zurück Nr. 35
   

 

     (Seneca, Epist. 79. III.)

Alle hundertmal, wenn wieder ein Reisebeschreiber aus Italien heimkommt, gibt er uns die Merkwürdigkeiten, die er auf dem Berg Aetna gesehen hat, zum besten, und ieder findet seinen Leser, der ihm Dank dafür weiß. Und doch hat uns das Allermerkwürdigste noch keiner gesagt. So wahr ist es noch heutiges Tages, was schon vor fast zweitausend Iahren Seneca dem Lucilius schreibt: "Die früher ihn bestiegen (praecedere) haben, scheinen mir nicht den Stoff, darüber zu sprechen (quae dici poterant), weggenommen (praeripere), sondern nur Winke dazu gegeben (aperire) zu haben." Doch laßt uns mehreres aus dem Schreiben dieses naturforschenden Mannes hören:

 

 

   

- Nur die o. a. Einleitung ist von Hebel.

 

Die folgende Retroversion von Seneca wie folgt:
 

 

 

"Ich erwarte deine Briefe, in welchen du mir schreiben wirst, was dir deine Umschiffung von Sizilien für neue Ansichten gegeben habe, und alles Zuverlässigere von der Charybdis. Denn daß die Scylla eine Klippe sei, nicht gefährlich für die Seeleute, weiß ich wohl. Aber ob die Charybdis das ganz ist, was die Sage daraus macht, dies wünschte ich von dir zu hören. Und wenn du Gelegenheit hast, es zu bemerken, so gib uns doch auch sichere Nachricht, ob sie nur bei einem gewissen Wind sich im Wirbel drehe oder ob jeder Sturm ohne Unterschied dieses Meer herumtreibe, ferner ob es wahr sei, daß alles, was von diesem Strudel ergriffen wird, viele Meilen weit unter dem Wasser fortgerissen werde und in der Nähe des tauromenitanischen Ufers wieder zum Vorschein komme. Wenn du mir dieses gemeldet hast, so wage ich es auch noch, dir einen Auftrag zu geben, daß du mir zu Ehren einen Gang auf den Aetna machen mögest. Man behauptet, daß er kleiner werde und allmählig sich setze, und schließt es daraus, weil er ehedem den Seefahrenden schon in einerweitern Entfernung zu Gesichte kam. Das ist nun möglich, wenn auch die Höhe des Berges nicht abnehmen sollte, es darf nur die Flamme schwächer werden und nicht mehr so heftig und reichlich ausfahren; aus dem nämlichen Grunde wird alsdann auch am Tage der Rauch weniger aufsteigen. Doch ist beides nicht unglaublich, nicht, daß der Berg täglich kleiner werde, und nicht, daß das Feuer veränderlich sei, da es nicht aus sich selbst entsteht, sondern in einem tiefen Kessel erzeugt wird und aufwallet und im Berg selbst nicht seine Nahrung, sondern nur seinen Durchweg hat. In Lykien ist eine sehr bekannte Gegend, die die Einwohner Ephestion nennen. Der Boden ist an mehrern Orten durchlöchert, und ein kaltes Feuer überlauft ihn ohne Nachteil der Gewächse. Die ganze Gegend hat daher ein freudiges grünes Ansehn, weil die Flammen nichts versengen, sondern nur schwach und matt leuchten. Doch das wollen wir noch zurücklegen und ein andermal in Untersuchung nehmen."