zurück Nrn. 8b, 9, 10
   

 

8b

      Interest

Man erzählt und hört in der Welt, man schreibt und liest, man fragt und antwortet viel, was den einen interessiert, den andern nicht.
Ob der Mond Berge hat oder ob er eben ist, wie weit er von der Erde entfernt sei, was für Pflanzen der Kaukasus oder der Atlas trage, ist den meisten Menschen einerlei, aber manche forschen diesen Dingen fürs Leben gerne nach, und eine neue Entdeckung geht ihnen über Gold und Silber. Einem andern ist es vielleicht interessanter, große Taten der Vorwelt zu erfahren, indes ein sehr gelehrter Mann die Zeugen abhört, ob Skanderbegh der berühmte, den noch berühmtem Sabel um die Lenden gegürtet oder über die Schultern herabhängend getragen habe. Doch gibt's eins, woran uns allen gelegen sein muß.

 

9

Was mag wohl das eine sein, woran uns allen gelegen sein muß ? Etwa Geld zusammenzuspeichern, soviel als möglich? Manche Menschen sind so habsüchtig, daß sie kein höheres Interesse zu haben scheinen, als reicher zu werden. Damit gehn sie um, davon träumen sie. Geld scharren sie zusammen, und wenn Blut dran hinge. Geld, sagen sie, regiert die Welt. Gut gesagt, wenigstens regiert es sie, die Unglücklichen, und sie sind seine wertlosen Sklaven. Nichts ist so schmutzig, zu dem sie sich nicht erniedrigen, nichts so schwer und schmerzlich, dem sie sich nicht unterziehn - um Geld. Ehre und Ruhe, und Recht und Vaterland, und Himmel und Erde, und was über allen Tollsinn hinausgeht, das Leben selbst ist ihnen weniger wert als Geld und feil den Feilen.

 

10

Was ist das eine, an dessen Besitz uns alles gelegen sein muß? Etwa Ruhm? - Ruhm ist eine nicht unwürdige Belohnung großer Taten, großer Anstrengungen und eines würdigen Lebens, das ist wahr. Aber daß die Maxime eines weisen und wahrlich berühmten und mit dem Vertrauen eines Kaisers geehrten Manns sich tief in deine Seele legen möge: "Der Ruhm muß Folge, nicht Zweck unserer Handlungen sein. Wer ihn sucht, wer so handelt, wie rechtschaffene Leute zu handeln pflegen, nicht um ihresgleichen zu sein, sondern dafür gehalten zu werden, der ist meines Bedünkens keines Ruhmes wert.

 

 

 

 

- Die Nummer 8 wurde von Hebel zweimal vergeben - daher 8a + 8b.

- 8b - 10 bilden eine thematische Einheit.

- Skanderbegh: Albanischer Nationalheld (um 1405 - 1468).
- Sabel: mundartl. für Säbel.

- 10: Hebel könnte Seneca und Kaiser Nero im Auge gehabt haben, der Gedanke findet
        sich jedoch schon bei Cicero.