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Hebel-Preis 1960 für Martin Heidegger |
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![]() 1889 26. 9. geboren in Meßkirch als Sohn eines Küfermeisters; 1903-09 Gymnasien Konstanz und Freiburg; 1909-13 Studium der Theologie, dann der Philosophie, Geistes- und Naturwissenschaften in Freiburg; 1913 Promotion; 1915 Habilitation; 1915-18 Wehrdienst - zeitweise bei der Postüberwachungsstelle Freiburg; 1917 Heirat mit Elfriede Petri; 1923 Professur in Marburg; 1928 Nachfolger Husserls in Freiburg; 1933 Rektor der Universität Freiburg (bis 1934); Mitglied der NSDAP; 1944 Volkssturm; 1945 Lehrverbot bis 1951; 1956 Rede zum Schatzkästlein in Lörrach; 1959 Ehrenbürger Meßkirchs; 1976 26. 5. Tod in Freiburg; Beisetzung in Meßkirch. Martin Heidegger hat sich, wohl nicht zuletzt aus landsmännischer Verbundenheit, des öfteren mit Johann Peter Hebel beschäftigt: 1955 erschien sein Essay »Die Sprache Johann Peter Hebels«; ein Jahr darauf hielt Heidegger die Rede auf dem traditionellen Schatzkästlein inLörrach, und 1957 kam sein Aufsatz »Hebel der Hausfreund« heraus. In hebelscher Manier fügt der Berichterstatter einer Basler Zeitung seinen Bericht über die Preisverleihung seine Nachschrift an: Merke: [...] Es steht den Baslern nicht an, bei der Bestimmung des Hebelpreis-Trägers mitzureden; sie ist Sache der baden-württembergischen Landesregierung. Hingegen kann man sich in guten Treuen fragen, ob diese Preisverleihung nicht eindeutig und sichtbar von der reinen Basler Institution des Hebelmählis abgetrennt werden sollte. Denn in den Augen der Uneingeweihten scheinen Hebelmähli und Hebelpreis zusammenzugehören. Wie schon etwa früher, so ist uns diese ungewollte Zusammengehörigkeit auch heute, im Falle des Preisträgers Heidegger, eher peinlich. Ausgerechnet er soll der »namhafteste Künder« Hebels in unserer Zeit sein! Gewiß, er hat einmal eine große, zwar etwas verschrobene Rede auf »Hebel den Hausfreund« gehalten. Aber diesem nicht sehr überzeugenden Bekenntnis Heideggers steht ein anderes entgegen, das einem Manne galt, der das deutsche Volk nicht wie Hebel zum Licht, sondern in die Finsternis führte. - Der geneigte Leser merkt etwas. (R[udolf] S[uter], Ein glanzvoller Hebeltag. In: Basler Nachrichten Nr. 199 vom 11. 5. 1960) In seinem berühmten Essay »Heidegger und Hebel oder die Sprache von Meßkirch« versucht Robert Minder, dem Hebelbild des »schwäbischen« Philosophen den »badischen«, der Aufklärung zugewandten Prälaten und Dichter gegenüberzustellen. Keineswegs denkt Minder daran, die Philosophie Heideggers zu »erledigen« (»Das stolze Schiff zieht weiter seine Bahn«); wohl aber versteht sich Minder darin als ein Freibeuter, der versucht hat, »Schwächen des Werkes und die Beharrlichkeit dieser Schwächen aufzuzeigen und damit an bisher wenig beachtete Konnexe« zu rühren. Objekt der Demonstration ist Heideggers »Rede über Hebel« aus dem Jahre 1957: Überraschend [...] Heideggers Ausspruch: Hebel, ein Unbekannter, in seiner tieferen Bedeutung kaum je erfaßt oder auch nur geahnt. An solch eherne Diktate ist man beim Verfasser von »Sein und Zeit« freilich gewöhnt. Seine Faszination beruht zum Teil - wie bei Stefan George - auf der Unerbittlichkeit des Spruchs [. . .] »Der Zauber der Heimat hielt Hebel im Bann«. Der Satz steht im Mittelpunkt der erbaulichen Betrachtung und macht gleich stutzig: das ist nicht nur der Tonfall Wagners, sondern das ganze magische Universum des »Rings«. Hebel [...] wird als Siegfried kostümiert [...] wohlig gewiegt von Wagnerschen Ramsch-Assonanzen, die mit biblischen Reminiszenzen vermischt sind, zieht der Denker aus Meßkirch das Fazit für Hebel [...] eine pseudoromantisch mystifizierende Auffassung des Dichters, die uns keinen Schritt näher an Hebel heranbringt, sondern ihn gern vom Lärm des frechen Tages zum Priester des Weltmysteriums weiht [...] Blutrot beginnt das Wort »alemannisch« in einer dritten Phase zu schimmern, als 1933 ein hoch industrialisiertes, rassisch besonders buntgemengtes Volk sich arische Ahnen beilegte und bald darauf im ganzen besetzten und terrorisierten Europa Tod und Leben des Einzelnen davon abhängen ließ, ob er von Siegfried abstamme oder nicht [...] Es war die Zeit, wo auch Hebel als sippenverhafteter Bauer auftrat. Heidegger hat der »alemannischen Tagung« in Freiburg beigewohnt, auf der Hermann Burte ein Kleinepos von 400 Strophen über den wiederentdeckten »arischen Hebel« vortrug: streicht man das ominöse Wörtchen, so deckt sich Heideggers Hebel von 1957 bis in die Einzelheiten mit Burtes arischem Hebel von 1936[...] Demokraten, ein Begriff, der für Heidegger [...] unverständlich, ja abwegig sein mußte, stammen doch beide aus den radikal umgeschichteten bäuerlich-bürgerlichen Kreisen der Bismarck- und Hohenzollernzeit, die unter Verzicht auf politische Mündigkeit patriotisch strammstanden, nach 1918 das Fronterlebnis sakralisierten, die Weimarer Republik diabolisierten und wie reife Früchte auf den Boden klopften, als blutrot am Horizont der Führer aufgetaucht war [...] Besondere Beachtung verdient die Einwurzelung oder Wiedereinwurzelung der deutschen Sprache im »vorlateinischen Deutsch«, für die der Philosoph immer energischer einschritt und für die sein eigener Stil Musterbeispiele zu geben versucht [...] Heidegger in seiner Hebel-Rede ebenso muffig treudeutsch und ländlich verzückt: Hebel wählte nach eigenem dichterischem Ermessen die schönsten Stücke, die er in den Kalender des Rheinischen Hausfreundes gegeben hatte, aus. So schränkte er den Schatz auf das Kostbarste ein, baute ihm ein Schränklein und schenkte es im Jahre 1811 der ganzen deutschen Sprachwelt als »Schatzkästlein« [...] Der Philosoph und Polyhistor Heidegger markiert den Bauer, kehrt den Meßkircher heraus, pocht auf den schwäbischen Urkern seiner Herkunft [...] Der Badener Hebel ist auf diese radikale Weise vom schwäbischen Philosophen verschlungen, verdaut und verheideggert worden, und dagegen sollte hier Einspruch erhoben werden. Denn Hebel gehört nicht zu Heidegger und nicht zum schwäbischen Heuberg: er gehört zum badischen Schwarzwald und zu jener Rheinebene, in der er den größten Teil seines Lebens zugebracht hat. Er gehört als Humanist und Kosmopolit in den Umkreis eines Mannes, den er zeitlebens verehrt und den Heidegger zeitlebens bekämpft hat: Goethe. Er ist gewissermaßen ein Goethe im Duodezformat, hoher Staatsbeamter und Dichter, treuer Diener seines Herrn und heimlicher Frondeur, eminent kritischer Kopf und wortverliebter Artist, toleranter Christ und urbaner Schüler der Antike ... (Robert Minder, Dichter in der Gesellschaft, Frankfurt: Suhrkamp 1972, Seite 235 ff.) Bibliographie der auf Hebel bezogenen Reden und Schriften: Die Sprache Johann Peter Hebels (1955). In: Martin Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens. Gesamtausgabe Band 13. Frankfurt: Klostermann, 1983 Gespräch mit Hebel. Rede beim Schatzkästlein zum Hebeltag 1956. Lörrach: Hebelbund o. J. (= Aus der Schriftenreihe des Hebelbundes Sitz Lörrach e. V. Nr. 4). Wiederabdruck in Hanns Uhl (Hrsg.), Hebeldank. Bekenntnis zum alemannischen Geist in sieben Reden beim Schatzkästlein. Freiburg: Rombach 1964 Hebel der Hausfreund. Pfullingen: Neske 1957. Enthalten in Martin Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens. Gesamtausgabe Band 13. Frankfurt: Klostermann 1983 Dank bei der Verleihung des staatlichen Hebelgedenkpreises. In: Hebel-Feier. Reden zum 200. Geburtstag. Karlsruhe: Müller 1960. Wiederabdruck in: Hebel in Ehren. 50 Jahre Hebel-Preis. Bühl-Moos: Elster 1986 (= Allmende Nr. 13)
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Bild: Pinselzeichnung, die Martin Heidegger darstellt, von Herbert Wetterauer, frei gestaltet nach einer Fotografie von Fritz Eschen. Quelle: Wikipedia unter Creative-Commons-Lizenz. |