18.  Ein [fiktiver] Brief Ciceros an Pötus Konvolut 3 / Briefentwurf

(Original ohne Titel)

 

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Sind Sie nicht ein wunderlicher Man
Balbus1 war bei Ihnen, uns Sie fra mögen mich fragen, was ich Ihren Freÿstädten u. Ländereÿen für ein Schicksal vermuthe, als ob ich etwas wüsste, was er nicht weis, oder wen ich einmal etwas weiß, als ob ich nicht von ihm zu verfahren pflegte. Laßen sie lieber mich wissen, wen Sie mein F es gut mit mir meinen, was uns bevorstehe. Den Sie hatten den Man in Ihrer Gewalt, von dem Sie es, entweder wen er nüchtern war, oder wenigstens wen er einen Stich hatte erfahren konten.
Doch ich frage dernach nicht, mein Pötus2, fürs erste, weil ich schon fast 10 Iahre vom Gewin lebe, wen das der noch von Gewin oder von einem Leben werden der kan, der die Republick3 überlebt hat. Fürs andere glaube ich selber zu wissen, was bevorsteht. Es wird geschehen, was denen beliebt, die die Oberhand behalten werden. Die Oberhand aber werden die Waffen haben. Wir werden uns also mit dem begnügen müßen, was uns verbilligt wird. Wer sich das nicht könte gefallen lassen, der müßte den Tod wählen. Die Vejantische4 Gemarkung u. die Capenotische5 messen sie schon aus. Das ist nicht weit von Tusculanum6. Ich genieße, solange es mir vergönt ist, u. wünsche, daß es mir imer möge vergönt seÿ.

 

 

 

 

   

 

Es handelt sich hier um einen höchst interessanten Text, der sich liest wie ein Brief Ciceros, geschrieben auf seinem Landgut Tusculanum. Dabei kann es sich aufgrund der Zeitebenen jedoch nicht um eine Übersetzung eines Originals, sondern um nur einen fiktiven, von Hebel ausgedachten, Brief handeln.

1 = Balbus (wörtlich „Stotterer“) war ein cognomen, der dritte Namensbestandteil der regulären
     römischen Namensgebung (tria nomina) in mehreren römischen Familien. Hier geht es ziemlich
     sicher um Lucius Cornelius Balbus, genannt Maior (der Ältere, um ihn von seinem Neffen
     Lucius Cornelius Balbus Minor zu unterscheiden). Er war römischer Konsul während des
     zweiten Triumvirats und gehörte der Partei Octavians an. Ins Konsulat gelangte er im Jahr
     40 v. Chr. (Todesjahr unbekannt). Während des Bürgerkriegs war er bemüht, Cicero zur
     Vermittlung zwischen Caesar und Pompeius zu bewegen, um sich selbst davor abzusichern,
     sich endgültig auf die Seite des Letzteren stellen zu müssen. Cicero räumt ein, dass er,
     entgegen seiner eigenen Ansicht davon abgebracht wurde.

2 = Der einzige eruierbare Pötus ist Cecinna Poetus, Consul und General, der zur Zeit des röm.
     Kaisers Claudius wegen einer verlorenen Schlacht hingerichtet wurde (Regierungszeit des
     Claudius von 41 n. Chr. bis zu seinem Tod im Jahr 54). Synchronisiert man die Lebensdaten
     von Balbus, Cicero (106 v. Chr. bis 43 v. Chr.) mit Poetus, der kaum vor 20 v. Chr. geboren
     sein kann, ergibt sich, dass er nicht in Frage kommt.

3 = Die Republik endete mit der Einrichtung des Prinzipats am 13. Januar 27 v. Chr. durch den
     Machtverzicht des römischen Senats, mit der die Epoche der römischen Kaiserzeit beginnt.
     Da der Brief eine Entstehung nach dem Ende der Republik intendiert, kann er nicht von
     Cicero sein.

4 = Vejantisch = von 'Veji', eine sehr alte Stadt in Etrurien (nördlich von Rom), die zu den zwölf
      Republiken des etrurischen Bundes gehörte und lange Zeit Nebenbuhlerin von Rom war. Nach
      einem 10-jährigen Krieg wurde Veji (heute Veio beim römischen Stadtteil Isola Farnese)
      396 v. Chr. von  Marcus Furius Camillus erobert. Zur Zeit des Kaisers Augustus gründete
      man Veii als municipium neu, im 5. Jahrhundert wurde die Stadt dann aber endgültig
      verlassen.

5 = Capenotisch = von 'Capena', eine historischer, westlich von Rom liegender Ort. Das antike
      Capena scheint irgendwann um 390 v. Chr. von den Römern rücksichtslos geplündert worden
      zu sein, nachdem die Capenates lange gegen den stetig wachsenden Einfluss Roms in der
      Region Widerstand geleistet hatten. Die Siedlung bestand bis zum Zusammenbruch des
      Weströmischen Reiches.

6 = Tusculanum, ein Landgut bei Tusculum (dem heutigen Frascati), unweit Rom, welches mit
      seinem Besitzer Cicero Ruhm erlangt hat. Es war Cicero's Lieblings-Aufenthalt: er hatte hier
      eine ausgesuchte Bibliothek und es wurden sehr häufige gelehrte Unterhaltungen
      veranstaltet – daher auch seine "Disputationes Tusculanae". – Als Julius Cäsar in Rom die
      Oberhand erhielt, ging Cicero aus Verdruß auf dieses sein Landgut, und stellte philosophische
      Unterredungen mit seinen Freunden an. Bei Cicero's Vertreibung ließen seine Feinde ihre Wut
      an dem Landgut aus und steckten es in Brand - wiewohl nachher der Senat es wieder auf
      öffentliche Kosten herstellen ließ.