zurück Predigt am Sonntage Jubilate 1793
     

 Noch stehen wir von ferne, du unser Schöpfer und Vater, noch schauen und beten wir aus dem Staube zu dir empor. Aber dein Geist gibt unserm Geiste das tröstende Zeugniß, daß wir deine Kinder sind, die einst nicht im Tode erliegen, nicht umsonst und nicht ewig mit Erdenschwachheit kämpfen, sondern durch Wahrheit und Vollkommenheit dir näher kommen sollen. Leite du uns zwischen den mannigfaltigen Irrwegen, die sich in Elend und Jammer verlieren, an Täuschung und Schein vorbei, auf dem guten Wege, der zum seligen Ziele führt. Laß uns mit Demuth forschen und zunehmen in deiner Erkenntniß, mit frommem Eifer zum höhern Leben uns vorbereiten, und dann mit Geduld und Vertrauen auf die Stunde harren, in der wir Irrthum, Schwachheit und Sünde zurücklassen, und mit den Engeln vor deinem Thron anbeten sollen in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit. Heilige uns auch in gegenwärtiger Stunde zu diesem
großen Beruf. V. U.

Text: Johannes 16, 16 — 23

16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.
17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?
18 Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.
19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.
21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.
22 Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
23 An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.

Es gehört mit in das Loos der Endlichkeit und Eingeschränktheit, andächtige Zuhörer, in die Mischung der Vorzüge, welche uns über das Thier erheben, mit den Unvollkommenheiten, die uns unter den Engel herabsetzen, daß das Streben des menschlichen Geistes nach Aufschluß über so viele unerkannte Gegenstände, die uns doch so wichtig sind, und unergründete Schicksale, die uns doch so fühlbar treffen, stets aufgeweckt und rege erhalten, und doch, so lange wir unter der Sonne wandeln, nie befriedigt werden soll. Auch der Gleichgültigste wird wenigstens durch sein eigenes Schicksal und durch Begebenheiten, die nahe genug unter seinen Augen vorgehen, und der Aufmerksamere noch durch so viele andere Veranlassungen oft genug zu Fragen, Muthmaßungen und Zweifeln aufgefordert, in denen er sich oft desto unwegsamer verirrt, je länger er die Spur verfolgen will, die ihn zur Wahrheit zu führen scheint.

Warum läßt Gott, wenn er eben so allmächtig, als heilig und gut, eben so heilig und gut als allmächtig ist, warum läßt er gleichwohl so viel absichtlich Böses, und so viele unglückliche Wendungen der besten Absichten in einer Welt zu, wo doch alle einzelne Handlungen, ihr Beginnen und ihre Folgen unter seiner leitenden Vorsehung stehen? Warum muß so oft die gekränkte Unschuld, — vielleicht ohne Rechtfertigung, ungetröstet, unbedauert leiden, und das verwegene Verbrechen siegt? Warum gab Gott hier dem edeln Menschenfreund zu einem gefühlvollen liebenden Herzen nicht auch das Vermögen, die heißen Jahre des Jammers auf dem Angesichte eines Unglücklichen zu trocknen? Und durch welche seltsame Wahl der Vorsehung kam dort Kraft und Vermögen , so viele zu trösten und zu beglücken mit einem Herzen zusammen, das keine fremde Noth und keine fremde Freude fühlen kann? — Warum mußte hier der Säugling, der kaum die Erde begrüßte, wie eine gesehene und verschwundene Erscheinung wieder dahin sterben? Warum mit dem Jüngling voll der herrlichsten Anlagen die schöne Hoffnung für künftiges Menschenwohl in den Staub fallen? Warum der kraftvolle Mann aus einem wohlthätigen Wirkungskreis, und aus der Mitte unversorgter, trostloser Kinder ins Grab wandeln, und dort harrt der arme verlassene Greis, den keines Kindes liebende Hand mehr pfleget, keines Enkels freundlicher Blick tröstet, mit müdem, gebrochenem Blick auf seine Erlösung, und Gott läßt ihn nicht sterben? — Was ist Gott? Wo ist er? Wo ist der Himmel? Wie wird einst unser künftiger Zustand von dem jetzigen verschieden seyn? Welche Quellen der Glückseligkeit wird uns die Ewigkeit öffnen? Fast lauter Fragen, auf die uns selbst der große Menschenlehrer keine andere als die vorläufige Antwort ertheilt: es kommt ein Tag, an demselbigen werdet ihr nichts mehr fragen.

So staunten einst die Jünger Jesu Christi über dem bevorstehenden Schicksal ihres göttlichen Freundes. „Was ist's, daß er sagt: über ein kleines, so werdet ihr mich nicht sehen, und aber über ein kleines, so werdet ihr mich sehen, denn ich gehe zum Vater." Und Jesus, statt eines Aufschlusses, gibt ihnen ein neues, noch größeres Räthsel: „Weinen werdet ihr und wehklagen, und die Welt wird sich freuen, ihr aber werdet traurig seyn; — doch wenn ich euch wieder sehe, wird Ruhe und unentreißbare Freude in eure Seelen zurückkehren, und an demselbigen Tage werdet ihr mich nichts fragen."

Wir haben eines Gegenstandes erwähnt, der unsers weitern Nachdenkens nicht unwerth ist.

Weisheit und Güte ist auch das, daß uns der Schöpfer über manches, was uns wichtig scheint,
nicht so deutlich belehrt hat, als wir wünschen.

1) Gottes Absicht ist weise und gut.

2) Mögen auch wir uns weise in unserer Lage benehmen.

Eine Menge wichtiger Wahrheiten, deren Erkenntniß schon für unser jetziges Leben von Folgen ist, die uns Licht auf dem Wege, den wir wandeln sollen, Muth zu edlen Entschließungen, Trost und Freude in den Widerwärtigkeiten des irdischen Lebens gewahren können, sollen uns darum nicht verschlossen seyn, weil sie der Schöpfer uns nicht eben so nahe als manche andre vor die Augen gelegt, und dem ersten flüchtigen Anblick bemerkbar, verständlich und einleuchtend gemacht hat. Er wollte uns in die Nothwendigkeit versetzen, sie zu suchen, wenigstens die Spuren, die er uns in der Natur vorgezeichnet hat, die Winke, mit welchen er uns in der Offenbarung aufmerksam macht, selber zu verfolgen. Aufmerksamkeit auf die Werke Gottes, Blicke in unser vergangenes Leben, wie zum Beispiel schon manches, was einst düster und traurig begann, lichtvoll und froh sich endigte, fromme Betrachtung der Lehren, welche die Religion uns aufstellt, Betrachtung mit einfachem geradem Menschensinn und gutem offenem Herzen, diese Beschaffung wird uns in der großen Lektion Gotteserkenntnis gewiß immer weiter führen, uns in die Rathschlüsse und Führungen des Ewigen immer mehr mit festem beruhigtem Blick eindringen lassen, und die Ahndungen, mit denen sich das Herz so gerne von Zeit und Erde, von Tod und Grab hinweg in die Zukunft über den Wolken erhebt, immer mehr berichtigen, mit den Einsichten des Verstandes in Einigung bringen, und so zur frohen Ueberzeugung erheben. Wahrheit, die Frucht eigenen Nachdenkens, Ueberzeugung auf Erfahrung gebaut, wird dann unsern Herzen werther, unserm Leben gegenwärtiger, wirksamer zu Trost und Freude und fruchtbarer zu allen Tugenden seyn. Wahrheit, die Frucht eigenen Nachdenkens, und Ueberzeugung auf Erfahrung gebaut, wird uns am längsten, und ausdauernd gegen die Lockstimme der Sinnlichkeit, gegen unselige schwankende Zweifelsucht, und gegen die leichtfertige Ueberredungskunst des Spötters und Verführers bewahren.

Doch auch der aufmerksame Geist, wie sehr er nach Licht und Wahrheit dürstet, wird seine Grenzen finden, und über die lichtern Gegenden hinaus sich bald wieder in Dämmerung und Nacht verlieren, wenn er noch lange weiter forschen möchte über seine jetzige und künftige Bestimmung, Verhältnisse und Schicksale.

Sehr natürlich, wir sind Menschen und keine Engel. Wir können und sollen jetzt noch nichts anders als Menschen seyn. Die Wahrheit ist nicht ferne von uns; sie liegt aufgedeckt in unsrer Mitte; der Engel schaut sie da mit leichtem Blick, wo wir sie mühsam suchen und nicht finden. Aber uns mangelt als Menschen die Fähigkeit sie zu bemerken und zu unserm Eigenthum zu machen. Das irdische Auge sieht sie nicht, denn der unvollkommene Verstand würde sie doch nicht fassen; der Verstand faßt sie nicht, denn das sinnliche Herz würde ihren hohen Werth doch nicht fühlen; das Herz fühlt sie nicht, denn unsere schwache Kraft würde sie doch nicht zur Weisheit und Glückseligkeit benutzen können.

Wir sind Menschen, Geschöpfe wunderlichen Sinnes. Irgendwo mußte Gott unserm Wissen und Verstehen eine Grenzlinie ziehen, wenn er uns nicht zu sich auf den Thron der Allwissenheit erheben wollte. Vergebens wähnen wir in der Stunde des bangen Zweifels, oder wenn wir staunen über die Unbegreiflichkeit unserer Schicksale, daß ein belehrender Wink von oben, ein Blick in die nächste Zukunft uns beruhigen würde. Wenn zum Beispiel dem Unglücklichen die Stimme der Wahrheit aus dem Munde Gottes dem irdischen Ohre vernehmbar die trostvolle Versicherung gäbe: dein jetziges Schicksal, wie traurig es auch scheine, führt dich der Glückseligkeit wohlthätig entgegen; bald würde er lüstern seyn, zu wissen, auf welchen Wegen, durch welche Zusammenhänge sich sein gegenwärtiges Geschick in Segen und Wonne auflösen würde. Oeffnete ihm die Vorsehung auch diesen Blick, geschwind genug würde er zu dem nämlichen Zwecke viele andere Mittel wissen, und staunend fragen, warum Gott das unzweckmäßigste, (so dürfte es ihm scheinen), warum er das langsamste und kostbarste unter allen wählte. Der Habsüchtige sammelt nie genug; der Unruhige arbeitet sich nicht müde; und der Kleinmüthige banget sich nie satt, der Zweifler findet des Zweifelns, und der Forschsüchtige des Fragens kein Ende. — Irgendwo mußte Gott unserm Wissen und Verstehen eine Grenze ziehn, und hat er sie nicht weit genug gezogen? Mit welchen schönen, fruchtbaren, trostvollen Wahrheiten weiß sich schon die Vernunft selber zu berathen? Mit welchen göttlichen, kraftvollen, zum Himmel heiligenden Belehrungen hat die höhere Offenbarung den Verstand bereichert? Wie führt uns nicht jede duftende Blume des Feldes einem allmachtsvollen liebenden Schöpfer entgegen? Wie erinnert uns nicht jede leise Berührung des Gewissens, was unsre Bestimmung, unsre Pflicht und Würde sey? Wie strahlt uns vom sternenvollen Himmel die Unsterblichkeit, Fortdauer über dem Grabe des Menschen, und Fortdauer über den Trümmern der Erde entgegen? Und neben uns leiden so viele Geschöpfe, die kein Strahl der Vernunft erheitert, die, mit dem gegenwärtigen Augenblick beschäftigt, den vorigen vergessen, und den künftigen nicht ahnden.

Wir sind Menschen, und müssen es seyn, solange wir auf dieser Erde wandeln, und in diese Einrichtung der Dinge passen wollen. Größere Vollkommenheit würde uns nur desto öfter erinnern, und desto drückender es fühlen lassen, daß wir hier im fremden Lande wallen, daß Schatten und Schein uns allenthalben umgibt, und die Vergänglichkeit auf dem Fuße nachfolgt, daß die Erde unsern unsterblichen Geist, und er die Erde nichts angeht. Es war Gott ein Leichtes, die Kraft unsers Geistes zu höherer Erkenntniß zu erwecken. Aber der nämliche geschärfte Blick, der uns auf manche vielleicht wichtige, vielleicht heilsame Erkenntniß führen würde, der würde uns auch über Geheimnisse belehren, die uns zu unserm Glück verborgen sind. Welche neue Weisheit könnte uns lohnen, mit welchem Vortheil könnte sie uns das unermeßliche Elend vergüten, das uns unausbleiblich treffen müßte, wenn wir zum Beispiel den Zusammenhang unsrer jetzigen und künftigen Schicksale verstehen, also auch aus den Begebenheiten des gegenwärtigen und vergangenen Lebens die Begebenheiten der folgenden Tage mit Gewißheit berechnen könnten? Wir dürften nur unsre künftigen Schicksale vorher wissen, ach wie würde dann der Aengstliche zittern und der Sichere pochen! Wie würden Weisheit und Tugend in allen Ständen und Altern scheitern, und Glückseligkeit ein fremder Name seyn! Die besten Freuden der glücklichen Stunde wären verloren, wenn wir sie so ferne und langsam herannähern sähen; und das Unglück würde uns erdrücken, ehe es käme. Wir würden darben, ehe wir arm waren, kraftlos da liegen, ehe wir krank würden, und todt seyn für uns und die Welt, ehe wir stürben Die sanfte Hoffnung, die jetzt das Bessere nur wahrscheinlich glaubt, würde in Sicherheit ausarten, und die heilsame Wachsamkeit, die das Schlimmere nur für möglich halt, in trostlose Verzweiflung verwildern. Schön sagt Salomo: „Am guten Tage sey guten Muthes und den bösen halte auch für gut; denn Gott schuf diesen neben jenem, daß der Mensch nicht wissen soll, was zukünftig ist."

Wir sind Menschen, und sollen es seyn, um einst mehr zu werden. Keine für uns wichtige Wahrheit soll uns ewig verschlossen, kein Glück unerreichbar bleiben. Der ganze edle Schatz ist unser, uns aufbewahrt in den Händen unsers Vaters. Aber weise theilt er uns das Gute in einzelnen sparsamen Gaben zu, um uns den Genuß zu verlängern und zu vermehren, und den Wachsthum unserer Kräfte durch Uebung zu befriedigen. Der Plan unsrer Beglückung durch Wahrheit und Tugend ist für unsere unsterbliche Dauer berechnet. Es wäre ein unkluger Vater, der seinen Kindern alle Freuden, die er ihnen zugedacht hat, auf einmal in den Schooß schüttete. Er würde sie nicht erquicken, sondern betäuben, nicht Freude sondern Gleichgültigkeit in ihnen erwecken, und sich selbst der Mittel berauben, ihre fortdauernde Folgsamkeit zu belohnen, und ihren wachsenden Eifer zu ermuntern. So erzieht Gott seine Unsterblichen nicht. Langsam führt er uns von Stufe zu Stufe zur Weisheit und Vollkommenheit empor. Wir schauen immer näher die Wahrheit auf ihrem erhabenen ewigen Thron, und übersehen, je höher wir kommen, desto lichtvoller den reinen Zusammenhang dessen, was uns nur darum verwirrt und mangelhaft scheinen muß, weil unser Auge nur einen unbedeutenden Theil des Ganzen zu messen vermag; und der große belehrende Tag bleibt nicht aussen, auf den uns Christus in unserm Evangelium vertröstet: Ihr werdet mich nichts mehr fragen.

Gottes Absichten sind weise und gut; mögen auch wir uns weise und gut in unsrer Lage benehmen.

Unsre Pflicht ist es, unsre geistige Kraft zu üben, mit Demuth zu forschen nach Wahrheit. So thöricht und vermessen es wäre, in Geheimnisse eindringen zu wollen, die Gott unserm Auge verborgen hat, so unverantwortlich würde es seyn, die Kraft des Geistes, die er dem Menschen zum Eigenthum gab, schlummern zu lassen im Dienste der Eitelkeit, gleichgültig zu seyn gegen die Belehrungen, die uns mit so großem Aufwand in der Natur und Offenbarung aufgestellt und überliefert sind, sich selbst fremde zu bleiben, die Kenntniß seiner ganzen Pflicht, die edelsten Beweggründe zu ihrer Erfüllung, Nahrung des Glaubens, Tugend und Freude sich selber zu versagen. Wir haben noch vieles zu lernen, noch manchen Irrthums Urgrund zu erkennen, noch manchen Zweifel und Wahn zu berichtigen, noch an manche trostvolle Wahrheit den Glauben in uns zu befestigen. Betrachtet in den Werken der Natur wie in einem Spiegel die Eigenschaften und Größe ihres Schöpfers. Verfolget in euern Erfahrungen wie an einem zarten Leitfaden seine Führungen und Absichten. Leihet euer aufmerksames Ohr den Belehrungen des Evangeliums von Jesu Christo, und öffnet seiner höhern Gottesweisheit den Verstand und das Herz. Werdet weise zur Seligkeit. Die Güter, die wir von der Erde uns zum Schatze sammeln, fordert einst die Erde an uns zurück; die bessere Weisheit des Geistes geht mit ihm in die Ewigkeit hinüber, und wird dort die Grundlage seines höhern Wachsthums. Die Fähigkeit und Geschicklichkeit des Körpers verschwindet mit ihm auf der Erde; die bessere Kraft, die wir in unserm Geiste wecken und ausbilden, macht uns zu unserer Bestimmung im Himmel fähig.

Nur sollen wir, indem wir Wahrheit und Aufschluß suchen, über den minderwichtigen Fragen und Gegenständen die wichtigsten nicht vergessen. Wer bin ich? Wem verdanke ich Leben und freudiges Daseyn? Wozu bin ich da? Wozu habe ich jede meiner Anlagen, meine Vorzüge vor allen sichtbaren Geschöpfen der Erde empfangen? Habe ich bisher meinem Schöpfer in Anbetung, Dank und Vertrauen gehuldiget? Habe ich nie den Frieden seiner Geschöpfe gestört? Bin ich auch keinem den Dank, die Belehrung, den Rath, den Trost, die Hülfe, die Liebe schuldig geblieben, wozu die Stimme meines Verstandes, die Gefühle meines Herzens und der ausdrückliche Wille meines Schöpfers mich aufforderte? Dauert nicht irgendwo noch eine Unvollkommenheit, ein Leiden auf meine Rechnung fort? Welche Fehler habe ich noch abzulegen? Was macht mich weiser, besser und beruhigter? Herrschet der Geist Jesu Christi in meinen Gesinnungen? Wohnet sein Friede in meinem Herzen? Erneuert sich das Bild seiner menschenfreundlichen Tugenden in meinem Leben? Ich werde vielleicht morgen nicht mehr unter den Sterblichen wandeln, aber werde ich bereit seyn, vor dem Richterstuhl der Wahrheit und Gerechtigkeit zu erscheinen, und das Leben der Ewigkeit zu beginnen? Diese gewichtvollen Fragen sind es, die uns näher als jede andre angehen, die wir uns beantworten können und sollen, deren Aufschluß uns zur Seligkeit kann weise machen. Diese gewichtvollen Fragen machet in den Stunden der Einsamkeit, des Ernstes und Nachdenkens zum Gegenstand eurer Untersuchungen, — und laßt Gott in seiner Regierung walten. Lasset ihn dafür sorgen, wie er die Unschuld, wo sie unterdrückt wird, hervorziehen und krönen, wie er Religion und Tugend gegen Unglauben, Spott und Verfolgung retten, wie er eure Sache und die Sache der Menschheit ausführen werde zum Ende.

Doch es soll nicht bloß die letzte erzwungene Entschließung menschlicher Ohnmacht seyn, mit der wir Gott überlassen, was wir nicht ändern können, und endlich aufhören zu fragen, wo er keine Antwort ertheilt; vielmehr sollen wir aus dem, was wir wissen, über das, was wir nicht wissen, uns beruhigen, mit Freuden unsere Schicksale und die theuersten Angelegenheiten des Herzens in die bessern Hände des Allesvermögenden und Allliebenden legen, und ihn mit dem kindlichen Zutrauen ehren, daß er, dessen Wege so weit wir sie kennen, tadellos und gut sind, auch weiter hinaus alles ausführen werden zu einem guten und seligen Ende. —

Die Bahn die ich zu durchwandeln habe, die Leiden und Freuden, die meiner noch warten, sind zwar meinem forschenden spähenden Blicke noch verborgen; aber ich schaue in mein vergangenes Leben zurück, und verkenne die Spuren eines unsichtbaren Führers nicht, der mir auch im Unglück nie Kraft zum Dulden, nie Trost gebrechen ließ, und oft mit unerwarteter Hülfe, und Freuden, die ich nicht zu hoffen wagte, mein zagendes Herz beschämte. Ich weiß nicht, wie nahe oder fern mein Grab mir offen steht; aber das weiß ich: es sind alle Haare auf meinem Haupte gezählt, und es fällt keines herunter ohne den Willen meines himmlischen Vaters. Ich verlasse die Erde, und auf ihr alle, die ich liebe, alle, die mir kummervoll und trostlos nachweinen; aber ich weiß daß sie unter dem Auge einer sorgenden Vorsehung zurückbleiben, und daß mein Daseyn oder Hingang, ich das schwache Erdengebilde, an ihrem Plan und Gang nichts irre machen noch ändern kann. Dunkelheit liegt über den Gräbern; aber aus dem Dunkel trat im Glanze der Unsterblichkeit ein Mann hervor, der uns Wiedererwachen aus des Grabes Nacht, und eine Wonne ankündiget, die kein irdisches Auge sehen, kein Ohr vernehmen, und kein Herz begreifen kann. Die Erde ist schon und wonnereich; wie schön muß der Himmel, wie groß die Wonne seyn, mit welcher Gott den Unsterblichen die Bangigkeit des irdischen Todes bezahlt! —

Aber wir wandeln noch diesseits des Grabes. Unsre Pflicht ist es nach dem Maß unsrer gegenwärtigen Kenntnisse zu handeln, der Ewigkeit die uns über alles belehren und alles vollenden wird, auf dem Wege der Tugend entgegen zu wallen. Denn alle erworbene Erdenweisheit, und alle Engelsweisheit, wenn wir sie vom Himmel herabzaubern könnten, wäre ein todter vergrabener Schatz, wenn sie nicht bessernd und heiligend in unsern Gesinnungen wirkte, und zu edler Thätigkeit unser Leben beseelte. Wir wollen also den Schöpfer jetzt noch nicht so wie der Engel erkennen; laßt uns ihn so, wie er dem Menschen erkennbar ist, verehren, vor dem Allmächtigen in Demuth anbeten, dem Allweisen Vertrauen, den Liebevollen und Erbarmer lieben, vor dem Auge des Allsehenden wandeln, und dem Willen des Heiligen und Gerechten durch unsern Wandel entsprechen. Wir wollen nicht eindringen in den Plan seiner Weltregierung; laßt uns seine Absichten, so wie sie unserm Auge erkennbar sind, befördern, das Gute lieben, befördern und ausbreiten, wo wir es finden, dem Unglücklichen die Schale des Trostes und die Hand der Hülfe reichen, keine Thränen, als wo es möglich ist, Thränen des Dankes und der Freude in die Augen unsrer Brüder pressen, auch fremder Vergehungen Folgen einschränken, durch unsern Beitritt zur guten Sache Jesu Christi, Glauben, Wahrheit und Tugend in der Welt erhalten und fortpflanzen, das Leben des Himmels auf der Erde beginnen, und des Himmels Freuden durch Sanftmuth und Liebe auf die Erde herabziehen.

Ein Leben der Gottseeligkeit gewidmet führt uns der belohnenden Ewigkeit entgegen, und die Ewigkeit ist es, die uns einst über alles belehren wird. Wenn die Verhältnisse der Erde sich in die Verhältnisse des Himmels auflösen, dann wird vor unserm Auge alles Licht, Zusammenhang und Ordnung seyn. Dort werden unsre Klagen in Dankgesänge, unsre Zweifel in Wahrheit, unser Staunen über das Unbegreifbare in frohe Bewunderung des Begriffenen sich umwandeln. Und an dem selbigen Tage, sagt Jesus, werdet ihr mich nichts fragen.

Dort werd ich das im Licht erkennen,
Was ich auf Erden dunkel sah,
Das wunderbar und heilig nennen;
Was unerforschlich hier geschah.
Da denkt mein Geist mit Preis und Dank
Die Schickung im Zusammenhang.

Amen.

 

 
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