14. Jakobs Heimkehr und
Aussöhnung
mit seinem Bruder.
Als der Friede nicht mehr bestehen konnte, zog Jakob mit feinen Weibern
und Kindern und zahlreichen Herden nach Kanaan zurück und dachte wohl
wieder daran, was er einst an seinem Bruder verschuldet hatte. Denn das
Gewissen kennt keine Zeit.
Esau wohnte damals in der Landschaft Seir und war daselbst ein reicher
und mächtiger Mann. Deswegen schickte Jakob eine Botschaft an ihn mit
der Anmeldung, daß er jetzt auch wieder heimkomme, damit er erführe, wie
sein Bruder gegen ihn gesinnet sei. Aber der gutherzige Bruder hatte
allen Gram und Groll schon lange vergessen, ja, vor lauter Freude wollte
er seinem Bruder eine große Ehre antun und zog ihm mit einer Begleitung
von vierhundert Mann entgegen.
Jakob aber bekam darüber Gedanken und fürchtete, sein Bruder werde ihn
angreifen wollen. Denn diese Qual hat das verletzte Gewissen, daß es
kein Zutrauen zu den Menschen haben und sich auf nichts freuen kann.
Doch schickte er seinem Bruder viele Geschenke, Schafe, Rinder und
Kamele entgegen und teilte sein Gesinde und seine Herde in zwei Teile,
daß er noch mit einem entfliehen könnte, wenn Esau den andern angreifen
sollte. Auch betete er selbiges Tages: »Herr, Gott meiner Väter, ich bin
zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an deinem Knechte getan
hast. Denn ich hatte nichts als diesen Stab, da ich über den Jordan
ging, und kehre nun zurück mit zwei großen Herden. Errette mich von der
Hand meines Bruders!«
Es ist zu glauben, daß dieser Augenblick der Anfang zur Besserung seines
Herzens war. Denn wer an Gottes Güte und an seine eigene Unwürdigkeit
und Hilflosigkeit denkt, und sein Herz wird bewegt, daß er beten muß und
nimmer anders kann, der hat den Weg zur Besserung gefunden. Auch gab ihm
Gott einen neuen Namen und nannte ihn Jsrael, was gleichsam sagen will,
daß er jetzt ein anderer Mensch sei, als er vorher einer gewesen war.
Am folgenden Morgen hob er seine Augen auf und sah seinen Bruder kommen
mit vierhundert Mann. Er ging mit seinen Frauen und Kindern ihm entgegen
und bückte sich siebenmal vor ihm zur Erde, bis er zu ihm kam. Aber Esau
faßte die Sache kürzer, der hochherzige Mensch. Er ging auf seinen
Bruder zu, herzte und küßte ihn, und beide weinten vor Wehmut und
Freude. Hernach grüßte er auch die Frauen und Kinder seines Bruders·
Auch wollte er anfänglich die Geschenke gar nicht annehmen; denn er
hatte genug und war zufrieden, daß er nur seinen Bruder Jakob wieder
hatte.
Jakob nannte den Esau seinen Herrn und sich feinen Knecht, womit er
andeutete, daß er die Erstgeburt und die Herrschaft über seine Brüder
nimmer verlangte. Aber Esau sagte einmal um das andere: »Mein Bruder«
und verlangte nichts zurück, sondern hielt das Wort seines Vaters in
Ehren. Also söhnten sich die Brüder aus, und Gott segnete den Jakob und
bestätigte ihm die Verheißung seiner Väter.
Herr, Herr Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Güte
und Treue, der du beweisest Gnade und Barmherzigkeit in tausend Glied
und vergibst Missetat und Sünde und Übertretung, und vor welchem niemand
unschuldig ist!
Esau wurde nachher noch ein mächtiger Fürst in dem Lande Seir und ist
der Stammvater des Volkes der Edomiter. Jakob aber blieb in dem Lande
Kanaan. Aber die Nachkommen des Esau und die Nachkommen des Jakob lebten
fortan gegeneinander in Feindschaft. Denn manches, was Gott verzeiht,
verzeihen die Menschen nicht, und hätten doch so viele Ursache zur
Versöhnlichkeit und zum Frieden.
|