![]() |
||
zurück |
Ein Vermutungsgrund für die Immaterialität der Seele |
|
Die Physiker haben erwiesen, daß der Körper des Menschen sich unaufhörlich wandele und in wenigen Jahren allen Teilen nach ein ganz veränderter und neuer Körper sei. Also nach zehn Jahren auch andere Nerven, den Bestandteilen nach, und anderer Nervensaft natürlich, und doch noch immer die alte Seele; — die Seele muß also nicht aus Materie bestehen. Mein Körper hat sich nämlich nun schon wenigstens zum drittenmal ganz geändert, und ich habe nichts davon gemerkt, habe immer das nämliche Bewußtsein gehabt, fühle daß ich noch immer das nämliche Individuum bin. Was ist's für ein Teil meines Wesens in mir, der dieses fühlt und erkennt? Was ist für ein fixer Punkt meines unveränderlichen Daseins in mir, vermöge dessen ich trotz alles Abreibens und Wegdünstens der Materie doch immer der nämliche bin? Muß es nicht selbst etwas Umwandelbares und somit etwas Immaterielles sein? Daß die vernarbte Wunde an dem Arm, den ich jetzt habe, noch sticht, wie sie an dem stach, an welchem sie geschlagen und geheilet ward, ist noch begreiflich. Die Narbe selbst belehrt mich, daß hier die Teile auf eine fehlerhafte, unnatürliche Art zusammengesetzt sind und daß hier die organische Wirkung der Natur so lange nicht zurücktreten könne, solange sich die Narbe nicht verliert. Also auch die neuen Teile setzen sich allemal wieder fehlerhaft an, und so lange muß ich immer neuen Schmerz empfinden. Nicht die Wunde, die ich vor zwanzig Jahren empfangen habe, auch nicht die Narbe, die sich damals überzog, sticht mich jetzt mehr, sondern die, welche ich jetzt habe, aus dem nämlichen Grund, warum mich jene schmerzte. Das wäre also begreiflich. Daß ich aber eine Rede, ein Gedicht, eine Musik, die ich mit meinem jetzigen Ohr höre, wieder als die nämliche erkennen kann, die ich vor fünfzig Jahren schon auswendig gelernt oder auch nur mit besonderem Anteil und Wohlgefallen gehört hatte; ja, daß diese Finger eine Musik noch auf dem Klavier zu spielen wissen, an die ich vielleicht in so viel Jahren nicht gedacht habe, das ist unbegreiflich, wenn nicht etwas in mir wäre, das seit jener Zeit keinen Wechsel seiner Teile erlitten hat und also immateriell ist. |
||
|
|
|