zurück Predigt am Feste der Erscheinung 1803.
     

 Gott, du leitest das Schicksal unserer Tage mit weiser Liebe. Wir wissen nicht, was uns gut ist, aber du verzeihst thörichte Bitten, und beschämst ungeduldige Klagen, und lässest Jeden erfahren, was zu seinem Frieden dienet. Laß uns in guten und in bösen Tagen deinen väterlichen Führungen vertrauen, und deine Absichten verstehen!

Gott du hast uns ein heiliges Gesetz des Rechtthuns ins Herz geschrieben, und dein Sohn hat es durch ein schönes menschliches Beispiel verklärt, und mit theuern göttlichen Verheißungen empfohlen. Möge, wenn die Erde bald mit ihren Lockungen und bald mit ihren Drohungen unser Herz in Anspruch nimmt, dein Gesetz die Richtschnur unsers Lebens bleiben.

In kindlicher Ergebenheit, mit dir im Bunde, begleite uns ein gutes Gewissen durch das Leben, und ein heiterer Rückblick auf unsere Thaten erfreue uns am Ende desselben!

Wir bitten um dieses Gute, und um deinen Segen zu unserer Andacht in einem stillen V. U.

Text: Matthäus 2, 1 — 12

1 Als Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen:
 2 Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.
3 Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem,
4 und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte. 5 Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1):
6 »Und du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.«
7 Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre,
8 und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr's findet, so sagt mir's wieder, dass auch ich komme und es anbete.
9 Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war.
10 Als sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut
11 und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.
12 Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem andern Weg wieder in ihr Land.

 

Was könnte uns, meine Freunde, für unser übriges Leben weiser zum Handeln, muthiger zum Dulden, freudiger in Hoffnung machen, als Rückblicke auf das vergangene Leben und auf die Erfahrungen, welche sich an ihm schon angereihet haben. Derselbe Gott, der bisher unsere Leiden und Freuden, unsere Geschäfte und Prüfungen, als Mittel einer weisen Erziehung und Bildung für höhere Zwecke in unser Leben mischte, — er waltet noch! Das nämliche Gesetz der Weisheit und Liebe und der vollendenden Ordnung, das bisher unsere Geschäfte, unsere Freuden und Leiden wog, und mit ihren stillen Folgen leitete, — es gilt noch! Es in unsern Erfahrungen kennen zu lernen, ihm zu gehorchen, und ihm zu vertrauen, das wäre unser großer Gewinn, unsere Weisheit und Ruhe. Oder wäre der Kreis unserer eigenen und vollendeten Erfahrungen noch zu enge und zu arm für diese große Ausbeute, oder wären wir durch die meisten derselben zu unachtsam hindurch geeilt, um sie jetzt noch benutzen zu können, oder wären wir überall in der eigenen Sache zu befangen, da wo unser eigenes Wohl und Weh so nahe beisammen liegt, im Glauben, Hoffen und Handeln bald zu vermessen und bald zu ängstlich; — wohl so liegt neben dem kleinen noch ein großes Buch vor uns aufgeschlagen, fremde Erfahrungen, weit um uns her, und weit hinter uns zurück. Derselbe Gott, der unsere Freuden und Leiden uns ins Leben mischt, er waltet, (o möge uns dieser Gedanke Bescheidenheit und Ruhe gewähren!) er waltet überall, wo die Sonne leuchtet, und wo sie in einen erlöschenden Nebelstern zusammenschwindet. Und das nämliche Gesetz der Weisheit und Liebe, das uns in den heutigen Tag leise schon die Freuden und Leiden der kommenden knüpft, und den, der sein achtet, mit jedem Tag zu seiner Bestimmung fortleitend erzieht, es herrschte schon, ehe wir und unsere Namen waren; und schon oft und überall und immer hat göttliche Weisheit wieder gut gemacht, was menschliche Thorheit verdarb , und aus den Leiden, die sich Menschen gaben, Wohlthat bereitet.

Eine solche Begebenheit liegt in unserm heutigen Texte zu unserer Betrachtung vor unsern Augen. Zwar sie liegt noch in der tiefen Dämmerung der Kindesjahre unsers Erlösers, nicht in dem heitern Mittagslichte seiner höhern Lebensjahre. Aber laßt uns, weniger bekümmert um das Räthselhafte und Ungewisse in ihr, was sie uns verschweigt, als um das Lehrreiche, was sie uns sagt, die in ihr enthaltenen Winke für das Herz und Leben benutzen. Wir werden auf die verschiedenen Menschen, die in ihr mittelbar oder unmittelbar in Berührung kommen, und auf die nächsten Folgen dieser Berührungen unsere Aufmerksamkeit richten.

Stille und mit dem zarten Blick der Liebe an ihrem Säugling, dem Unterpfande großer Verheißungen weilend, so denken wir uns gerne die Maria, in einer dürftigen, und noch in einer fremden Hütte zu Bethlehem, doch eine beglückte Mutter. Der, auf den die frommen Väter hofften, er, den himmlische Boten verkündeten, der die Wunden seines Volks, und wenn sie es recht und ganz verstand, die Wunden der Menschheit heilen sollte, lag, ihrer mütterlichen Liebe und Pflege von der Vorsehung anvertraut, auf ihrem Schooße und an ihrem Herzen, und sie freute sich seines Daseyns und seines zarten Lebens, und ihr Blick auf ihn, und der betende dankende Blick zum Himmel, und das warme andringende Gefühl an ihr Herz war nur eine Wiederholung ihres Lobgesanges: „Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freuet sich Gottes meines Heilandes." Sie wußte nicht, was für eine schöne Ueberraschung jetzt für sie auf dem Wege war; sie ahndete die erste schwere Prüfung nicht, die im nämlichen Augenblick ihrer mütterlichen Liebe und ihrem Vertrauen auf Gott in dem nahen Jerusalem bereitet wurde. Fragen nicht schon fremde Weise aus unbekannter Ferne in Jerusalem nach dem neugeborenen Könige der Juden? Ist nicht der Schrecken des Königs bei ihrer Ankunft das erste Aussteigen einer schweren Wetterwolke, die bald zerstörend über dem glücklichem Bethlehem stehen wird? O es ist gut, daß sie es nicht wußte! Jene Augenblicke der stillen innern Zufriedenheit und Freude waren durch diese Unwissenheit noch ihrem Herzen gerettet. Wohlthätig verbirgt uns die freie Vorsehung die Gewißheit der nächsten Zukunft, wie unruhig wir sie auch oft zu erspähen wünschen. Nur der Augenblick der fliehenden Gegenwart, den wir ohne den bittern Nachschmack der Vergangenheit, und ohne Ahndung der frohern oder trübern Zukunft im ruhigen Herzen genießen, ist innig und ganz genossen. Die größere, reinere Freude der Zukunft soll, so will es ein gutes Schicksal, uns die kleinere der Gegenwart nicht fade und unwerth machen, ehe sie genossen ist; und die kleinere, die nachkommt, sie soll wenigstens durch ihre Ueberraschung und als Zugabe erfreuen, und dem bereits Gewöhnten neuen Reiz und Werth verleihen. Und das Leid, o es kommt noch frühe genug dem schwachen Herzen, wann es kommt, und die Wunde, die es einmal schlug, blutet und schmerzt hintennach noch lange genug. — Wohlthätig begrenzt die treue Vorsehung die lichte Gegenwart vor uns mit Nacht, und legt die Vergangenheit hinter uns in milden Schatten, und begleitet uns von einer schönen Blume des Lebens zur andern, wir wissen nicht wohin, vielleicht in einen nahen gähen Abgrund der Leiden, Aber mit fester, sicherer Hand hilft sie uns jenseits wieder hinauf an ein schönes Gestade, wer sich ihr nicht kleinmüthig oder trotzig entwindet.

Weise Fremdlinge aus unbekannter Ferne erscheinen unterdessen in Jerusalem, und fragen an dem Hofe des Herodes nach dem neugeborenen Könige der Juden. Was sie schon wußten, war ihnen so viel, sie ahndeten noch mehr; höher schlug ihr Herz mit jedem nahern Schritt zur königlichen Stadt. Sie erwarteten überall eine freudige Begeisterung, ein lautes Entgegenkommen ihren Fragen. Aber durch alle Gassen von Jerusalem war es so stille von der neuen Kunde; und Herodes — erschrack. Der arme Mann wußte von allem noch nichts. Der üppige versunkene Mann hatte für alles lang Vermißte und heiß Ersehnte, was der Neugeborene seinem Vaterland und der Erde bringen sollte, in seinem Herzen kein Bedürfniß, und darum auch für das Freundliche und Freudige seiner Erscheinung keinen Sinn. Der unwissende Mann sieht neben der Wiege des Kindes zu Bethlehem, deß Reich nicht von dieser Welt ist, sieht in dem neuen herrlichen Reiche Gottes auf Erden nur seinen umgestürzten Thron. Arme Hirten kehren in der Nacht vom Felde heim, den theuren Gast und Ankömmling auf der Erde zu begrüßen, Fremdlinge erscheinen von unbekannter Straße her mit der Huldigung ihrer Gaben, Engel lobsingen Ehre dem Gott in der Höhe und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen; aber Herodes — erschrickt. Kurzer und treffender Ausdruck einer traurigen Wahrheit! Reißet euch los von dem Glauben an Gott und von dem Vertrauen auf seine Verheißungen, er tödtet im ewigen Wechsel und Rausch der sinnlichen Ergötzungen ein zartes Gefühl des Herzens nach dem andern, und in der Befriedigung der unersättliehen Selbstsucht den feinen Sinn und die reine Freude im allgemeinen Wohl euer eigenes zu erkennen und zu genießen, bauet eure Glückseligkeit auf den einsinkenden Sand der Erde, und lehnet die schwankende an die morschen Stützen, die mit ihr sinken; und — die Erde unter euch, und der schweigende Himmel über euch hat euerm Herzen der Unruhe und des Schreckens viel, aber keine Freude und Hoffnung mehr.

Und möchte sich an diese traurige Wahrheit nicht auch die zweite noch furchtbarere Wahrheit anreihen: das Nämliche, was den guten Menschen besser macht, macht den Bösen schlimmer! Erschrack Herodes vor sich selber? Ahndet er, was er zu thun noch fähig war?

Heilige fallen zur Erde nieder und beten, Sünder richten sich von der Erde auf und hoffen, aber Herodes legt sein Herz in Falten zu einem Betrug, und waffnet ohnmächtig gegen die göttlichen Beschlüsse seine Hand zum Mord. — Von der Unschuld zum Leichtsinn, vom Leichtsinn zur Verhärtung in Uebelthaten. Es zieht sich zwischen dieser und jenem eine feine unsichtbare Scheidelinie durch das Leben des Menschen, an welcher er das lästige Gefühl seiner täglichen Verschlimmerung von sich abwirft, und von seinem guten Engel Abschied nimmt. Diesseits derselben noch ladet euch alles zur Besinnung und Besserung ein, und führt euch zu Gott zurück, die Natur um euch her, der Freund und der Feind, der Tugendhafte und der Verbrecher, jener durch sein schönes und dieser durch sein schreckendes Beispiel, und mehr als alles euer noch unverlorenes Herz. Jenseits derselben ist alles anders. Ach der Unglückliche hat keinen Sinn mehr für die Spuren der nahen Gottheit in ihren Werken, und hört ihre Stimme nicht mehr im Säuseln noch im Sturm. Begegnet ihm mit dem Blick des Bedauerns und mit der Stimme des warnenden Freundes, er wird euer spotten und euch ausweichen. Ihm lächle ein günstiges Geschick, er wird vermessener. Ihn treffen die strafenden Folgen seiner Vergehungen, er wird durch neue Uebelthaten ihnen zu entgehen suchen. Er fühle noch eine schwache Regung des Gewissens, er wird erschrecken, um sie so bald als möglich in sinnlichem Taumel zu tödten und zu begraben. Es ist eine feine Scheidelinie zwischen Leichtsinn und Verhärtung, und Keiner weiß, wo sie durch seine eigene Bahn sich zieht. Heute, so ihr Gottes Stimme hört, so verschließet euere Herzen nicht! Wer ist sicher und geborgen vor dem Ueberschritt, als wer so weit als möglich von dieser Scheidelinie entfernt bleibt. Jede Unterdrückung des Gewissens ist ein Schritt näher zu ihr. Armer Verblendeter, der du zu vielen Thorheiten noch eine begehen willst, sie liegt vielleicht vor deinen Füßen.

Es wäre der Mühe werth, neben die Unwissenheit des Königes zu Jerusalem noch die falsche Weisheit der Hohenpriester und Schriftgelehrten zu stellen. Sie wissen wohl, wo Christus sollte geboren werden. Sie sagen: zu Bethlehem im jüdischen Lande, denn also stehts geschrieben im Propheten Micha; und dann gehen sie wieder, der eine in den Tempel und betet, der andere in die Synagoge und lehrt, der dritte in den Wirbel der Geschäfte und Thorheiten des Lebens, und keiner — nach Bethlehem. Kalter Geist der Weisheit, die über dem todten Buchstaben schwebt, führest du dahin, nicht mehr zu erschrecken, und sich nicht mehr zu freuen, alles zu wissen, und vielleicht nichts mehr zu glauben, für jede Frage eine Antwort, und für keine mehr ein Herz und einen Sinn zu haben?

Aber laßt uns lieber jenen Fremdlingen nachgehen, die unbekannt mit dem, was die Schriftgelehrten zu Jerusalem wissen, etwas im Herzen bewahren, was jene nicht kennen. Von ihrem Sterne geleitet, durch den tückischen Rath des furchtsamen Mannes zu Jerusalem selber aus ihrer Verirrung zu ihm zurück geführt, und von dem Inwendigen in ihnen getrieben, kommen sie nach Bethlehem, und eine arme Hütte zeigt ihnen, was sie in Jerusalem vergeblich gesucht hatten, — den, in welchem allen Geschlechten der Erde Segen bereitet war.

Laßt uns nicht fragen, wer diese Männer waren , oder woher sie kamen! Laßt es gut seyn, was es mit dem leitenden Wunderstern für eine Bewandtniß hatte! Auch dieses gehört zur frostigen Weisheit, die am todten Buchstaben weilt, und nicht bessert noch tröstet. Laßt uns aus dieser Geschichte das eine Wahre und Lebendige auffassen, und in ihm an Gott unsern Glauben starken. Wer das Eine, was Noch ist, und was kein Gold, kein Weihrauch entbehrlich macht, die Weisheit zum Leben, von oben, Kraft zur Tugend, Ruhe und Trost, mit Vertrauen auf den, der alles leitet, und mit redlichem Willen sucht, der findets. Es gehört ein treuer Sinn dazu, und nicht viel mehr, Gottes Werk und Willen, um den Weg zu ihm zu finden. Die leuchtenden Leitsterne stehen überall. Aber das wunderliche Menschenherz! Wir vermissen oft so schmerzhaft, wir sehnen uns so lange, wir fordern oft so heftig, und suchen nicht. Aber das eitle Herz! Wir ermüden uns oft Tage lang, und Jahre lang, und ein Leben lang, und suchen, was nicht des Findens werth war, ach, und verlieren oft noch, was wir hatten — uns selbst. Aber das thörichte und ungeduldige Herz! Wir suchen so oft, was uns nahe ist, in der Ferne, — was nur in uns seyn und werden kann; ausser uns; kehren nach wenigen mißlungenen Versuchen muthlos und verdrossen zurück; oder wir kommen bis nach Jerusalem, fragen wohl alle Weisen und Schriftgelehrten umsonst, und es ist uns nicht mehr der Mühe werth, oder wir sind zu stolz dazu, noch in das nahe Bethlehem zu gehen. Den die Fremdlinge dort suchen und fanden, ist er nicht auch uns von Gott gegeben zur Weisheit und zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung? Seine Wahrheit erleuchte uns und veredle unsern Sinn; seine Liebe erwärme, und seine Frömmigkeit verkläre unser Herz; sein Friede in uns lehre uns entbehren, was die Erde für uns nicht hat; und die Treue zu ihm bewahre uns das, was die Erde überall nicht hat.

Wir haben zwischen den Gräbern hier und zwischen den Sternen dort nichts größeres zu suchen, als der uns gewähren kann, dem die Weisen in Bethlehem mit ihren Gaben huldigen. Geehrt in ihrem Vaterlande stehen sie hier im Kreise armer Bewohner eines vernachläßigten jüdischen Dorfes an der Wiege eines Kindes, und legen in einer dürftigen Hütte nie gesehene Gaben nieder, als ob es hier schon bemerkbar werden sollte, daß einst um diesen MenschenSohn Einfältige und Weise, zu einem Glauben, Geringe und Vornehme zu einer Liebe, Arme und Reiche zu einer Hoffnung sich vereinigen würden. Sie legen ihre Gaben nieder. Aber arme Mutter! Neben dem köstlichen Golde und neben dem lieblichen Weihrauch liegen auch Myrrhen in deinem Schooß.

Laßt uns doch noch sehen, was aus den bisher berührten Begebenheiten und Zusammentreffungen das Schicksal für Folgen entwickelt. Nicht viel Gutes für den Anfang. Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört, viel Klagens und Weinens; und es muß zum zweitenmal wahr werden, was irgendwo in einem andern Sinn gesagt ward: Aus Egypten hab ich meinen Sohn gerufen. Die Mutter flieht mit ihrem Säugling aus der fremden Hütte im Vaterlande in ein fremdes, nie betretenes Land, und hört hinter sich das Winseln sterbender Kinder und das Wehklagen trostloser Mütter. Das entwickelte das Schicksal aus jenen Begebenheiten. Erkennen wir hierin nicht auch etwas von unsern Erfahrungen? In so manchen Ereignissen des Lebens, bei so manchem Wechsel des eigenen und der allgemeinen Schicksale erwartete uns, wo wir auf Freude hoffen konnten, zunächst nur Leid und Klagen; und was wir für Blicke unsrer aufgehenden Sonne hielten, war ein Blitz, dem bald sein schreckender Donner folgt. Woher diese Grausamkeit des Schicksals? Keine Grausamkeit! Unser Schicksal ruht in guten Händen.

Oft ist neben dem Schlimmen, das wir beweinen, das Gute und Bessere, neben dem Verlust sein reicher Ersatz, neben der Klage ihr Trost schon da. Aber freilich das blöde Auge! — durch seine zitternde Thräne sieht es ihn nicht! Aber freilich das verwöhnte Herz! — was wir noch haben, ist nicht das, was wir vermissen.

Oft geht das Traurige voraus, aber sein Ersatz, das Bessere, das wir noch nicht kennen und ahnden, kommt nach, und aus der schwülen Tiefe führt uns die Vorsehung durch Gewitterwolken zu lichten Höhen unter einem reinen Himmel. Es ist gut, wenn ohne Wechsel von Klage und Freude keine Bahn durchs Leben geht, daß das Traurige früher kommt, und bald dem Bessern Platz macht. Es ist dies das Eigenthümliche und der Unterschied der Wege, die Gott uns führt, und derer, die der Mensch vermessen sich selber wählt. Ach wir bahnen uns oft durch Freude den Weg zum Schmerz. Aber die Vorsehung bereitet unvermerkt aus dem Schlimmem das Bessere.

Wars nicht so in unserer Geschichte? Die Mutter hatte neben der Klage ihren Trost. Durch die Flucht mit allen ihren Beschwerden ward ihr Sohn gerettet, und sie war nur unglücklich, wenn sie ihn verlor. Wars nicht so? Der Jüngling wuchs und ward stark im Geist, und hat der Menschheit alles Leiden, was sie um ihn erduldete, und Gott hat ihm alles Leiden, was er um sie erduldete, reichlich ersetzt. Verziehen ward dem Schmerz der Mütter, die einst seine Geburt verwünschten, und seitdem ist durch seine Religion und ihre Verheißungen so manche Mutter, mancher Sohn, mancher Gatte und mancher Freund für den Verlust ihrer Theuren getröstet worden. Wir tragen sie mit der Hoffnung: sie sind uns nicht verloren, in die Erde, und richten den nassen Blick vom Grabe, das ihre Hülle verbirgt, zum Himmel auf, der ihren Geist zum Bürger aufnahm.

So macht göttliche Weisheit gut, was menschliche Thorheit verderbte, und bereitet Wohlthat aus den Leiden, die sich Menschen gaben.

Der Glaube an sie verlasse uns nicht. Frei von dem Vorwurf eigener, vermessener Schritte durch Thorheiten und Sünden bleibe unser Herz des kindlichen Vertrauens zu ihr fähig und werth. Und wenn dem Pfad unserer Prüfungen lange nicht die Helle des Ausgangs entgegenscheint, und unser Abend herabsinkt, ehe wir sie hier erblicken, so erfreue uns dort der Morgen, der über der Seligkeit einer schönern Zukunft aufgeht.

Amen.

 

 
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