35. David will den Nabal
ermorden.
David beschützte in der Landschaft
Maon eine lange Zeit die Herden eines reichen Mannes mit Namen Nabal und
lebte im Frieden mit seinen Hirten. Dreitausend Schafe und tausend
Ziegen hatte Nabal auf der Weide und war doch ein unverständiger und
böser Mann. Reichtum und Verstand ist zweierlei.
Gott, gib mir ein verständiges Herz!
Einst ließ Nabal seine dreitausend Schafe scheren und gab seinen Leuten
eine große Mahlzeit; denn das war bei den morgenländischen Hirten ein
reiches und herrliches Freudenfest. David schickte zu ihm zehn von
seinen Jünglingen; die wünschten ihm in seinem Namen Glück zur
Schafschur und begrüßten ihn mit freundlichen und sittigen Worten, daß
er ihrem Herrn, dem David, zum Dank etwas mitteilen wollte von seiner
reichen Mahlzeit und von seinem Segen. »Deine Hirten«, sagten sie, »sind
mit uns gewesen, und wir haben ihnen nie etwas zuleide getan. Sie haben
nie etwas verloren an der Zahl ihrer Schafe.« Nabal aber antwortete den
Jünglingen mit einer schnöden Rede: »Wer ist der David? Es laufen jetzt
der Knechte viel im Land herum, die ihren Herren entlaufen sind. Soll
ich nehmen, was ich für meine Leute geschlachtet habe, und es Leuten
geben, die ich nicht kenne, wo sie her sind?« — So sprach der
unverständige Mann. — Als David diese Antwort vernahm, befahl er im Zorn
seiner Mannschaft, jeglicher soll sein Schwert an die Seite gürten und
mit ihm ziehen. Er selbst gürtete sein Schwert und zog mit ihnen aus und
war im ersten Zorn nichts anderes willens, als den Nabal und alle seine
Leute zu überfallen und zusammenzuhauen. In solche Gefahren stürzt sich
der Unverstand und seine Schwester, die Grobheit. Die Grobheit ist die
Schwester des Unverstands.
Als aber David auf dem Wege zu der großen Sünde war, die er begehen
wollte, schickte ihm Gott sozusagen einen warnenden Engel entgegen,
nämlich die Abigail, des Nabals verständige Hausfrau. Abigail war nicht
zugegen, als Davids Boten mit Nabal redeten und er mit ihnen. Als sie
aber von den Hirten vernahm, was Nabal geredet hatte, rüstete sie ohne
Verzug ein Geschenk für David, zweihundert Brote, fünf gekochte Schafe,
auch Mehl und Wein, Rosinen und Feigen, und eilte damit dem zürnenden
David entgegen. Abigail redete mit David freundliche und verständige
Worte: »Sieh es als eine Schickung Gottes an, daß ich zu dir komme, daß
deine Hand kein Blut vergieße. Du wirst des Herrn Kriege führen. Niemand
müsse dir etwas Böses nachsagen können. Dein Herz sei frei von jedem
Vorwurf! Bringe keine Blutschuld auf den Thron von Israel!« — Ein gutes
Gemüt ist durch vernünftige Vorstellungen leicht zu lenken. Es
widerstrebt den Ermahnungen nicht, die ihm Gott durch gute Menschen
zukommen läßt.
David ging in sich und sprach zu Abigail: »Gelobet sei der Herr, der
dich mir hat entgegengesandt, und gesegnet seist du und deine Rede; du
hast mich bewahrt, daß ich mir nicht selbst habe Recht verschafft mit
Blut.« David empfing von ihrer Hand, was sie ihm gebracht hatte, und
sprach zu ihr: »Siehe mit Frieden hinauf in dein Haus! Siehe, ich habe
deiner Stimme gehorchet.«
Also hat die Besonnenheit eines Weibes den Zorn eines beleidigten
Kriegshelden entwaffnet und sechshundert Schwerter in ihre Scheiden
zurückgebracht. Gutes Wort findet gute Statt. Unterdessen lebte Nabal
daheim in Herrlichkeit und Freude und wußte nicht, daß sein Leben nur an
einem Faden hing. Als er aber am andern Morgen von Abigail, seiner Frau,
erfuhr, in welcher Todesgefahr er gewesen sei, erstarrte sein Herz in
seinem Leibe vor Schrecken. Nach zehn Tagen war er eine Leiche. Da bot
ihr David seine Hand zur Ehe. Es ward die verständige Abigail zur
Ehefrau dem David, den Gott zum König über Israel ersehen hatte.
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