22. Mehrere Wunderwerke
Jesu.
An einem Abend fuhr Jesus mit
seinen Jüngern über das Meer, an welchem Kapernaum liegt. Mehrere andere
Schiffe zogen ebenfalls mit. Jesus, von den wohltätigen Handlungen des
Tages ermüdet, legte im Hinterteil des Schiffes sein Haupt auf ein
Kissen und entschlief. Unterdessen erhob sich ein heftiger Sturm auf dem
Meer, und die Wellen schlugen in das Schiff. Als sich die Jünger nimmer
erwehren konnten, — das Schiff war schon voll Wasser — weckten sie
Jesum: »Herr, hilf uns! Wir verderben. Fragst du nichts danach, daß wir
zugrunde gehen?« Also riefen die Jünger, und gar oft scheint es so, daß
der, welcher allein kann helfen, nichts danach frage, wenn alles
zugrunde gehen will. Aber Jesus bedrohete den Wind und sprach zu dem
stürmischen Meer: »Sei still und verstumme!« Da legte sich der Wind, und
das Meer ward stille.
»Wie seid ihr so furchtsam,« sprach er zu den Jüngern. »Daß ihr doch
keinen Glauben habt!« Die Leute aber, welche mitschifften, verwunderten
sich und sprachen: »Was ist das für ein Mann, daß ihm Wind und Meer
gehorsam sind!«
Als das Schifflein wieder zurückkam, war schon wieder eine große Menge
Volks am Ufer versammelt. Ein Obrister der Schule, mit Namen Jairus,
wartete ängstlich auf die Rückkehr Jesu, weil er ein sterbendes Kind
daheim hatte, das ihm so lieb war. Er fiel vor Jesu nieder und sprach zu
ihm: »Meine Tochter ist in den letzten Zügen. Du wollest kommen und
deine Hand auf sie legen, daß sie gesund werde und lebe.« Die ganze
Menge des Volks begleitete Jesum, weil sie das Wunder gern sehen
wollten, das er tun würde. Denn viele folgten ihm nur aus Neugierigkeit
nach, aber nicht alle. Es drängte sich eine Frau herzu, die schon zwölf
Jahre lang an einer beschwerlichen Krankheit litt. Sie hatte schon ihr
ganzes Vermögen an ihre Genesung verwendet, und es ward nicht besser.
Diese Frau hatte das Vertrauen, daß sie würde gesund werden, wenn sie
Jesum nur anrührte. Als sie nun sein Kleid von hinten anrührte, fühlte
sie alsbald, daß sie von ihrer Plage genesen sei. Jesus stand stille. Er
schaute um und fragte: »Wer hat mich angerührt?« Petrus sprach: »Das
Volk drücket dich, und du fragst noch: Wer hat mich angerührt?« Die Frau
aber fiel furchtsam vor ihm nieder, als wenn sie etwas Unrechtes getan
hätte, und sagte ihm die ganze Wahrheit. Jesus sprach zu ihr: »Meine
Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht. Gehe hin im Frieden!«
Aber was wird unterdessen aus des Jairus todkranken Töchterlein? Indem
Jesus obiges redete und stillstand, kam aus dem Hause des Jairus eine
Botschaft zu ihm: »Deine Tochter ist jetzt gestorben. Bemühe den Meister
nicht!« Jesus ließ den tiefgebeugten Vater nicht zum Ausdruck seines
Schmerzes kommen. Er sprach zu ihm: »Fürchte dich nicht, vertraue nur!
Deine Tochter wird gerettet.« Bis sie aber an das Trauerhaus gelangten,
waren daselbst schon viele Leute versammelt, die weinten und weheklagten
und übten die Gebräuche aus, die nach Landesart in den Trauerhäusern
vorgenommen wurden. Jesus sprach: »Weinet nicht! Das Kind ist nicht tot;
es schläft.« Etliche lachten über dieses schöne, trostreiche Wort. Gar
oft lacht der Unverstand. Jesus aber sorgte dafür, daß alle Leute
hinweggeschafft wurden, daß das Töchterlein nicht erschrecken sollte,
wenn es aufwachte aus seinem tiefen Todesschlaf. Ein
menschenfreundliches Gemüt gibt auf alles acht. Es durfte niemand
dableiben als die Eltern des Kindes und die drei Jünger Petrus, Jakobus
und Johannes. Als sie nun so allein an dem Bett des erblaßten Mägdleins
standen, ergriff es Jesus bei der Hand und sprach: »Kind, stehe auf!«
wie wenn am Morgen eine Mutter ihre Kinder weckt. Sie stehen frisch und
munter auf und begrüßen das freundliche Tageslicht. Also stand auch auf
den Ruf Jesu das entschlafene Töchterlein des Jairus auf, daß sich auch
seine Eltern vor Schrecken und Freude entsetzten. Jesus aber befahl, man
solle dem Kinde etwas zu essen geben. In der Bestürzung und Freude
hätten es die Eltern fast vergessen.
So tröstete und erfreute er bei jeder Gelegenheit. Wohin er ging, ging
Wohltun mit. Sein Wort, sein Werk und jeder Schritt war Segen und
Erbarmen.
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