zurück Nr. 125
   

 

Mit Unrecht klagt man oft Leute, die nach einer vieljährigen Glückseligkeit des Lebens die Abwechslungen menschlicher Schicksale nicht zu ertragen wissen, der Weichlichkeit und des Kleinmuts an, da doch auch andre, die lange in geringen Umständen lebten, wenn das Glück sie begünstigt und alles auf einmal nach Wunsch ihnen vonstatten geht, in die veränderte Lebenslage sich ebensowenig zu schicken wissen. Es ist nichts so wahr, als was einer unserer lieblichsten Dichter sagt, daß jeder Stand seinen Frieden und jeder seine Last habe. Allein wer tragt eine gewohnte Last nicht bequemer als eine neue? Wer geht auf einem Wege, den er schon oft betreten hat, sei er glatt oder holperig, nicht sicherer als auf einem unbekannten? Wer entbehrt nicht viele Güter des Lebens, die er nie genoß, leichter als ein einziges, auch noch so unbedeutendes, woran er gewöhnt war? Doch man kann wirklich sagen, es sei leichter, im Unglück weise sein als im Glück. Denn Armut, Arbeit und mancherlei Unfälle halten selber die gefährlichen Leidenschaften zurück oder schränken sie ein, deren Mäßigung das günstige Glück einzig der schwachen Brust der Sterblichen überlaßt. Dies erinnern die Alten schon, und wenn sie sich nach Beispielen umsehn, so entsteht ihnen die Geschichte nicht, sie mögen die Annalen der Völker und Staaten oder die Biographien einzelner Menschen nachschlagen. Wann war der Geist der Römer mäßig, unbesiegt, unbestechlich? Wann war Alexander weich, übermütig, auffahrend, dem Trunk ergeben, sein selbst ohnmächtig? Selten stellt die Geschichte einem Dionysius einen Timoleon gegenüber; und Abdalonymus, den Alexander aus dem Staube hervorgezogen und auf den Thron gesetzt hatte, antwortete ihm auf die Frage, mit welcher Fassung er die Armut getragen habe: "Möge ich", sprach er, "mit dem nämlichen Mut auch die königliche Würde ertragen können."