zurück Standrede über das glückliche Los des Schneiders,
     

gehalten bei der Einweihung der neuen Zunftlade von Jakob Österlin, Schneidermeister

 

Es ist nichts damit gesagt, womit unsere Altvordern sich viel zugut taten, daß kein geringeres Wesen als der Urheber des Weltalls selbst der Erfinder unserer Kunst gewesen sei, weil er nach dem ältesten Buch, das wir haben, den ersten Menschen die erste Teile verfertigt hat. Denn fürs erste waren es nur Felle, und ich verlange mit meinem Gevatter, dem Säckler, keinen Verdruß. Sprechen ihn nicht fürs zweite alle gelehrten und arbeitenden Kasten und Zünfte mit gleichem Recht als ihren obersten und ersten Zunftherrn an? Ist er ja doch auch der erste Baumeister und der erste Gärtner, der erste Physiker und Astronom, der erste Theologe auf alle Fälle, und zugleich der heiligste und ehrwürdigste, und der erste Beichtvater des ersten Sünders. Aber um ein Wort des Ernstes in den sittigen Scherz zu mischen, wenn der Schöpfer überall den menschlichen Verstand zum Erfinden nur weckt, wie die Gelehrten sagen, nie ihm zuvoreilt und ihm es überläßt, die gegebene Idee zu bearbeiten, und wenn es gelungen ist, seines Werkes sich zu freuen, wahrlich, so muß man den Schneider loben, der den Wink verstanden und den ersten Rock von Ziegenfell bis zum künstlichen Galarock veredelt hat, indes noch kein irdischer Baumeister einen schönern Weltbau aufgeschlagen, als der erste ist, noch kein Astronom einen neuen Fixstern angezündet, noch kein Theologe die Geheimnisse der Gottheit erforscht und noch kein zweiter Beichtvater so tief in das Herz seines Beichtkindes geschaut und den Schmerz seiner Wunden so väterlich geheilt hat als der erste. Doch wir wollten ja nicht von dem hohen Rang des Schneiders, sondern von seinem glücklichen Leben reden, und ihn nicht mit dem Unvergleichbaren vergleichen, vor welchem der König nur Staub ist, sondern seinen irdischen Brüdern, die wie er im Schweiß ihres Angesichts oder auch ohne denselben ihr Brot essen, ihn gegenüberstellen.

Ich will ein paar Beitaten zu diesem glücklichen Leben, die jedoch nichts weniger als unbedeutend sind, nur flüchtig berühren, z. B. daß der Geweihte unserer Kunst mit wenig Anstrengung seiner Kräfte, fast ruhend, wie die Glücklichen des goldenen Zeitalters, mit wohlfeilen und leichten Werkzeugen seine Arbeit verrichten kann, keinen Beinbruch und keinen Leibschaden zu fürchten hat, nicht davon zu reden, daß nach aller Menschen Urteil der weiseste der ist, der mit dem geringsten Aufwand von Mitteln, wie mit Schere und Nadel, die größten Zwecke erreichen kann, von welchen nachher. Sprecht mir nichts von den Nachteilen der sitzenden Lebensart! Fürs erste sitzt die Lebensart nicht, sondern der Schneider. Fürs andere ist er eben dadurch glücklich, daß er sitzen kann und nicht laufen muß außer ins Kundenhaus. Ich meines Orts ziehe der sitzenden Lebensart nur noch die liegende vor, an den Feiertagen, und für einen großen Herrn die reitende. Die trinkende läßt sich mit der sitzenden vereinigen.

Denn welcher Zunftgenossen kann mehr als wir seine Tage im lieben wirtlichen und geselligen Zimmer leben, wo doch dem Menschen allein wohl ist? Wahrlich, wenn nach dem Ausspruch aller Weisen nur ein stilles, häusliches Leben ein glückseliges Leben heißen kann, so genießt es vor allen ändern Zunftgenossen der unsrige in hohem Grade. In dem nämlichen Zimmer ißt und verdient er sein Brot und genießt noch lange nach der Mahlzeit die erquickenden und nährenden Dünste derselben mit Wohlbehagen, wie man den verklingenden Tönen eines Glockenspiels lauscht und des entflohenen Sommers sich zum zweitenmal im mildern Nachsommer freut. Im Schoße seiner Familie lebt und genießt sein Dasein der glückliche Mann, angelächelt von der freundlichen Gattin, umgaukelt von den fröhlichen Kindern, für deren Ernährung und Wohlstand er arbeitet, und wird durch ihren beständigen Anblick zum unverdrossenen Fleiß, wie einst die alten Deutschen in der Schlacht durch die Gegenwart ihrer Gattinnen und Kinder zur unbesieglichen Tapferkeit, angefeuert.

Doch laßt uns nicht vergessen, daß aller Lebensgenuß ohne ein gewisses Gefühl eigener Wichtigkeit nur ein schaler Genuß sei; und wer hätte zu diesem Gefühl ein näheres Recht, als unser Zunftgenosse? Ihm front willig die ganze Natur. Für seine Schere und Nadel reift die Hanfpflanze, der Flachs und die Baumwollstaude; ihm liefern von Albions Ebenen und von Andalusiens Hügeln, von Tibets Alpen und von Amerikas Gebirgen das Schaf und die Vikunja ihre Wolle, von Jonien herüber die fromme Kamelziege ihre Haare; ihm spinnt durch ganz Frankreich und Italien und bis nach China die Seidenraupe. Für ihn arbeiten auf allen Triften und in allen Fabriken tausend Hände des Landmanns, des Scherers, des Webers, des Färbers in Damaskus, in Genua und Pforzheim. Mit sinnender Miene wirft er die Ballen auseinander, zerschneidet mit kühner Schere in einem Nu, was Minervas Söhne mit sorglicher Hand in Tagen verbanden, setzt es mit künstlicher Nadel in neue Verbindungen zusammen, gestaltet das Formlose, näht schöpferisch Kinder zu Knaben, Greise zu Jünglingen, Weise zu Gecken um, verschönert die Schönheit, verschleiert die Häßlichkeit, macht, über alle Eindrücke des Schicksals erhaben, wie das Schicksal selber, Brautgewande und Totenkleider mit der nämlichen Nadel, gibt Uniformen und Ordenssterne, ist immer neu und unerschöpflich, und wenn selbst weise und gelehrte Männer, wie man sagt, hinter dem Jahrhundert zurückbleiben, so schwebt er, fortschreitend, wie ein Gott auf der Höhe des Zeitalters und der neuesten Mode.

Mit stolzer Zufriedenheit sieht er nun, wohin er sich wendet, die Gestalten, die er schuf, um sich schweben, und mit Bewunderung und Beifall wird in den Palästen, auf den Theatern, auf den Paradeplätzen und in den Kirchen sein Name, nur sein Name genannt, - das ist unser Mann im Staate, und diese Wichtigkeit und Allmacht, und etwa der leichte Anflug einer organischen Blüte der Hautgefäße, gleichsam die perennierenden Monatsröslein des menschlichen Körpers, die bei uns am besten gedeihen, erhalten ihn unaufhörlich in einem regen wohltätigen Selbstgefühl, dessen Verlust schon so manchen Sterblichen in das Verderben geführt hat. Die Welt erkennt seinen Wert und die Mächtigen derselben seine Überlegenheit. Wer darf ungestraft die Hand an die geheiligte Person des Königs legen? Der Schneider. Wer darf ihn messen mit kühnem Blicke und Maß? Derselbe. Darum sitzt er auch, seines Wertes bewußt, nicht wie ein gemeiner Mensch, sondern wie die mächtigen Sultane des Orients mit übereinandergeschlagenen Beinen in officio noch größer und in seinem Stande souveräner als sie. Denn alle Schneider kleiden sich selber; aber wenige Sultane beherrschen sich selber.

 

   
 

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