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     Gerund

Ich weiß nicht, ob der Geizige in der Erwerbung oder der Verschwender in der Zerschleuderung seiner Schätze törichter sei. Die Kunst, gerecht mit Mäßigung und Ehre zu erwerben und mit Weisheit zu genießen, wie schwer ist sie!
Zur Zerstörung einer Stadt hat man wenige Tage nötig. Aber wieviel Zeit und Mühe muß man auf die Erbauung eines einzigen Hauses verwenden. Doch Zerstören ist immer leichter als Bauen, Verlieren leichter als Finden.
Mancher Mensch, der sehr brauchbar wäre, das Feld zu bauen oder Ziegelsteine zu formen und zu brennen, ist sehr schädlich, wenn er sich mit der Kunst, Kranke zu heilen oder Prozessierende zu beraten, abgibt. Mancher, der wohl erfahren ist, Sprachen auszulegen oder die Höhe der Berge zu messen, würde in großer Verlegenheit sein, wenn er einen Acker pflügen müßte. Durch Übung des Leichtern bereitet man sich zur Erlernung des Schwerern vor, und was den Schein hat, unangenehm zu sein, solange es schwer ist, das macht uns Vergnügen, sobald es uns durch Übung leicht geworden ist.
Durch Eroberung von Provinzen, durch Zerstörung blühender Städte, durch Niederlagen ihrer Feinde sind viele Menschen berühmt geworden. Aber wer schätzt nicht höher den weisen Regenten, welchem die Pflicht, seine Untertanen gut zu regieren, teurer war als die Begierde zu erobern.
Du wirst die Zeit nie bereuen, die du der Erlernung der Musik widmest. Denn keine Kunst ist zweckmäßiger als sie, das Gemüt zu ergötzen, die Gefühle zu erweichen und zu erhöhen. Nur hüte dich, daß man nicht sagen könne, du habest über der Erlernung der Musik das Wichtigere und das Notwendigere vergessen.

 

 

 

 

- Die Einleitung ist in die Geschichte 'Geiz und Verschwendung' (Landkalender 1804)
  eingegangen.