zurück Predigt am sechsten Sonntage nach Trinitatis 1800
     

Um den Geist deines Sohnes beten wir; Vater unsers Herrn Jesu Christi, daß er uns heilige in der Wahrheit, daß er uns belebe mit frommem Eifer recht zu tun vor dir, uns erfreue und tröste.

Ach wir suchen sie so oft die Wahrheit, und so lange, und die Erde führt uns irre mit ihren Täuschungen. Wir erkennen so oft die Wahrheit, und folgen doch der Täuschung lieber. Der Wunsch gut zu seyn liegt in unsrem Herzen oft so weit vom Willen es zu werden, und zum besten Willen fehlen uns der Muth und zum Muth die Kraft.

Wer kann uns lehren die verborgene Weißheit? Wer kann in uns das freudige Wollen wirken und zum freudigen Vollbringen stärken? Wer kann uns in den Freuden und Sorgen und Geschäften der Erde für den Himmel weihen?

Um den Geist deines Sohnes beten wir — wir beten im stillen V. U.

Text: Lukas 5, 27 — 39

26 Und sie entsetzten sich alle und priesen Gott und wurden von Furcht erfüllt und sprachen: Wir haben heute seltsame Dinge gesehen.
27 Und danach ging er hinaus und sah einen Zöllner mit Namen Levi am Zoll sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach! 28 Und er verließ alles, stand auf und folgte ihm nach.
29 Und Levi richtete ihm ein großes Mahl zu in seinem Haus, und viele Zöllner und andre saßen mit ihm zu Tisch.
30 Und die Pharisäer und ihre Schriftgelehrten murrten und sprachen zu seinen Jüngern: Warum esst und trinkt ihr mit den Zöllnern und Sündern?
31 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.
32 Ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten.
33 Sie aber sprachen zu ihm: Die Jünger des Johannes fasten oft und beten viel, ebenso die Jünger der Pharisäer; aber deine Jünger essen und trinken.
34 Jesus sprach aber zu ihnen: Ihr könnt die Hochzeitsgäste nicht fasten lassen, solange der Bräutigam bei ihnen ist.
35 Es wird aber die Zeit kommen, dass der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie fasten,
in jenen Tagen.
36 Und er sagte zu ihnen ein Gleichnis: Niemand reißt einen Lappen von einem neuen Kleid und flickt ihn auf ein altes Kleid; sonst zerreißt man das neue und der Lappen vom neuen passt nicht auf das alte.
37 Und niemand füllt neuen Wein in alte Schläuche; sonst zerreißt der neue Wein die Schläuche und wird verschüttet und die Schläuche verderben.
38 Sondern neuen Wein soll man in neue Schläuche füllen.
39 Und niemand, der vom alten Wein trinkt, will neuen; denn er spricht: Der alte ist milder.

 

Wenige Menschen leben so ohne alle Religion, daß nicht das Andenken an Gott, und die Anerkennung ihrer Abhängigkeit von ihm, und die Ansprache seines Ernstes und seiner Liebe an sie, und die Ahndung seiner verborgenen Gerichte einigen Einfluß auf ihre Gesinnungen und Handlungen äußern, ihnen Entschließungen abgewinnen oder abnöthigen sollte, die sonst nicht zu Stande gekommen wären.

Viele Menschen machen sich die Religion, die stille Unterhaltung mit ihr und die laute Bekennung und Ausübung derselben, neben andern Sorgen und Freuden und Geschäften, zu einem eigenen Geschäfte, dem sie bei wiederkehrenden Stunden , Tagen und Veranlassungen pünktlich und gewissenhaft dienen, so pünktlich und gewissenhaft als in andern Stunden ihren andern Geschäften und Sorgen, die kein Andenken an Gott, kein Blick in die Ewigkeit heiliget und tröstet. Und geringer ist die Anzahl derer, denen Religion nicht etwas Eigenes im Leben, sondern das Einzige ist, und denen keine Stunde und keine That ohne ihren stillen Segen oder Trost vorübergeht.

Religion das Einzige? Wiederholt ihr dieses Wort in befremdender Frage? Wie? wir sollten unaufhörlich betrachten und beten, und nach dem Himmel schauen und nicht an unsere Verhältnisse und an die Erde denken? Ja wohl sollt ihr. Schicket euch in die Zeit, das rathet die Religion. — Oder wie? wir sollten, stets dürstend nach der Seligkeit des Himmels, nicht aus dem Strome der Freuden schöpfen, der allenthalben so nahe an unsern Sinnen vorbeirauscht? Ja wohl sollt ihr mit Mäßigung und Weisheit. Seyd fröhlich mit den Fröhlichen, dazu ermuntert euch die Religion. Oder wir sollten nicht arbeiten in mancherlei irdischem Beruf, um uns und die Unsrigen mit Ehre zu ernähren? Ja wohl sollt ihr. Arbeitet und schafft mit den Händen etwas gutes, und seyd nicht träge was ihr thun sollt, — regsamer Eifer belebe euren Geist; das gebietet die Religion. Und sie verbreite sich gleichförmig, erweckend, belebend, stärkend, erfreuend und tröstend durch das ganze Leben und Wirken. Ihr Wirkungskreis ist nicht der enge Tempel von Menschenhänden gebaut. — Allerdings, so sprechen wieder Viele, und Viele sprechens nach, — Rechtthun ist die beste Religion, und freuen sich der entdeckten Weisheit; nicht alle, um recht zu thun, manche, um dem allem auszuweichen, was doch zum Rechtthun lebendigen Antrieb, und ausdauernden Muth und siegende Kraft gewährt, und die gelungene vollendete That belohnt, und für ihre Aufopferungen tröstet.

O daß wir auch hier von Jesu lernen mögen, der fromm war und recht that, und als er auf der Erde lebte, Segen vom Himmel herabbetete, und als er in den Himmel auffuhr, den Segen seiner guten Thaten auf Erden zurückließ.

Aus der Einsamkeit, wo er betete nach dem 16ten Vers unsers Kapitels, tritt Jesus wieder hervor ins rege öffentliche Leben, und auf den Schauplatz unsers Textes, und steht an der Zollstätte, die kein Pharisäer betrat, in dem Beruf, das Werk zu vollenden, das ihm sein Vater gegeben hatte, und sitzt am Mahl der Zöllner und Sünder, und bessert sie, während die Pharisäer bei siebenmal inwendig und auswendig gereinigten Bechern und Schüsseln sitzen, und die Sünder verdammen. Und versteht ihn, wenn er euch zuruft: Man faßt nicht neuen Most in alte zerbrechliche Gefäße. Der lebendige Geist verfliegt, und was zurückbleibt ist todte Buchstabenweisheit. Und Niemand setzt einen neuen Lappen auf ein altes Gewand. Einzelne religiöse Uebungen und Handlungen in ein sündliches Leben verflochten, machen den Schaden nicht gut. Fasten und Beten in geweihter Stunde heiliget die Gesinnungen und Thaten eines unheiligen Lebens nicht.

Religion — sie will sorgfältig im stillen Herzen geweckt, genährt und befestigt werden; — sie muß aber auch lebendig und kräftig im ganzen Leben, im Handeln, Genießen und Dulden wirksam seyn.

Mit diesen Gedanken wollen wir uns nun unter einander beschäftigen.

Religion ist nicht Rechtthun, aber sie wird sichtbar darin, und führt dazu. Sie ist eine Sache des verborgenen Gemüthes; oder mit den Worten Christi: Siehe das Reich Gottes ist inwendig in euch. Wo im stillen Herzen lebendiger Glaube an einen allwissenden heiligen Gesetzgeber Gott, und Ehrfurcht vor seinem heiligen Willen und seiner beobachtenden Gegenwart herrscht, und über die Versuchung zum Bösen siegt; wo frommer lebendiger Kindesglaube an einen himmlischen Vater und an seine stille Nähe waltet, und die Ahndung seiner Nahe, und das Gefühl der kindlichen Dankbarkeit und Liebe und Freude an ihm herrschend ist, und der Wunsch, ihm ähnlich und seines Beifalls froh zu seyn, zu allem Guten stärkt, da ist Religion. Das Herz, das die Menschen auf jeder Stufe der Verhältnisse und in jedem Gewande, in Gefühlen und Gesinnungen als Kinder des gemeinschaftlichen Vaters anerkennt und ehrt, und sie in ihm, und ihn in ihnen liebt, das hat Religion. Das Herz, das in den Verhältnissen der Erde, in der Verbindung mit Guten und Bösen auf ihr, in der Gelegenheit, die sie bietet, Pflicht zu üben, und in der Versuchung Pflicht zu versäumen, in ihren Leiden und Freuden und Sorgen und Geschäften, die Vorbereitungsschule und den Uebungsplatz und die kurze immer höher ins Lichte steigende Bahn zur Ewigkeit und zum höhern Beruf, zu heiligern gereinigtern Freuden ahndet und anerkennt, und den Glauben seiner Bestimmung und die Bürgschaft dafür in sich hat, und im Freudenwirbel der Erde, und im Gewittersturm, in den der Wirbel sich auflöset, nicht verliert, das hat Religion. Und wo in einer sterblichen Brust das Unsichtbare gegen das Sichtbare, und die Hoffnung des Zukünftigen gegen die Erfahrungen des Gegenwärtigen und siegt, und groß und stark macht, da ist Jesus Christus, der im frühen Morgenlichte seines Lebens schon sich und die Seinen tröstete, daß er seyn müsse in dem, das seines Vaters ist, er mit dem Bekenntniß: Meine Speise ist die, daß ich thue den Willen des Vaters, der mich gesandt hat, und daß ich vollende sein Werk, er, der keins von allen verlieren wollte, die ihm sein Vater gegeben hatte, und der aus seinem Herzen voll Liebe, Geduld und Sanftmuth und Mitleiden keines verlor, der das Gefühl seiner freudigsten Lebensstunde in das Gebet ergoß: Ich preise dich, Vater und Herr Himmels und der Erde, daß du die Wahrheit, die den Klugen verborgen war, den Unmündigen geoffenbaret hast, und das Gefühl seiner bangsten Stunde in den Trost des Gebetes einhüllte: Mein Vater, ists möglich, so gehe dieser Kelch vorüber, aber dein Wille geschehe, und der im brechenden Auge mit dem Blick zum Himmel vollendete, woher er gekommen war, und wohin er gieng, Jesus Christus hatte Religion und that recht. Und wir nennen ihn den Anfänger und Vollender unsers Glaubens; und wer ihn nicht so nennen mag, ehrt ihn doch als einen weisen und tugendhaften Mann, und wünscht, wenn ers auch nicht gesteht, so heilig und gut, und so ruhig zu seyn, wie er war, und verzagt daran.

Religion ist nicht Rechtthun, aber sie führt dazu, und wird sichtbar in ihm, nicht in einzelnen schönen Handlungen, nicht blos am geweiheten Ort und in der wiederkehrenden geheiligten Stunde, sondern gleichförmig im ganzen Leben und Wirken, in der einsamen Stille, die kein richtendes Menschenauge beobachtet, im häuslichen Kreise, im geschäftigen Beruf, in der Stunde der Freuden und der Klagen. — Ihre Wirkungen gleichen nicht der neuen Verbrämung auf altem dürftigem Gewande, die eine beschämende Armuth verdecken sollte, und nur auffallender verrathet.

Es ist ein großes Gesetz in der menschlichen Natur, fest und unzerstörbar, wie irgend ein Gesetz in der Natur, daß die herrschenden Gesinnungen des Gemüthes, sie heißen wie sie wollen, laut und wirksam werden in Wort und That, und dem mannigfaltigen Thun und Begehren und Versagen des Menschen seinen belebenden Geist, seine Richtung und Einheit geben, und daß jedes schwächere Gefühl dem stärkeren sich anschmiegt und dient, und daß eure Gesinnung, wenn ihr sie gewaltsam im stillen Busen verschließen wolltet, neue Kräfte sammelt, um gewaltsam durchzudringen. Sehet den Habsüchtigen und den Ergötzungsgierigen, wie jener unaufhörlich sammelt, was dieser unaufhörlich zerstreut, wie jener säet um zu erndten, und dieser erndtet um zu verschleudern, wie die Habsucht den Bittenden Gaben spendet, sie hofft zwiefach zu empfangen, — wie die Verschwendung den Bittenden Gaben weigert, sie hält den eigenen dürftigen Rest für neuen Sinnenrausch zusammen, — wie der eine, um reich zu seyn, sich die reizendsten Freuden, und oft die schreiendsten Bedürfnisse des Lebens ohne alle Überwindung versagt, und der andere um sie zu genießen diese Freuden, die Armuth und ihr Gefolge, die Noth in jeder Gestalt verachtet, — wie der Lohnsüchtige überall um Lohn, der Eitle überall um Dank, der Dankbare überall um Zufriedenheit, der Menschenfreund überall um Menschenwohl arbeitet, wie jeder wählt im Gewühl des Lebens, jeder die nämliche Gelegenheit anders benutzt, jeder die nämliche Handlung anders verrichtet, jeder aus einer andern Quelle für die Mühe derselben Muth schöpfet, wie es durchblickt, wie es auf Mine und Lippen schwebt, wie es auf sein Kleinstes und Größtes sich ausprägt, welches Geistes Kind er sey. Und Ehrfurcht vor Gott dem Erbarmenden und Guten, und der Wunsch ihm ähnlich und seines Beifalls froh zu seyn, und Liebe der Menschen durch Gottesliebe geheiliget und genährt, und Glaube und Hoffnung einer höheren Bestimmung hoch über den Leiden und Freuden der Erde: — diese Stimmung des Gemüths sollte allein die herrschende seyn, und doch dienen, — die lebendige seyn und doch todt, und nicht durchblicken, und sich nicht verflechten in's Leben, nicht im Kleinsten und Größten sich ausprägen, und nicht unserm mannigfaltigen irdischen Thun und Genießen und Wünschen, Wollen und Versagen seinen Geist, und im Rechtthun seine Einheit geben? Eine verborgene Perle in einem Acker, der Dornen und taube Aehren trägt. Laßt es uns bekennen:wo Religion nicht wirkt, da ist sie nicht. — Ein guter Mensch, sagt Jesus, bringt Gutes hervor aus dem Schatz seines Herzens, und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus dem bösen Schatz seines Herzens, und ein Baum gesund an Säften und Wurzeln trägt gesunde Früchte; ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen. Und ihr kennt es wohl, das Gute, das hervorgieng aus dem Schatze seines Herzens, jenen unermüdeten Eifer für Menschenwohl, jene Liebe, mit der er die Seinen wandellos bis ans Ende liebte, die Sanftmuth, mit welcher er die Irrenden und Gefallenen besserte, die Herzlichkeit, mit welcher er die Bekümmerten tröstete, die heiligkeit, mit der er unter Sündern lebte, die Unschuld, mit welcher er sich unter Kindern freute, die Zufriedenheit, mit welcher er ohne belohnung und oft ohne Dank von einer vollendeten Wohlthat zu einer neuen eilte, die Zartheit der Gefühle, die seine Lippen bewahrte, seine Standhaftigkeit gegen die Reize der Versuchung, seinen Muth gegen die Schrecken der Gefahr, — und daß ich euch so viele Namen nennen muß, und noch viele nennen müßte, die alle eins sind: Religion des innern Menschen, lebendig und wirksam durch alle Verhältnisse des Lebens. Er war fromm und that recht, und wir nennen ihn den Anfänger und Vollender unsers Glaubens. O daß wir denn von seinem Beispiel ermuntert und von seiner Führung geleitet, anfangen mögen, wo er, um ihm nachzukommen, auf dem Wege der Vollendung!

Religion ist nicht Rechtthun, aber sie begleitet den Menschen zum Rechtthun auch in die gemeinsten Verhältnisse seines Lebens, und legt oft in seine unscheinbarsten Handlungen großen Segen, und heiliget seine Freuden. — Am Zolle, wo der Pharisäer keinen Heiligen suchte, und am Mahl der Zöllner und Sünder wettete der Heiligste, und was that er hier? Was keinem Pharisäer, weder wenn er an den Ecken der Gassen betete, noch wenn er unter Posaunenschall Almosen vertheilte, noch wenn er den Propheten Grabmale bauete, in den Sinn kam; im Tempel oder auf dem Berg in einsamer nächtlicher Stunde betete er zu dem Vater um reiche Gelegenheit zu guten Thaten an seinem kurzen Tag; und an der Zollstätte und bei dem Mahl der Sünder fand er sie mit aufmerksamem Sinn und erkannte sie mit seinem Gefühl und benutzte sie. Dort weckte und stärkte er im Glauben und Gebet den Muth und die Kraft zu guten Thaten; und an der Zollstätte fühlte und übte er sie. Dort gelobte er dem Vater, der ihn gesendet hatte, und dem eigenen Herzen, mit welchem ihn der Vater gesendet hatte: ich will suchen und selig machen, was verloren ist; und an der Zollstätte erfüllete er etwas daran. Dort betete er um Segen Gottes zur Vollbringung seines großen Gelübdes; und hier erfuhr er ihn, und seine Speise war auch am Mahl der Zöllner und der Sünder, zu thun den Willen des Vaters, der ihn gesendet hat, und zu vollenden sein Werk. — O es ist wahr: wir können nicht immer betrachten und beten, und von der Erde zum fernen Himmel aufschauen, und wir sollens nicht! Auch können wir nicht immer, und bei weitem nicht alle in erhabenerm Beruf ins große und auffallende wirken für Menschenwohl. Ach unsere Geschäfte sind oft für sehr irdische, sehr eingeschränkte, sehr vorübergehende Zwecke und Bedürfnisse berechnet, für Brod zum Becher kalten Wassers, und sie wollen doch befriedigt seyn. Mancher Edle, eines bessern Looses werth, weilt von Geburt und Schicksal gefesselt unter Zöllnern und Sündern sein Leben lang, und wohnt unter ihrem Dache, und ißt an ihrem Tische, und ist ihnen gleich geachtet. Selig ist der Mann und heilig, und mit dem schönsten Segen der Religion belohnt, den sein Glaube an Gott in seine Wege begleitet. Er erkennt in ihnen seines Vaters unsichtbare leitende Hand, und verehrt sie. Er forscht seinen weisen heiligen Absichten nach, und findet sie. Er erkennt hier im stillen unverdroßenen Fleiße, da in demüthiger ergebener Duldung, dort im edeln hohen Vertrauen seinen Willen und übt ihn. Das ist Religion, und o es ist ein großes heiliges Tagewerk, und es freue sich seiner am müden Abend der, dem es gelungen ist das Werk, das mit stillem unverdrossenem Fleiße, mit demüthiger Geduld, und starkem hohem Vertrauen zu Gott vollendet ward. Ihr schaut nach den Früchten euerer Thaten zurück, und bemerket sie nicht. O seyd unbekümmert, es ist noch ein langer Sommer für euch. Ihr habt ein unbemerktes Samenkorn in die Erde gelegt, und findet selber feine Stätte nicht mehr. Aber Gott hat es bemerkt, und wird es, vielleicht wenn ihr nicht mehr da seyd, zur Blüthe erziehen. Ihr habt ein Sandkorn zum großen Bau des Reiches Gottes beigetragen. Aber auch dieses war unentbehrlich an seinem Orte, und Gott erwartete es von euch.

Aber nicht nur an der Berufsstätte, sondern auch an dem Mahl einer gering geschätzten Volksklasse weilet Jesus; und eben so unbekannt mit dem heiligen und verdammenden Stolz, als mit dem vornehmen und verachtenden Stolz, freuet er sich mit ihnen, und nimmt die Gaben seines Vaters an von eines Zöllners Hand. Das verdenken ihm die Pharisäer, und schon an einem andern Orte wunderten sie sich in starken Ausdrücken, daß Jesus an sinnlichen Erheiterungen, und auch damals unter den Zöllnern so unbedenklich Antheil nahm. Aber Jesus meint, es sey mehr Religion dabei, unter den Menschen zu leben und sie zu lieben, als sich von ihnen zurückzuziehen und sie zu hassen; mehr Religion, gut gesinnet zu seyn, und zu essen und zu trinken, als zu fasten an der Tafel, und der Wittwen Häuser zu fressen und der Waisen Erbgut zu verschlingen; mehr Religion, mit Gott zufrieden zu seyn, und seine Gabe mit fröhlichem Gemüth und heiterer Miene zu genießen, als in einer Schöpfung, so reich an väterlichen Wohlthaten, zu hungern und zu darben, und ihn mit Seufzern und mit Klagen ehren zu wollen. O wer so wie Jesus hier die sinnliche Erquickung auf dem Wege seiner Pflicht gefunden hat, und Gottes Gabe auch in der Menschenhand, von der sie ihm geboten wird, noch wohl erkennt und dankbar annimmt, und weise zu genießen versteht, wer von guten Thaten müde zu sinnlichen Erquickungen und Freuden, und von der Freude gestärkt zu guten Thaten übergeht, und in der Ausübung seiner Pflicht sich freuen, und im Genuß der Freude selber Pflicht zu üben weiß, der hat Religion und thut recht, und sie heiliget seine Freuden.

Und erleuchte und erheitere der Geist Jesu Christi alle, die seine Religion wie ein trübes Gespenst im schwarzen heiligen Gewand umarmen oder fliehen! O es ist ein heiliger, aber ein froher freundlicher Geist, der Geist Jesu Christi. Er will uns nicht die Erde traurig machen, er möchte uns lieber in den Freuden der Erde die des Himmels verbürgen. Er will uns nicht die Menschen verhaßt machen, damit uns Gott desto lieber werde; er möchte uns gern die Liebe zu dem Vater, den wir nicht sehen, durch die Liebe zu den Brüdern, die um uns sind, leicht und wahr und angenehm machen. Er will nicht die Natur unserer Empfindungen zerstören, uns zum Lachen verschrauben im Sturm des Schicksals, und zum Weinen an seinem milden Sonnenschimmer. O nein, er will die Natur unserer Empfindungen bewahren, und unsere Freuden süß machen, und unsere Klagen trösten. Höret doch, was er zu den grämlichen Pharisäern sagt. Tadelsüchtig fragen sie ihn: Warum sind deine Jünger unter den Jüngern der Pharisäer und selbst des Johannes allein so fröhlich? Abfertigend, wie sie es verdienen, antwortet ihnen der gerade unverkünstelte Menschensohn: „Weil sie keine Ursache haben traurig zu seyn. Wenn einst ihr Himmel sich umwölkt, die Trauer kommt früh genug, und von selber."

O daß wir denn auch alle ihn suchen mögen, wo er zu finden ist, diesen heiligen, frohen, freundlichen Geist, und seinen Segen in unserm Handeln, Genießen und Dulden erfahren. Er kehrt gerne in stillen, offenen und aufrichtigen Gemüthern ein.

Aus der Wüste trat Jesus ins rege geschäftige Leben, als er daselbst gebetet hatte. O laßt auch uns oft aus dem Geräusche des Lebens und aus den Zerstreuungen der Freuden zur Stille zurückkehren, nicht bloß um den Gewinn unserer Arbeit zu überrechnen, oder unsere Freude durch die Nachlese der Erinnerung zu verlängern, sondern an Gott zu denken. Das Andenken an Gott heiliget, segnet, tröstet und gibt Religion. Ihr kehrt nie aus dem öffentlichen Leben in den Kreis eurer Familie, nie aus ihm in eure Einsamkeit zurück, ohne reichen Stoff zum Andenken an Gott mit euch zu nehmen. Wars nicht er, der euch zu euerer That stärkte mit Kraft, nicht er, der zum Gelingen Segen gab oder weigerte, nicht er, der euere Freuden und euere Prüfungen euch ins Leben verflocht, nicht er, dessen Willen ihr erfülltet oder verachtete, und der euch in der Ruhe oder in der Unruhe eures Gewissens seinen Beifall oder sein Mißfallen ankündiget? O denket an Gott, und empfanget Religion. — Ihr findet den Geist Jesu Christi Er ist ausgegossen aus seinem heiligen Herzen in sein Evangelium, in seine Lehren, Verheißungen und Tröstungen und geht mit ihnen über in euer Herz, und vertraut sich gerne mit ihm, und ist daheim, wenn er wieder in einem stillen, offenen und aufrichtigen Herzen ist, O laßt es euch von seinem Evangelium sagen, daß ihr Kinder eines himmlischen Vaters seyd, — sagen, daß ihr ihn lieben sollt im innern Gemüthe, und thätig lieben in euern Brüdern, die euch zu ihm begleiten, — sagen, daß ihr nach den kurzen Tagen euerer Kindererziehung zu ihm kommen sollt, und daß die Leiden und die Freuden dieser Zeit der Herrlichkeit nicht werth sind, die euch bei dem Vater erwartet, — sagen, daß himmlisch leben allein zum Himmel führt; und sein Geist versiegle es in eurem Herzen! Betet wie Jesus, und empfindet im Gebet die Nähe des Unsichtbaren, und die heilige Weihe zur Tugend und jeder guten That, und Kraft dazu, und die Bürgschaft ihres Segens. Und laßt euch auch in der Stunde der ernsten Geschäfte und im Zirkel der erheiternden Freude gerne von euerm Herzen an Gott erinnern, und an euere frommen Gelübde, und an die Rechenschaft und das Himmlische über euch, und habt Religion, und sie leite, starke und vollende euch, sie segne und erfreue euch im Rechthun.

Amen.

 

 
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