29. Eli und Samuel.
Nach den Kriegshelden
richtete der Priester Eli in Israel vierzig Jahre lang. Er wohnte in
Silo; denn daselbst stand dazumal die Stiftshütte. Jährlich an den hohen
Festtagen versammelten sich die Israeliten vor der Stiftshütte, daß sie
Gott daselbst anbeteten und vor ihrem Gott fröhlich wären. Aber wie kann
ein angefochtenes Herz fröhlich sein?
Eine angefochtene Frau stand von der Mahlzeit auf und betete in ihrem
Herzen, daß sie Gott mit einem Sohn erfreuen wollte. Wenn Gott ihre
Bitte erfüllte, so wollte sie ihn Gott wiedergeben, daß er sein Leben
lang in der Stiftshütte dienen sollte. Eli sah ihr lange zu, wie sie
doch nur ihre Lippen bewegte und weinte, und weil es nach der Mahlzeit
war, so meinte er, sie sei betrunken. Es sprach endlich zu ihr der harte
Mann, den Gott zum Segnen und zum Trösten berufen hatte: »Wie lange
willst du betrunken sein? Gib deinen Wein von dir, den du getrunken
hast!« Das war kein priesterliches Wort. Das Weib sprach: »Ach nein,
mein Herr, ich bin nicht betrunken; sondern ich habe in meinem großen
Kummer geredet bisher und mein Herz vor Gott ausgeschüttet.« Eli sprach:
»Gehe hin in Frieden! Gott wird dir deine Bitte erfüllen,« und das war
priesterlich gesprochen. Auch hat ihr Gott ihre Bitte erfüllt und ihr
einen Sohn gegeben; den hieß sie Samuel.
Nach Jahr und Tagen, als das Fest sich jährte, kam wieder die nämliche
Frau zu Eli und hatte ein frisches Söhnlein an der Hand, und Eli kannte
sie nicht mehr. Die Frau sprach: »Glaube mir, mein Herr, ich bin das
Weib, das hier bei dir stand, da ich um diesen Knaben bat. Gott hat
meine Bitte erhört,« sagte sie, und schaute ihr Kind mit mütterlichem
Wohlgefallen an. »Darum gebe ich ihn dem Herrn wieder sein Leben lang,
weil er von dem Herrn erbeten ist.« Also ließ sie ihren Sohn zurück in
dem Schutze Gottes und in der Pflege der Priester, daß er den
Gottesdienst lernte und gleichsam geistlich studierte. Aber alle Jahre,
wenn sie wiederkam und ihrem Kind zum Gruß ein neues Röcklein brachte,
war Samuel wieder größer und kräftiger, und was noch mehr sagen will,
sie hörte, daß er auch immer gottesfürchtiger und geschickter werde und
bei allen Leuten beliebt sei; das ist die größte Freude auf der Welt,
womit Gott die fromme Mutterliebe belohnen kann. Ja, es währte gar nicht
lange, so gab ihm Gott schon Offenbarungen in sein Herz und redete mit
seinem Herzen, daß er ein Prophet ward, damit er den Willen Gottes
aussprechen konnte den Menschen.
Samuel hatte dazu eine große Probe der Frömmigkeit auszustehen. Denn des
Priesters eigene Söhne, Hophni und Pinehas, welche dem jungen Samuel mit
allen priesterlichen Tugenden hätten sollen ein Beispiel sein, waren
zwei leichtfertige und unwürdige Menschen, welche ihr priesterliches
Ansehen zu den gröbsten Missetaten mißbrauchten und das Volk lau machten
im Gottesdienst. Aber Samuel ließ sich durch ihr Beispiel zu keinem
Leichtsinn verführen. Ein gutes Gemüt will nur fester im Guten werden,
wenn es die Abscheulichkeit des Lasters sehen muß. Samuel wurde immer
fester im Guten. Aber warum ließ der Priester es geschehen, daß seine
Söhne solche Missetaten verübten? — Warum lassen noch viele
leichtsinnige und schwache Eltern es geschehen, daß ihre Kinder
verwildern? Eli warnte zwar seine Söhne: ,,Warum tut ihr solches? Das
ist nicht ein gutes Geschrei, das ich von euch höre.« — Aber damit war
es auch getan. Ein solches Geschlecht kann nicht lange in Amt und Würde
bleiben: es muß enden auf eine oder auf die andere Art, durch Menschen
oder durch Gott.
Als Eli alt und hochbetagt war, rückten die Philister gegen Israel aus
zu einem Krieg. Als Israel die erste Schlacht verloren hatte, griffen
sie den Feind zum zweitenmal an und nahmen die Bundeslade mit in das
Lager, damit ihnen Gott desto gewisser den Sieg verleihen wollte. Die
zwei jungen Priester trugen die Bundeslade. Aber die Schlacht fiel
dessenungeachtet noch trauriger aus als die erste. Eli saß daheim am
Stadttor und wartete auf Kundschaft. Es kam ein Bote aus dem Treffen mit
zerrissenen Kleidern und Asche auf dem Haupt. Eli fragte: »Wie geht es
zu?« Der Bote erwiderte: »Wie geht es zu? Israel ist geflohen vor dem
Feinde. Deine zwei Söhne sind tot. Dazu, die Lade Gottes ist genommen.«
So böse lautete die Kundschaft. Eli fiel vor Schrecken rückwärts von dem
Stuhl und stand nimmer auf. Also endete sein Priestertum. Nach seinem
Tod ward Samuel Richter in Israel. Die Bundeslade aber schickten die
Philister nach sieben Monaten freiwillig zurück. Ele hatten kein Glück
mit ihr.
|