30. Samuel und Saul.
War Samuel einst ein frommer
und aufgeweckter Knabe, so war er jetzt auch ein eifriger und gerechter
Vorsteher des Volks und sah streng darauf, daß das Gesetz Moses’
gehalten wurde, nicht nur auswendig in den Werken, sondern auch mit
inwendigem Gehorsam des Herzens. Jedermann, wer nicht sehr ein gutes
Gewissen hatte, fürchtete sich vor seiner Gerechtigkeit und vor seiner
Strenge. Damals war Israel wieder abtrünnig geworden und diente den
fremden Göttern. Samuel brachte sie zu dem Gott ihrer Väter zurück. Da
gab ihnen Gott auch wieder Glück gegen die Philister, ihre Feinde. Sie
eroberten alle Städte wieder, welche ihnen die Philister genommen
hatten, und Samuel errichtete zum Andenken an der Grenze einen Stein,
den er Eben Ezer, auf deutsch »Stein der Hilfe« nannte, und sprach: »Bis
hierher hat der Herr geholfen.«
Als Samuel älter war, vertraute er einen Teil seines Richteramtes seinen
Söhnen an. Aber seine Söhne traten auch nicht in seine Fußstapfen. Es
kamen die Ältesten von ganz Jsrael zu Samuel und sagten ihm an, daß sie
nimmer wollten von Richtern regiert sein; sondern sie wollten auch einen
König haben wie andere Völker. Diese Rede gefiel dem Samuel gar übel.
»Ist nicht Gott euer König,« sagte er, »und warum wollt ihr einen
andern?« Aber sie beharrten auf ihrem Sinn. Samuel war damals in großer
Bekümmernis und wußte nicht, wen er ihnen zum König geben sollte. Aber
Gott läßt oft aus wunderbaren Wegen zusammenkommen, was sich finden
soll.
In dem Gebirge des Stammes Benjamin hatten sich die Eselinnen eines
Mannes mit Namen Kis, der gleichwohl ein reicher Mann mag gewesen sein,
von der Weide verloren. Kis befahl seinem Sohne Saul, einen Knecht mit
sich zu nehmen und die vermißten Tiere zu suchen. Sie gingen durch das
Gebirg Ephraim, durch zwei und drei Landschaften und fanden nicht, was
sie suchten. Sie waren jetzt in der Nähe einer Stadt auf einer Anhöhe,
und Saul wollte bereits wieder umkehren, - es war schon der dritte Tag,
- damit nicht der alte Vater daheim noch mehr bekümmert würde um seinen
Sohn, als um die verlornen Tiere. Da tat ihm noch sein Knecht den
Vorschlag, in jene Stadt hinaufzugehen. Es sei ein berühmter Mann Gottes
daselbst, der ihnen vielleicht sagen werde den Weg, den sie gehen
sollten. In der Stadt begegnete ihnen ein Mann; den fragten sie, wo der
Seher anzutreffen sei. Seher nannte man zu selbiger Zeit die Propheten.
Der Mann war Samuel, und war um diese Zeit auch in die nämliche Stadt
gekommen, daß er daselbst ein Opfer verrichtete. Samuel gewann in seinem
Herzen die Überzeugung, daß dieser Saul der sei, den Gott zum König über
sein Volk Israel ausersehen habe. Er nahm ihn mit sich zu dem Opfer und
tat ihm auf dem Wege kund, was sein und seines Hauses herrliches
Schicksal sei. Aber der schlichte Sohn des Benjaminen Kis konnte es
nicht begreifen. Ein solcher Gedanke wäre nie in sein Herz gekommen.
Des andern Tages, als er seine Heimreise antreten wollte, begleitete ihn
der Prophet und salbte ihn in der Stille zum König in Israel. Als er ihn
entließ, sagte er ihm manches zum voraus, was ihm auf der Heimreise
begegnen würde. Was ihm der Prophet voraussagte, begegnete ihm. Also
gelangte Saul wieder zurück in sein väterliches Haus mit dem Wort in
seinem Herzen, daß er nun bald als König in Israel erscheinen werde.
Sein Oheim fragte ihn, was der Prophet mit ihm geredet habe. Saul
antwortete: »Er sagte uns, daß die verlorenen Tiere wieder gefunden
seien,« was auch wirklich so war. Aber das Wort in seinem Herzen
vertraute er ihm nicht an.
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