zurück Predigt am Sonntage Exaudi 1800
     

Erfreut mit vielfachen Gaben, an Geist und Körper und Glück, reich an Gelegenheit und wohl auch an Mitteln gutes zu wirken in deinem Reich, gestärkt mit der Ahndung der Unsterblichkeit auf einer Erde voll Gräber, blicken wir zum Himmel auf und bekennen: Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe ist von dir, Vater des Lichts!

O daß wir denn auch deine wohlthätigen Absichten verstehen, und in der Anwendung unserer Kräfte und in dem Genusse unsers Glücks sie nie aus den Augen verlieren mögen! Daß wir an unserer Stelle Gutes um uns her in deinem Reiche befördern und selber besser werden mögen, Vater des Lichts.

Dazu stärke uns der fromme Glaube an deine Nähe und Aufsicht über uns, auch wenn du ferne scheinest; es stärke uns dazu der ernste Gedanke an den verborgenen Tag der Rechenschaft und der Vergeltung. Erleuchte in dieser Stunde durch dein Wort unsern Verstand, das Gute zu erkennen. Heilige unser Gemüth, es zu wollen. Gib zum Beginnen Muth, und Kraft zur Vollendung. V. U.

Text: Lukas 20, 9 — 18

9 Er fing aber an, dem Volk dies Gleichnis zu sagen: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes für eine lange Zeit.
10 Und als die Zeit kam, sandte er einen Knecht zu den Weingärtnern, damit sie ihm seinen Anteil gäben an der Frucht des Weinbergs. Aber die Weingärtner schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
11 Und er sandte noch einen zweiten Knecht; sie aber schlugen den auch und verhöhnten ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
12 Und er sandte noch einen dritten; sie aber schlugen auch den blutig und stießen ihn hinaus.
13 Da sprach der Herr des Weinbergs: Was soll ich tun? Ich will meinen lieben Sohn senden; vor dem werden sie sich doch scheuen.
14 Als aber die Weingärtner den Sohn sahen, dachten sie bei sich selbst und sprachen: Das ist der Erbe; lasst uns ihn töten, damit das Erbe unser sei!
15 Und sie stießen ihn hinaus vor den Weinberg und töteten ihn. Was wird nun der Herr des Weinbergs mit ihnen tun?
16 Er wird kommen und diese Weingärtner umbringen und seinen Weinberg andern geben. Als sie das hörten, sprachen sie: Nur das nicht!
17 Er aber sah sie an und sprach: Was bedeutet dann das, was geschrieben steht (Psalm 118,22): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden«?
18 Wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen er aber fällt, den wird er zermalmen.

 

Die Gleichnißrede, welche wir euch vorgelesen haben, stellt eigentlich unter ihren verschleiernden Bildern das Betragen der Israeliten gegen die edeln und erleuchteten Männer dar, die von Zeit zu Zeit von der Vorsehung geweckt unter ihnen auftraten, und ihnen die Wahrheit sagten. So verfolgten sie ihre Propheten; so sank Zacharias Barachiä Sohn blutig nieder zwischen dem Tempel und dem Altar; so endete noch in den Tagen Jesu der ernste Lehrer der Wahrheit und frohe Vorbote des nahen Himmelreichs; — und Jesus selbst, von dem alle Propheten zeugeten, der letzte und vollendende in der großen Reihe, der Sohn vom Vater gesendet seinen Brüdern zur Rettung. Ja sie nahmen dich, du Edelster und Wohlthätigster, und tödteten dich, und warfen dich hinaus vor den Weinberg. Das ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben, und der zum Eckstein geworden ist, ein fester sicherer Grund des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung denen, die ihr Bestes und Heiligstes auf ihn bauen mögen, und ein Stein des Anstoßes, schmerzhaft verwundend und tödtlich verletzend, denen, die mit thörichter feindseliger Wuth gegen ihn anlaufen, daß sie ihn zersplittern möchten. So kündigt Jesus unter seinen Zeitgenossen jenen frevelnden Verfolgern der Wahrheit und ihrer Boten, der Tugend und ihrer Verehrer, auch ihr vergeltendes Schicksal an: der Herr des Weinbergs wird kommen, und diese Weingärtner tödten, und seinen Weinberg andern austhun. Es liegt in diesem Gemälde, das Jesus seinen Zeitgenossen vorhält, die ernste Lehre: es ist dem Leichtsinn, und dem Frevelsinn nichts so ehrwürdig und heilig, das er nicht verachten und mißhandeln und mit Füßen treten könnte, und es ist nichts so wohlthätig, so erfreuend, so tröstend und heilend das nicht durch Verachtung, Mißbrauch und Mißhandlung im nämlichen Grade zerstörend würde, wie es wohlthätig seyn könnte; kein Segen auf Erden und im Himmel, den sich der Verächter der Wahrheit und der Tugend nicht könnte in Fluch verwandeln. Aber laßt uns zur Erbauung für diese Stunde die gehaltvolle Gleichnißrede des Erlösers noch von einer andern uns nähern, und dem Herzen ansprechendern Seite mit einander betrachten.

Seinen Weinberg, den er gepflanzt hatte, vertraut ein Mensch, der sich auf lange Zeit entfernen will, einer Anzahl von Arbeitern zur Wartung oder Nutznießung an. Diese während seiner Abwesenheit einer ungestörten Willkühr überlassen, mit ungebundener Hand zu schalten und zu walten, verlieren bald das Verhältniß gegen ihren Herrn und den fernen Tag seiner Rückkehr aus den Augen, und fangen an, das, was ihnen anvertraut war, als Eigenthum anzusehen und zu mißbrauchen. Zwar sendet der Herr des Weinbergs Boten um Boten und zuletzt seinen lieben Sohn, um nach seinen Früchten zu sehen. Aber zu spät und umsonst. Keine Warnung warnt die Sichern mehr, bis er selber kommt und Rechnung halt, und verfährt wie recht ist.

Erkennet ihr hierin den Grundstrich eines menschlichen Verhältnisses, einen Zug des menschlichen Herzens? Wie jene Weingärtner an ihrem Orte, so sind wir in dem großen Garten, den Gott gepflanzt hat, durch unsere inneren Fähigkeiten und Kräfte, und durch unsere äußeren Verbindungen, Gelegenheiten und Güter von Gott bestimmt und angewiesen, zu seinen großen heiligen und wohlthätigen Absichten, jeder an seinem Orte in seinem engen oder weiten Wirkungskreise, thätig zu seyn. Und was wir in uns oder außer uns gutes besitzen, ist nicht unser Eigenthum sondern anvertrautes Gut.

Wie jene Weingärtner an ihrem Orte, vergißt der Mensch so leicht und so gerne und darum so oft, was er ist, und verlieret bald auf längere bald auf kürzere Zeit den fernen Tag der Rechenschaft aus den Augen.

Wie jenen Weingärtnern, so schickt auch uns der Herr des Weinberges von Zeit zu Zeit Boten, daß wir ihnen gäben von der Frucht des Weinbergs. Kennet ihr sie? O wenn wir sie nicht kennten, wie wahr wäre es, daß der Mensch in leichtem flüchtigem Sinne, oder in tiefem mit irdischen Entwürfen befangenem, von irdischen Geschäften angestrengtem Sinne selbst die Winke und Ermahnungen übersehen kann, durch welche ihn die erziehende Vorsehung an das erinnern will, was er in Gefahr ist, so leicht zu vergessen!

Unsere innern Fähigkeiten und Kräfte und unsere äußern Glücksgüter sind von einer höhern, weise vertheilenden Hand wie der Weinberg nur anvertrautes Gut. Durch keine Verjährung und durch keine Erbschaft, noch weniger durch Mißbrauch und Ungebrauch kann es unser Eigenthum werden. Zwar wir begründen unser Recht zu manchem ausser uns mit Testament und Taufschein, und bedürfen zu so manchem, was uns Natur verlieh, keines von beiden; und was könnten wir mehr unser Eigenthum nennen, als was wir mit Sorgfalt und Wachen und Arbeiten in uns ausgebildet und ausser uns gesammelt haben? Aber wie oft erfahren und empfinden wir es, daß die menschlichen Ausdrücke, mit welchen wir unter Menschen unsere Vorzüge und Verhältnisse richtig bezeichnen, leerer Schall, und dem, der ihn fest hält, Trug und Täuschung werden, sobald unser Geist an den unsichtbaren Ewigen denkt, der mitten unter den Menschen doch der nächste um uns ist, und wenn alle Menschen sich von uns, oder wir von ihnen uns zurückgezogen haben, uns nahe bleibt!

Gerecht und edel von Menschen geachtet, und wenn auch mit Recht, werfen wir uns vor dem Ansehenden und Heiligen nieder, und beten: Wer kann merken, wie oft er fehle? Verzeihe mir die verborgenen Fehler, — Ehre gebend und Ehre fordernd untereinander nach menschlicher Billigkeit und Recht, treten wir zurück, und beugen uns vor dem Erhabenen, und bekennen: Herr du bist würdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft, denn durch deinen Willen sind alle Dinge geschaffen. — Glücklich geschätzt von Andern, wenn auch mit Recht, und geschmeichelt durch das Urtheil, daß wir es seyen, und reich an Weisheit und Kraft, unsere Wünsche zu erfüllen, gehen wir in unser Kämmerlein, und haben doch noch eine Thräne zu weinen, und eine Klage die vor Menschen nicht laut ward, und im tiefen Gefühl unserer Ohnmacht einen Wunsch an Gott, der allein überschwenglich thun kann. Diesen Unterschied, dies zweierlei der Verhältnisse, wenn wir uns neben Menschen stellen, die uns gleich sind, und wenn wir vor Gott stehen, der über uns ist, laßt uns auch dann nicht aus dem demüthigen Herzen verlieren, wenn wir den Blick in uns auf unsers Geistes Kraft oder außer uns auf das alles werfen, was wir unser Eigenthum und unser Glück nennen. Laßt uns auch hier ein anderes Gefühl mit einem andern Ausdruck bekennen: „Was ich nur Gutes habe, ist deine milde Gabe, du Vater alles Lichts, das Daseyn und das Leben, ward mir von dir gegeben, und ohne dich vermag ich nichts. — „Sowohl Verstand als Kräfte zum nützlichen Geschäfte, hab ich von deiner Huld, dein ists, wenn gute Thaten dem Vorsatz wohl gerathen." — O wir sollten ja das stille Gefühl und den lauten freudigen Genuß, und jeden Gebrauch unsers Glückes oft mit der Erinnerung heiligen; der Herr hats gegeben, wenn auch aus dem einzigen Grunde, damit wir, wenn eins oder das andere hier auf dem Schauplatz des Wechsels und Unbestandes uns wieder entrissen würde, damit wir unserm Herzen tröstend wieder sagen kennten: der Herr hats genommen.

Was wir unser Eigenthum nennen, ist anvertrautes Gut, — und wozu?
Werfet einen Blick auf die zahllosen Werke und Anstalten Gottes, auf welche ihr wollt, auf die Sonne, die aus hoher Himmelsferne herableuchtet, auf den Regentropfen, der am Pflanzenkeim der Erde ihr Bild zurückwirft, auf die Knospe, die von beiden gestärkt und erquickt ihre Blüthen entwickelt und den Segen ihrer Früchte ausbreitet; die größte Kraft feiert nicht; die kleinste und schwächste arbeitet nicht wirkungslos, stille und unbemerkbar und langsam, aber nicht wirkungslos; die verschiedenartigste störet nicht; jede wirkt ein in den großen Wirkungskreis an ihrem Orte, und in ihrer berechneten Stunde, und wirkt zu einem großen unverkennbaren wohlthätigen Zweck ihres Urhebers; und die unübersehbarste Mannigfaltigkeit, und eine Ungleichheit, für welche wir weder Maß noch Zahlen haben, theilt sich segnend mit, und gleicht sich vergütend aus in der Erhaltung und Ordnung und Vollkommenheit des Ganzen; und Gott sieht herab auf sein Werk, und freuet sich, daß alles gut ist, der Gott der Weisheit und der Liebe.

Und werfet, wenn ihr eine neue Welt voll unübersehbarer Mannigfaltigkeit und befremdender Ungleichheit, voll scheinbaren Widerspruchs im wohlberechneten Plane der Einheit sehen wollt, einen Blick auf das, was euch das nächste ist, die Menschheit. Neben dem Weisen, der mit kühnem Blicke die Sterne des Himmels mißt, wandelt sein Bruder, und heftet den fernsten Blick auf das Ackerfeld, das seinen Bedürfnissen Brod giebt; und neben dem Fröhlichen in seiner Kraft, schleicht der Traurende an seinem Stab, und zwischen der aufkeimenden Kindheit und zwischen dem niedersinkenden Alter sehet ihr die gedeihliche Mannesstärke, und neben der Schüchternheit den Muth, und an der Schwelle des glücklichen Reichen den Lazarus in seiner Armuth. Und wir sind alle deine Kinder, Gott der Weisheit und der Liebe, in dieser Welt um uns her voll Kräfte, die nimmer stocken, voll Ordnung, die sich nimmer verwirrt, voll Segen, der nicht ausbleibt, und haben, was jedem davon zu Theil ward, von deiner weise vertheilenden Hand, und die Leiden die uns daran erinnern, daß wir auf der Erde, und nicht im Himmel sind, auch von deiner Hand, und sind durch die mannichfaltigsten Bande, der Gefühle, der Bedürfnisse, der Schicksale, der Gesetze miteinander verbunden; keiner dem andern fremde, und können durch unverdrossenen weisen und liebenden Gebrauch unserer Kräfte und Gaben unser aller Wohl befördern und segnend mittheilen und vergütend ausgleichen, und fühlen, daß wir's können, und wissen, daß wir's sollen.

Wir wissen, daß wir's sollen, und mit welcher Verantwortung wir's sollen. Sagte es uns auch nicht unser Herz, es ist eine von den Ermahnungen, die Jesu immer so nahe lagen, eines von den Bildern, das in seinem belehrenden Vortrage so oft wiederkehrt, das Bild eines weisen Hausvaters, der seinen Hausgenossen in ungleichem Verhältnisse seine Güter anvertraut, Treue von jedem und weise redliche Anwendung fordert, und am Tage der Rechnung, erwartet oder unerwartet, nicht ausbleibt; der die Treue, womit der eine zehn, der andere fünf Pfund verwaltete, mit gleichem Wohlgefallen ehrt, und mit der schönsten, würdigsten Belohnung, mit höherem Zutrauen ehrt, und eben so furchtbar gerecht als milde und gütig dem Engherzigen, der sein Pfund verscharrte, und dem Leichtsinnigen, der es gewissenlos verschleudert, das Zutrauen entzieht dessen er nicht werth war, und den strafenden Gefühlen seines Gewissens und seiner Unwürdigkeit ihn überläßt. —

Wundert euch nicht, daß es ihm in allen seinen Belehrungen so nahe lag. Es lag mit der Stärke des eigenen Gefühls und Bewußtseyns in seinem frommen Herzen, und leuchtete mit der Stärke und dem Segen der Wahrheit aus seinem wohlthätigen Leben. So bekennet er: ich muß wirken die Werke dessen, der mich gesendet hat, so lange es Tag ist; und er wirket sie am heitern und am trüben Tage mit Gebet und Freudigkeit und Thränen, und ist am niedersinkenden Abend noch nicht fertig, wenn ihm der Vater noch ein gutes Herz entgegenführt, das er mit neuer Kraft zur Tugend stärken, oder ein wundes Herz, das er in Trost vom Himmel einhüllen kann. — So betet er über seine Jünger. Einst hatte er sie

wie vom Zufall ihm entgegengebracht, selber gefunden an der Zollstätte und am Meer. Drei Jahre lang waren sie der Gegenstand seiner unterrichtenden und erziehenden Liebe. Sein Geist war es, der in ihnen glaubte und liebte, und hoffte und duldete. Sein Segen und seine Wohlthat war der große himmlische Schatz, der für eine späte ferne Nachwelt in ihren Seelen sich sammelte. Aber betet über sie: heiliger Vater, sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und ich habe sie erhalten in deinem Namen, die du mir gegeben hast, und umfaßt sein ganzes wohlthätiges Leben mit einem Blick, und betet: Ich habe dich, verklärt auf Erden, ich habe das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, das ich thun sollte.

So glaubte und so lehrte Jesus, und so tönet es ihm noch von dem Munde und aus dem Herzen seiner Apostel nach. Wir sind durch unsre Kräfte Haushalter über Gottes Geheimnisse, und Gott fordert von uns, daß wir treu erfunden werden. Und es sind mancherlei Gaben, aber es ist Ein Geist, und es sind mancherlei Aemter, aber es ist Ein Herr, und es sind mancherlei Kräfte, aber es ist Ein Gott, der da wirket Alles in Allem, damit in einem Jeden die Gaben des Geistes sich erzeigen mögen zum gemeinen Nutzen; — und wer was ihm anvertrauet ward, zum Guten reichlich und in Hoffnung säet, der wird freudig erndten, und wer kärglich und verdrossen säet, der wird auch kärglich erndten.

Welchen Ernst und welche Freudigkeit und welchen Segen zum treuen Gebrauch der verliehenen Kräfte könnten diese Belehrungen der Religion gewähren, die über unsere Verhältnisse zu Gott, uns selber und die Dinge ausser uns solch himmlisches Licht verbreiten! — Aber wie leicht vergißt es der Mensch im Gedränge der Sinnlichkeit, die ihm so viele Zerstreuungen bietet! Wie leicht verrückt ihn bald Stolz und bald der Eigennutz, bald wilder Hang nach sinnlicher Ergötzung und bald der schwere Hang nach Ruhe und Bequemlichkeit aus dem Standpunkt, auf dem er in seiner Demuth so groß, in seiner Schwachheit so stark, in seiner Armuth so reich, in seiner Treue so belohnt, und in Glauben und Hoffnung so selig seyn könnte!

Und der Herr des Weinberges ist wie ferne über das Land gezogen, und beobachtet, so scheint es, den treuen Eifer des Redlichen nicht, und warnet und straft, so scheint es, die Untreue des Sorglosen und Verwegenen nicht. Und er wird wohl nicht mehr zur Rechnung kommen, so denkt das leichtsinnige Herz, und mißbrauchet sein Eigenthum; oder es mißbrauchet sein Eigenthum und denkt gar nichts.

O daß wir uns nicht täuschen mögen! Er ist uns nahe. Nahe in unsern Schicksalen, wer darauf achten mag. Wer überrascht uns oft mit einem Segen, den wir nicht suchten und nicht erwarteten, und wer entzieht uns oft das Liebste, und das Verwahrteste unter Schloß und Riegel? Eine verborgene Hand wägt uns ab und zu, und wir wissen freilich nicht immer, aber oft gar wohl warum.

Er ist uns nahe in den unwillkührlichen heiligen Rührungen, die so oft das gute weiche Herz besuchen, und im kalten und harten seltener und doch noch oft, und spät hinaus noch zucken. Aber sie kommen und schwinden, wie eine verhallende Stimme, wie der Wind, du hörst sein Sausen wohl, aber du achtest nicht, von wannen er kommt.

Er ist uns nahe in dem Gewissen, wer darauf achten mag, in dem Gewissen, das oft einen frohen Tag ohne Gott noch in der Mitternacht mit seinen Stacheln bezahlt, und das den Redlichen am Abend eines mühevollen heißen Tages sanft einschlummern, und heiter zu einer neuen Reihe guter Thaten erwachen läßt. So schlummert er am letzten Abend seines Lebens noch ein, und erwacht so von der Stimme geweckt: du Guter bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude.

Und wo wäre uns Gott nicht nahe? Er ist es in den Boten, die er uns sendet, daß wir ihnen geben von der Frucht seines Weinberges. Ihr kennet sie! Es sind die Seinen, die das suchen, was ihr ihnen seyn könnt, und das bedürfen, was von Gott für sie in eurem Herzen oder in eurer Hand liegt; die Unwissenden, die euern Rath, die Unerfahrenen, die eure Warnung, die Zarten, die eure Pflege und Erziehung, die Armen, welche eure erfreuende Gabe, die Angefochtenen, welche eure Vertheidigung, die Niedersinkenden, die eure helfende rettende Hand bedürfen. Es ist das nasse, trübe Auge, das euch um Trost und Linderung anfleht, und jedes blutende Herz, das euch seine Wunden aufdecket.

Dies sind seine Boten, die Gott uns sendet, und der Ruf der Menschlichkeit aus ihnen ist ihre Anweisung an uns; und es ist etwas in uns, das ihre Aechtheit wohl anerkennt. So möge denn der Glaube und die Erinnerung an Gottes Nähe und Aufsicht auf uns, und an die nahe oder ferne Stunde der Rechenschaft unserm Herzen nie fremde werden.

In dem großen Reiche Gottes, das von der Tiefe der Erde bis zum äußersten Sterne nur eins ist, in dem Reiche Gottes, voll weiser Mittel zu guten Zwecken sind wir seine Haushälter, auf welcher Stufe menschlicher Schätzung wir auch stehen mögen, und sind mit dem Berufe geehrt, seine wohlthätigen Zwecke zu befördern. — Möge diese Erinnerung unsere Kräfte und unsern Wirkungskreis uns lieb und theuer und heilig machen. Die Art, wie wir zu dem Besitze irgend eines Gutes gelangt sind, hat unstreitig auf das stille Gefühl, womit wir es besitzen, einen großen Einfluß; und die nämliche Gabe von einer andern Hand gereicht, und das nämliche Mittel zu einem andern Zweck bestimmt, hat einen andern Werth; und der Segen von Gott zum Segnen gereicht, zum Wohlthun nach seinem Bilde — o er hat gewiß den größten heiligsten Werth, und ihn begleitet große Seligkeit im Nehmen, noch größere im Geben.

Möge dieser Glaube unsere Treue im Beruf, den uns die Vorsehung angewiesen hat, unterstützen, den Weisern und Mächtigern auf seiner höhern Stufe mit Demuth, und jeden Geringern auf seiner tiefern Stufe mit Zufriedenheit segnen, unter Mühe und Schwierigkeiten uns mit Vertrauen und Hoffnung trösten, und den redlichen nimmer müden Fleiß der Liebe, und jede ihrer Aufopferungen für den Undank der Welt, mit dem Beifall Gottes trösten.

Möge dieser Glaube und seine Wirkung am Abend des Lebens uns einen frohen Rückblick auf unser Tagewerk, und einen leichten Gang zur Rechenschaft gewahren. Möchten wir in unserer letzten Stunde alle beten können wie Jesus: Vater ich habe dein Werk vollendet auf Erden, das du mir gegeben hast.

Amen.

 

 
zurück

nach oben