zurück Predigt am Sonntage Oculi 1795
     

Weiser Vater, auch das gehört zu unserer Erziehung auf Erden und zur Uebung unserer Kräfte für himmlische Zwecke, daß wir oft mit unserm Verstande und oft mit unserm Herzen unter dem Einflusse fremden Beispieles und Zuredens stehen. Du hast unserm Geiste die höchste Erleuchtung und die muthigste Belebung, unserm Herzen die wärmsten frohesten Gefühle gegönnt, und heilige Bande geknüpft, als du uns fähig machtest unsre Weisheit, unsre Hoffnungen, unsern Glauben einander mitzutheilen, und wohlthätige Erfahrungen, woran die Menschheit Jahrtausende gesammelt hat, zu bewahren. Wir wollen nicht unthätig klagen, daß durch diese wohlthätige Anlage unserer Natur auch eine Lücke für den Irrthum zu unserm Verstand, und ein Weg für die Verführung zu unserm Herzen offen blieb. Aber laß uns wachen für unsre Unschuld und für unsre Seelenruhe. Laß uns aus allen Meinungen der Menschen prüfen, was da sey dein guter wohlgefälliger und vollkommener Gotteswille Lehre uns den Irrthum auch unter dem verdachtlosesten Schein der Wahrheit, die Heuchelmiene der Verführung auch unter dem mißbrauchten Schein der Freundschaft erkennen und meiden. Lehre uns thun nach deinem Wohlgefallen, denn du bist unser Gott; dein guter Geist führe uns auf ebener Bahn. V. U.

Text: Epheser 5, 1 — 9

1 So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder
2 und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch.
3 Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört.
4 Auch schandbare und närrische oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung.
5 Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger - das sind Götzendiener - ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes.
6 Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams.
7 Darum seid nicht ihre Mitgenossen.
8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts;
9 die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

 

Seyd Gottes Nachfolger als die lieben Kinder, und wandelt in der Liebe, gleich wie Christus uns geliebet hat. Mit diesen Ermunterungen geht der Apostel in unserm Texte von den Ermahnungen zur allgemeinen brüderlichen, wohlthätigen Menschenpflicht, auf einige Warnungen vor den herrschenden Gewohnheiten und Sünden in der Stadt der Epheser, und auf das pflichtmäßige Verhalten in den besondern Verhältnissen des häuslichen Lebens über. Welche wohlgemeinte Warnungen vor Irrsal und Sünden und Elend, — und welche Ermahnung zu irgend einer Gesinnung oder Pflicht, die Gott gefällt, unsre Natur veredelt, und unser Glück erhöht, ließe sich nicht an jene schönen, das Herz erhebenden Aufforderungen anknüpfen: Seyd Gottes Nachfolger als die lieben Kinder, und wandelt in der Liebe, gleich wie Christus uns geliebet hat, — an sie, die alles umfassen, was die freieste Vernunft dem Menschen zum Gesetz, und das edelste Gefühl zum Bedürfniß, und die reinste Religion zur Bedingung ewiger Freuden machen kann, — an sie, die auch mit der schwersten Pflicht die wirksamsten Ermunterungen und belebenden Segen in das Herz führen, jede Verläugnung des irdischen Sinnes und jede fromme That zu dem Werth eines kindlichen Gehorsams gegen unsern höchsten Vater, und einer dankbaren Liebe gegen unsern besten Wohlthäter Jesum erhöhen!

Wir heben von den gedrängten Warnungen und Ermahnungen unsers Textes eine aus. Wäre sie, so wie sie es verdient, angehört, zu Herzen genommen und befolgt worden, manches giftige Unkraut, das unter den Menschen umherkriecht, und seine Ranken oft um die unschuldigsten Herzen schlingt, wäre in dem kalten feuchten Boden wieder erstorben, in welchem es entstand; manche trostleere Stunde würde da und dort weniger durchseufzt, manche in Leichtsinn und Frevel verlebte weniger bereut; jene wohlthätigen Stützen, an denen die schwache Menschheit sich anlehnt, jene ehrwürdigen Stützen, auf denen Jahrtausende lang das Glück der Menschheit ruhte, wankten nicht; der sorgliche Menschenfreund schaute nicht mit trübem ahndendem Blick und mit bangem Herzen in die Zukunft hinaus. — Lasset euch, sagt Paulus, niemand verführen mit vergeblichen Worten, denn durch solche kommt Unglück. Wir reden, durch diese Worte veranlaßt, von der Verwahrung unsers Glaubens, unsrer Grundsätze und Gefühle gegen Wirkungen leichtsinniger und verführender Worte. Wir werden

1) davon reden, wie nöthig und wichtig diese Verwahrung sey, und

2) einige Anleitung und Ermahnung dazu mittheilen.

Unser Vater!

Laß uns wachen, gib uns Kraft,
Daß wir stets auf deinen Wegen
Heilig und gewissenhaft,
Und im Glauben wandeln mögen.
Du kannst uns die Kraft verleihn,
Treu bis in den Tod zu seyn.
Höre uns, denn wir sind dein,
Theuer Dir o Gott erkaufet,
Sind auf dich, um dein zu seyn,
Vater, Sohn und Geist getaufet.
Ewig, ewig laß uns dein,
laß uns ewig selig seyn. Amen.

So lange nach der Bemerkung des größten Menschenkenners Jesu Christi und dem Gesetz unsrer geistigen Natur die Fülle und die Ueberwallungen der Gefühle, Wünsche, Neigungen und Grundsätze des Herzens, durch Sprache sich ergießen und ankündigen, wird in den Bekenntnissen und Urtheilen der Menschen die wichtige Verschiedenheit herrschen, die ihre Gesinnungen von einander entfernt, und ihre Thaten gegen einander auszeichnet, und wir werden mit der nämlichen Sorgfalt uns hüten müssen, jene ohne Prüfung anzunehmen, als diese ohne Wahl nachzuahmen.

Die Menschheit faßt auch wohl in ihren kleinern Abtheilungen, Glieder von der größten Verschiedenheit und vielseitigem Widerspruche zusammen: Weise und Thoren; — Bedächtige und Immerfertige zu That und Sprache; — die durch Grundsätze und Erfahrung, und die ohne Wage und Maßstab durch den Aussenschein der Dinge und durch den Eindruck des Augenblicks in ihren Urtheilen sich leiten lassen; — die, von tiefen Gefühlen der Ehrfurcht durchdrungen, Gott und den Vater Jesu Christi anbeten, und in der Religion Nahrung für edlen Sinn, Ermunterung und Segen zur Tugend, süße Herzensfreude und milden Trost gegen alle Bedrängnisse finden, und andere, die fern von diesem Heiligthum den Frieden ihres Herzens suchen; — solche, die ein edles Gefühl in einem freien und guten Herzen bewahren, und andere, welche die edlern Gefühle des Herzens unter den lebhaftern der Sinnlichkeit mißhandeln und tödten; — friedliche Menschenfreunde, die gerne sich da in den Zusammenhang der Dinge fügen, wo die Vorsehung sie eingerückt hat, und Unzufriedene, die der leisen Berührung der Verhältnisse als einem ungebührlichen Druck ihre Kraft entgegenstemmen; — großherzige Menschenfreunde, die ihre Zeit, ihren Vortheil, ihre Kraft und ihr Leben dem Wohl ihrer Brüder zum Opfer bereit halten, und Engherzige, die nur sich in dem Mittelpunkte der Schöpfung sehen, und für fremde Freuden oder Seufzer gar wenig Empfindung haben.

Und überall wird aus Absicht und ohne Absicht, bei jeder herbeigezogenen Gelegenheit oder in einem unbewachten Augenblick, die Bemerkung bestätigt, daß dessen der Mund übergehe, wessen das Herz voll ist, und die Sprache nicht geben könne, was das Herz nicht hat.

So Mancher wuchert mit seinen Grundsätzen oder Gefühlen, mit seiner Wahrheit oder seinem Irrthum, durch Bekenntniß und Urtheil, durch Zureden oder Abmahnen, durch Schmeicheln oder Drohen, durch Billigung oder Tadel, durch Wunsch oder Klage, durch Witz und Scherz und Spott, zum Fluch oder Segen um sich her.

Nicht Jeder ist schon entschieden, das was er werden kann, noch viel weniger, das was er werden, noch weniger, das was er in jedem Augenblick, an jedem Tage seyn sollte.

Lasst es uns nicht läugnen, es gehört eine große Seele und seltene Stärke des Geistes dazu, sich selber genug, unabhängig von andrer Meinung, sich Lehrer, Freund, Wegweiser, Rathgeber und Gesetz zu seyn, — und es setzt genaue Prüfung oder seltenes Glück voraus, wo wir fremder Aufmunterung, fremden Rathes und Urtheils bedürfen, dem sichersten und besten zu folgen. Und laßt es uns nicht bergen, es liegt etwas in dem menschlichen Herzen, wodurch sich Leichtsinn schneller als Besonnenheit, das gefällige Uebel leichter, schneller und sicherer als die ernste Weisheit und Tugend miltheilet, wie das rankende Unkraut einen Acker ohne Pflanzung und Pflege schnell überspinnt, wenn der Pflanzer nur durch Arbeit und Mühe, und lange Geduld, die Saat, die ihn nähren und belohnen soll, zur Reife bringt. So nöthig ist auch für den Festern und Geübteren die Warnung des Apostels: Lasset euch nicht verführen durch vergebliche Reden.

Tausende, zu eigener Prüfung und Entschließung ungeneigt oder ungewohnt oder ungeschickt, unterwerfen sich, ach zu oft ohne Noch und eben so oft ohne Wahl, einer fremden Vormundschaft und Leitung , und hängen mit ihren Gefühlen, mit ihrem Glauben, mit ihren Entschließungen, mit der ganzen Ruhe ihres Lebens von der Einsprache deren ab, mit welchen sie der Zufall am nächsten und am öftersten zusammenführt.

Wunderts euch, wenn dann ein Armer unter dem Einfluß fremden Leichtsinnes, oft fremder Absichten, von Thorheit zu Thorheit, von Sünde zu Sünde übergeht? Einsprache, Zureden und Verführung, ach sie flößen so oft unbilliges Mißtrauen gegen die edelsten Menschen in das Herz, sie fachen so oft den schwachen Funken des Mißvergnügens zur Flamme der Feindschaft und des Unfriedens im Schooße der Freundschaft und der Familien an, umrauschen so oft das Ohr, daß es die freundliche Ansprache zur Versöhnung, daß es Rath und Belehrung nicht vernehmen kann, geben dem Besten oft den Schein des Schlimmen und der verderblichsten That den Anstrich unschuldiger Freude, führen durch Ueppigkeit zu Mangel, durch Noth zur Untreue, durch Ausschweifung zum Verderben. — Und armer verrathener Mensch, wenn unter dem Honig der Ueberredung das betäubende Gift des Aberglaubens oder das ätzende Gift des Unglaubens in deine Seele schleicht, wenn ihr Strom das Hochgefühl für Menschenwerth und Tugend und das warnende Gefühl vor Unsitte und Laster in deinem Herzen verschwemmt, wenn du zu dem fürchterlichen Schwefellicht hinangedrungen bist, welches das, was andern Menschen ehrwürdig, heilig und wohlthätig scheint, in den Schatten der Thorheit und des Vorurtheils zurückwirft, wenn Eckel vor der Alltagswelt, in der du leben mußt, deine verwöhnte Seele füllt, und du in Träumen, die nur ein trauriges Erwachen endigen kann, die Zwecke vergissest, zu welchen dich der Schöpfer weise und wohlmeinend in diese Verbindung der Dinge eingewebt hat, wenn Leidenschaften in deiner Seele aufgeschmeichelt, und aufgereizt, und aufgewühlt werden, die deiner Besinnung Flucht oder ewige Fehde ankündigen, wenn die Worte keinen Sinn und keinen Segen mehr für dich haben: Seyd Gottes Nachfolger, als die lieben Kinder, und wandelt in der Liebe gleichwie Christus uns geliebet hat; — die Quelle der Freuden in deinem Herzen ist alsdann vertrocknet, die Sehnen deiner Kraft zu edeln Thaten sind abgeschnitten, deine Knie sind gelähmt, daß du nicht hinaufsteigen kannst die hohe Bahn zur Menschenwürde und zum freien Blick über Zeit und Grab in die Ewigkeit. Gott bewahre dich vor Leiden, du hast ihrem Kampf keine Stärke, ihren Schrecken keinen Trost mehr entgegen zu tragen. Aber du hast dir selbst so viele Leiden bereitet, hast dir einen bittern Kelch gefüllet, dessen keine Allmacht dich überheben wird. Gott befreie dich von deinen Fesseln und söhne dich mit der Wahrheit und Tugend aus, ehe deine Stunde kommt, eh' an deinem Grab die verachtete und verhöhnte Wahrheit sich bei deinem Geist in ihre Rechte zurücksetzt, um dich vorzubereiten auf dein Gericht, — nicht tröstend dich durch das finstere Thal hinüber zu führen zum Licht und Leben und Frieden.

Traurig ist der Zustand eines der Verführung Preis gegebenen Menschen; bedenklich schon die ferne Annäherung an seine Gefahr. Laßt uns übergehen zu der Frage, wie wir unsern Glauben, unsre Grundsätze und Gefühle gegen die vergeblichen Worte der Verführung bewahren.

Schonet euer Herz und eure Gefühle, wo es seyn kann, vor der Gelegenheit oft zu sehen und zu hören, was nicht frommet. Trauet euch nicht mehr zu, als ihr vielleicht ertragen könnt. Setzet eure Kräfte auf keine unnöthige Probe. Es ist Natur, in seiner Art wohlthätige Natur unsers Geistes und Körpers, sich allmählig an manches gewöhnen zu können, und allmählig erträglich, vielleicht gut zu finden, was in den ersten Augenblicken unser Gefühl empfindlich verwundete. Aber auch das Wohltätigste kann durch Unbehutsamkeit und falsche Anwendung zum Unsegen werden. Ein unverdorbenes Herz wird anfänglich, wird einmal vor unheiligem Urtheil und leichtfertigem Spott über die Majestät der Gottheit, über Religion und alles was noch im äußersten Schimmer ihres heiligen Glanzes liegt, über Sitte, Tugend, Ordnung und Würde des Menschen, zusammenschauern. O daß es diese Himmelswarnung verstehen möge! In dieser Stärke wird es vielleicht sie schon das zweitemal nimmer fühlen; es wird vielleicht bald die unwillkührlichen Regungen seiner bessern Gefühle lästiger finden als den Stachel, der sie aufweckt, bald vielleicht auch dieser Regung nimmer fähig seyn, und am Ende lachen über seine verschwundene Gewissenhaftigkeit, während sein Schutzengel über seine Verirrungen weint. So sind schon oft gefühlvolle Menschen in kaltblütige Peiniger ihrer Brüder, oft fromme gläubige Beter in trostlose Zweifler verwandelt worden. Die zarte Pflanze Gottes verschießt in ein Dorngebüsch, das den Vorübergehenden blutig ritzt, O biete Niemand seinen Glauben, seine Gefühle, seinen Frieden, sein Herz so schnöde und verrätherisch feil!

Prüfet erst die Urtheile der Menschen, ehe ihr sie durch Beifall des Herzens zu den eurigen macht, ihr Zureden, eh' ihr es befolgt. Bringt es euch näher dem großen himmlischen Vorbilde, dessen Nachahmung euch Paulus in unserm Texte empfiehlt? Laßt es euch den trostvollen Gedanken: Gott ist mein Vater! und die Würde: ich sein geliebtes Kind, zur ewigen Beglückung durch Tugend in seinem Schooße gepflegt? Oder führt es euch in eine süßere, liebere, glücklichere Kindschaft ein, wenn es euch aus dieser hinwegreißen sollte? Erwärmt es euch zu einer Liebe gegen die Menschen, wie die ist, mit der Jesus Christus euch geliebet hat? Oder zündet es eine heiligere Flamme in euren Herzen an, wenn die erloschen ist, die der sanfte liebende Geist Jesu Christi in euch anfachte? Schauet zurück und um euch, ob es das ist, wobei Menschen froh im Leben, muthvoll im Leiden, ruhig und groß im Tode waren. Denket den Folgen nach, ob sie euern Frieden und eurer Brüder Glück befordern werden. Fragt euch, ob das, was ihr meinet und wollet, gedeihlich Ware für viele, wenn viele es meinten und wollten. Würde es der Menschheit zum Fluche gereichen, o so ist es sicherlich auch euer Segen nicht. Der alles regieret, und aller Menschen Vater ist, hat den Frieden des Einzelnen zu fest an den Frieden aller angeknüpft; und was ist das allgemeine Wohl, wenn es sich nicht aus der Liebe, aus dem Frieden, aus der Freude aller ungestört und ungetrübt zusammen bildet? —

Der Geist des Menschen ist zu dieser wichtigen Prüfung nicht immer reif, nicht immer stark, auch nicht immer ruhig und frei genug. Und doch wenn wir die Schranken unsrer Einsichten und die Unsicherheit unsrer Erfahrungen fühlen, wenn allzugroßes Unglück uns zum Zweifel an Gott oder allzugroßes Glück zur Sicherheit bereitet, wenn Leidenschaften mit der Vernunft in Berathschlagung treten, wenn wir zwischen unsern verschiedenen Pflichten wanken, wenn sich unsre Grundsätze und Gefühle theilen, wenn wir nur mit halbem Gewissen den Schritt zur Erfüllung unsrer Vorsätze thun, dann ist uns der Rath von Andern so nöthig, der fremde Erfahrungen zu unsrer Weisheit macht; dann ist nach Salomons Ausspruch: ein Freund lieblich um Raths willen der Seele, wie das Herz sich freuet der Salbe und Rauchwerks, Aber laßt dann nicht jedes Wort der Zurede in eure Seele gehen, wo es der Zufall euch herführt. Vertrauet nicht die Unmündigkeit des Geistes einem noch Unmündigern an. Haltet euch mit Offenherzigkeit und Zutrauen an die, welche die Vorsehung in die engsten Verhältnisse der Liebe, der Zärtlichkeit, der Verwandtschaft und Freundschaft mit euch gesetzt hat, an diejenigen, deren Schicksal mit dem eurigen, deren Freude mit eurem Glücke, deren Ruhe mit eurer Rettung unzertrennlich verbunden ist; an die, welche Tage und Nachte für euch arbeiten und sorgen; an die, welche schon oft durch guten Rath ihre Weisheit bei euch und Andern bewährt haben, die sich schon durch viele Proben des Edelmuths und der Liebe den ehrwürdigen Namen eurer Freunde, eurer Rathgeber, eurer Lehrer, eurer Wohlthäter, eurer Väter, eurer Schutzengel erworben haben. Wo du Rath bedarfst, sagt Sirach, so suche ihn bei weisen Leuten, und besprich dich milden Verständigen, und richte alle deine Sachen nach Gottes Wort; geselle dich zu frommen Leuten.

Machet euch aber auch in guten Stunden gegen Anfechtung und Gefahr stark. Bereichert euren Verstand mit heilsamen Erkenntnissen, erweitert eure Einsichten, befestiget euren Glauben und eure Ueberzeugungen, veredelt eure Gefühle, belebet eure Hoffnungen, stärket eure Kräfte durch Erinnerung an eigene und durch den Hinblick auf fremde Erfahrungen, durch Aufmerksamkeit auf die Natur und Welt, am meisten aber durch Bekanntschaft und Beschäftigung des Geistes mit den Belehrungen eurer wohlthätigen Religion. Macht ihre Wahrheit, ihre Kraft, ihren Segen und Trost durch Ausübung ihrer Vorschriften dem Herzen fühlbar und theuer. Seyd Gottes Nachfolger als die lieben Kinder und wandelt in der Liebe gleichwie Jesus Christus euch geliebet hat. Betet oft und mit Andacht des Geistes zu Gott eurem Vater und dem Vater Jesu Christi, daß er eure Unschuld, euer Gewissen, euern Seelenfrieden bewahren und durch die Leitung seines guten Geistes zwischen den Krümmungen des irdischen Lebens auf dem guten Weg zum himmlischen Leben erhalten wolle. Keine irdische Weisbeit und keine himmlische Religion bietet euch ein wirksameres Verwahrungsmittel gegen die Gefahren eurer Seele; die große, lichte, heilige Seele Jesu Christi kannte selbst kein besseres. Weihete und stärkte er sich nicht selbst durch nächtliches Gebet zu den Thaten und Leiden seiner Tage? Waffnet er nicht seine schwachen Jünger gegen das Herannähern der bedenklichsten Stunde mit der Ermahnung: Wachet und betet daß ihr nicht in Anfechtung fallet? Betet er nicht selbst für seine Jünger, daß sein Glaube nicht aufhöre? — Durch diese Uebungen stärkt und bewahret eure Seelen. Verführung und List dringt nur in leere Falten des Herzens ein. Ein Herz, das des Glaubens, der Tugend der Hoffnung voll ist, ein Herz, das die heilige Flamme der Gottes - und Menschenliebe ausdehnt und bis in die letzten Fibern erwärmt, ist gegen die Wirkung vergeblicher Worte gesichert.

Lasset uns alle durch Nachfolge Gottes, und durch Liebe in dem Geiste Jesu Christi einer den andern zu immer reinerem Sinn, und in höherer Vollendung erwecken, unterstützen und stärken. Laßt uns, — ferne von dem Fehler, unsre Ueberzeugungen und Grundsätze anzupreisen, auszupredigen, aufzudringen, — wo es Zeit und Noth ist, durch Ermahnung, Warnung und Rath, unsre schwächeren Brüder vor Irrthum, Vermessenheit und Elend bewahren, und durch ein frommes Leben zeigen, welch ein Glaube, und welcher Geist uns beherrsche, und durch Männlichkeit in der Stunde der Versuchung, durch Mäßigung im Glück, durch Geduld im Leiden, durch den Blick zum Himmel, wenn wir am Grabe stehen, den Triumph der Gottesfurcht und Tugend über den Spott des Unglaubens und die vergeblichen Worte der Verführung verherrlichen.

Amen.

 

 
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