Felde. Als er nach Hause kam und die
Gesänge und den Reigen hörte, fragte er einen von den Knechten, was das
bedeute. Der Knecht sagte: »Dein Bruder ist wiedergekommen. Dein Vater
hat ihm ein gemästetes Kalb geschlachtet in der Freude, daß er ihn
wieder hat.« Darüber ward der Bruder zornig und wollte nicht
hineingehen. Der Vater ging zu ihm hinaus und redete mit ihm. Der Sohn
sprach: »Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch
nie übertreten; aber mir hast du noch nie ein Böcklein gegeben, daß ich
mit meinen Freunden fröhlich wäre. Jetzt, da dein Sohn gekommen ist, der
sein Gut mit leichtfertigen Leuten verschlungen hat, hast du ihm ein
Kalb geschlachtet.« Darauf erwiderte ihm der Vater: »Mein Sohn, du bist
allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein. Du solltest
aber fröhlich und gutes Mutes sein. Denn dieser dein Bruder war tot und
ist wieder lebendig worden. Er war verloren und ist wiedergefunden.«
Was sagt die Geschichte von dem verlornen Sohn? Leichtsinn führt zur
Sünde; Sünde führt ins Unglück; Unglück weckt zur Erkenntnis und Reue.
Die Reue rechter Art führt zu dem Vater. Kein Vater kann den Tränen
seines unglücklichen und reuemütigen Kindes sein Herz verschließen. Er
nimmt es mit Erbarmen wieder an und mit Freude, wenn es gebessert ist. —
Gott ist der erbarmende Vater alter Menschen, welche sich mit Vertrauen
zu ihm wenden. Seine Barmherzigkeit ist größer als der Menschen
Barmherzigkeit. |