|
zurück
|
Cic. de oratore. e. 2.
Schon oft, wen ich einen Blick auf die grösten und geistreichsten
Männer warf, schien mir die Frage an ihrem Orte zu seÿn, warum wohl die
Anzahl derer, die sich berühmt gemacht haben in iedem
x Fach
Beruf größer seÿ als in der Beredsamkeit. Den
wohin auch iemand seine Aufmerksamkeit und seine Gedanken wenden mag
überal finden wir sehr viele die sich in iedem Fach nicht nur der
gemeinen sondern auch der höchsten Künste hervorgethan haben. Den
wen man für die Kunst der
berühmter Männer unter die Nützlichkeit u. oder die Größe ihrer Thaten
zum Maßstab nimt, wer
wird nicht den Feldherrn noch vor den Redner stellen. Oder wer wird noch
zweifeln, daß wir fast eine Anzahl von vortreflichen Heerführern nur aus
unserer einzigen Stadt, aber kaum einige aufstellen könen
die sich durch Beredtsamkeit ausgezeichnet haben.
Aber auch Männer die mit Rath u. Klugheit das gemeine Wesen handhaben u.
lenken könten hat unser
Zeitalter in Menge, noch mehr das Zeitalter unserer Vätter u. sogar
unserer Altfordern gezählt, und doch haben sich sehr lange gute Redner
gar nicht, u. kaum ein erträglicher in iedem Zeitalter gefunden. - Doch
es könte iemand sagen,
daß die Beredtsamkeit von der wir sprechen mehr mit andern Studien die in
höhern Künsten u. einer gewissen Vielseitigkeit gelehrter Kentniße
ihren Grund Element haben, nicht mit den ruhmvollen Vorzügen eines
Feldherrn, oder mit den Einsichten eines guten Rathsherrn verglichen
werden* zu vergleichen seÿ. Nun den,
so wollen wir uns gerade zu diesen Fächern der Gelehrsamkeit wenden, u.
uns umsehen, wer in ihnen sich hervor gethan habe, u. wie viele. So
werden wir uns am leichtesten überzeugen, wie klein die Zahl der Redner
imer war, u. noch ist.
x Es ist bekant, daß die Philosophie von den gelehrtesten Leuten gleichsam für die
Schöpferin und Mutter aller gepriesenen Wissenschaften ansehen** Aber es
ist schwer zu sagen, wie groß die Zahl in diesem Fach
die Zahl der gelehrtesten Männer von den manigfaltigsten
u. reichsten Studien seÿ, die nicht mit einem Gegenstand insbesondere
sich beschäftigten, sondern alles mögliche theils durch
wissenschaftliches Forschen theils auf dem Wege des Vortrags umfassten.
In welcher Dunkelheit der Gegenstände, in welcher tiefen, vielfältigen
freien Kunst arbeitet der Mathematiker, und doch haben es in diesem Fach
so viele Leute zur Vollendung gebracht, daß man glauben muß, iedem der
sich ihr mit Leidenschaft ergeben hat, seÿ bis zur Erreichung seines
Zwecks gelangt. seÿ. Wer hätte sich noch der Musik oder der Sprachforschung
ganz ergeben, und wäre nicht zur umfassenden Kentniß dieser Gegenstände
in ihrem ganzen fast unendlichen Maße gelangt.
Ia ich glaube mit Warheit sagen zu können,
daß neben allen die sich mit dem freien Studium u. der Regel der
genanten Künste beschäftigt haben, die Zahl der vortrefflicher Dichter imer
die kleinste gewesen. ***Aber selbst unter dieser Auswahl, wo so selten,
etwas ein ganz vorzüglichen Man aufsteht, wird man bei genauer Vergleichung dessen was sowohl
|
|
x Du weißt
|
|
|
"De oratore" (lateinisch „Über
den Redner“) ist ein grundlegendes Werk Ciceros zur Rhetorik, in dem die
Voraussetzungen für den Rednerberuf, das Wesen der Rhetorik, der Aufbau
der Rede, Fragen des Stils und der moralischen und philosophischen
Pflichten des Redners erörtert werden. Die Schrift ist als ein Dialog
zwischen Lucius Licinius Crassus und Marcus Antonius Orator, Ciceros
Lehrern und Vorbildern, gestaltet, der im Jahr 91 v. Chr., kurz vor
Crassus’ Tod geführt worden sei. Cicero hat ihn 55 v. Chr. veröffentlicht
und seinem Bruder Quintus gewidmet. Er zählt zu Ciceros Hauptwerken.
(Quelle: Wikipedia) x
= Die Bedeutung des oberen x ist unbekannt,
dagegen verweist das untere x auf die Korrektur am Seitenrand
* = Im Autographen ist das 'ver' - wohl aus Versehen - nicht gestrichen
worden
** = Wort unsicher, vom Sinn des Satzes her aber kaum etwas anderes
möglich
*** Ab hier ist der Rest des
Textes mit einem Schrägstrich ungültig gemacht, zudem bricht der Text nach
'sowohl' am Ende der Seite ab. Ein ev. Fortsetzung ist in den Ungedr. Pap.
nicht vorhanden. |
|
|