XXXXX   Allgemeine Betrachtungen
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TEXT 71

       


 

     

1.

Der Akerbau hat von ieher seine Lobredner gefunden. Ich will nicht Virgils Bücher vom Landbau   nicht die gepriesene Ode des Horatius - ich will keinen nennen. Denn wer preist nicht die Wichtigkeit und Wohlthätigkeit dieser Beschäftigung aus eigener Überzeugung? In dem Akerbau erkennen wir die Grundlage aller bürgerlichen Geselligkeit und Ordnung   in ihm die sicherste, wenn auch nicht immer die reichste Quelle des Wohlstandes im Staat und in den Familien, in ihm die treue Hut vaterländischer Tugenden, in ihm endlich eine vorzügliche Schule einer frommen gottergebenen Gesinnung, die wir unter dem schönen Namen der Religiosität begreifen.

Ich verweile einige Augenblicke bei dieser Seite des Gegenstandes, weil sie vielleicht dieienige ist, die man sonst am wenigsten ins Auge faßt.

Ich nenne den Akerbau eine vorzügliche Schule der Religiosität, weil dieienigen, welche sich mit ihm beschäftigen mit den mannigfaltigsten und erhabensten Denkmalen des Daseyns und der Vollkommenheiten des Unendlichen öfter und näher als andere umgeben sind, und weil sie durch ihren Beruf öfter und unausweichbar an ihre Verhältniße zu ihm erinnert werden.
 

      2 b

Wenn aber iene Gesinnung, die wir mit dem Namen der Religiosität bezeichnen nichts anderes als ein stetes Andenken an Gott ist, wenn sie wenigstens aus ihm unaufhörlich neues Leben neue Nahrung neue Kraft gewinnt und ohne dasselbe nicht gedenkbar ist, sie die den Geist in allen Zerstreuungen und Versuchungen sich selbst und seiner Bestimmung bewahrt, sie die alle himmlische Tugenden in sich vereinigt und verklärt, sie die allen Wünschen, Vorsätzen und Grundlagen Einheit, Würde und Adel gibt — dann darf ich kühn die Frage aussprechen, welcher Lebensberuf mehr als der Ackerbau das Gemüth durch stete Erinnerung im Andenken an das höchste Wesen zu erhalten geeignet sey.
 

      3.

Zwar der Ewige, dessen allmächtiges Wirken das ganze Weltall durchdringt, hat sich keinem seiner vernünftigen Geschöpfe verborgen. Ein geheimer Zug des Herzens führt zu ihm. Es will religiös seyn, ehe es weiß, daß es soll. Die Vernunft selbst ist eine innere, lebendige und unerschöpfliche Quelle seiner Erkenntniß, und der aufmerksame Beobachter dessen, was ihn umgibt, hat nicht nöthig Landwirth zu seyn und den Pflug zu führen um im Auftauchen der Sonne im Sternenheer das die Nacht durchschimmert, im Gewittersturm, in der Blume des Feldes in dem weisen Zusammenhang aller Dinge den zu schauen, zu bewundern anzubeten den das Herz so geheimnisvoll ahnet und die Vernunft so unausweichbar erkennt. Allein es ist doch nicht zu leugnen, daß von den unzähligen Berufsarten und Geschäften in welche sich das bedürfnisreiche Geschlecht der Sterblichen theilt, das eine weniger das andere mehr von der Anschauung der großen herrlichen Natur und dem Andenken an ihren Urheber abziehe, und daß der Landmann mehr als ieder andere in ihm festgehalten werde. Wohin er das Auge wendet, wird er an den Schöpfer und Erhalter aller Dinge, an den Allmächtigen, Allweisen, alles Segnenden erinnert und seiner unsichtbaren Gegenwart nahe gestellt.

       

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Dieser Text wurde als Teil der Betrachtung
 "Der Ackerbau, eine vorzügliche Schule der Religiosität"
 in "J. P. Hebels sämmtliche Werke, Achter Band" 1834 veröffentlicht.
Der Text wurde von allen späteren Herausgebern in dieser gedruckten Form übernommen - der. o. a. Text ist die Transkription des Autographen.

Der Autograph besitzt keinen Titel und unterscheidet sich in der Rechtschreibung erheblich vom Original - so z. B. bei der Verwendung von 'i' statt 'j', 'Akerbau' statt 'Ackerbau', 'seyn' statt 'sein' und vielfach 'th' statt 't'.
Wie üblich hat der Satzbau durch den "hebeltypischen" sparsamen Einsatz von Kommas eine andere Rhythmik (die alle späteren Herausgebern wohl ihren Lesern nicht zuzumuten glauben konnten.

Der fehlende Teil '2 a' entspricht Text 76; die folgenden Teile '4.' + '5.' entsprechen
 Text 75; ein weiterer Teil '7' entspricht Text 73; Teil '6' und mögliche weitere sind nicht vorhanden.
Die gesamte Ausarbeitung/Betrachtung enthält mehrere leere und/oder begonnene Seiten, dazu lange gestrichene Passagen, was darauf schließen lässt, dass der Text in mehreren Etappen verfasst und ev. deshalb im Karlsruher Konvolut bei der Restauration 1949 auch nicht in der 'richtigen' Reihenfolge gebunden wurde.
Nichts desto trotz bildet das "BLB-Buch" die Vorgabe dieser Website.

 

 

 
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      Transkription nach dem Autograph (Digitalisat der BLB Karlsruhe S. 250 - 255).

 

Das Jahr ist unbekannt, der Schrift des Originals nach
dürfte der Text um 1820 entstanden sein.