zurück | Predigt am vierten Sonntage nach Trinitatis 1794 | |
Gott, der du uns zur Weisheit und Tugend berufen und die Freuden der Unsterblichkeit zur Vergeltung eines frommen, menschenfreundlichen Lebens aufgestellt hast, du siehest die Schwierigkeiten und Hindernisse, die unsern Gang zur Vollkommenheit aufhalten, die Versuchungen, die uns so gern von unsern Pflichten weglocken, und die drückenden Gefühle des Gegenwärtigen, die sich in unserm Herzen so nahe neben die Hoffnung des Künftigen drängen. Du siehst es nicht nur; es ist dein Wille, o Vater! daß wir durch freiwilligen edlen Kampf gegen das Böse des Himmels würdiger werden, daß durch Leiden das Verlangen nach dir und deinem Heile geschärft, und nach allen Erfahrungen des Unangenehmem der Genuß deiner Freuden uns einst lieber und süßer werde. O laß uns nicht durch ungeduldige Klagen gegen deine Führungen sündigen und nicht durch Sünde unsers Weges verfehlen! Du legest Lasten auf; aber du hilfst auch. Laß uns durch Entschlossenheit zum Guten, wenn wir versucht werden, durch Kraft vom Himmel, wenn wir für den Himmel arbeiten, durch Aufrichtung im Leiden und Freudigkeit im Sterben den Trost dieser Wahrheit erfahren. Einst, wenn uns der Tod die Bürde abgenommen hat, unter der wir zur Ewigkeit wallen, dann wird deine Wahrheit und Güte, gerechtfertiget gegen alle Ungeduld und Klage, unsere Bewunderung sein, und Dank für deine Führungen, die uns so sicher zum Ziele brachten, und Dank für die Freuden, die uns am Ziele erwarten, dich, o weiser liebender Vater, ehren. Schenke uns auch unter unsrer jetzigen Andacht den Geist der Freudigkeit und des Trostes, und laß uns, durch dein Wort und durch deine Verheißungen gestärkt, wandeln den guten Weg der Tugend und Seligkeit. Vater Unser! Text: Apostelgeschichte 5, 30 - 31 30 Der Gott unsrer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr an das Holz
gehängt und getötet habt.
Der Schauplatz der menschlichen Schicksale stellet uns, andächtige Zuhörer, um er seinen steten Abwechslungen oft sehr unerwartete und unbegreifliche Erscheinungen unter die Augen, Begebenheiten und Verwickelungen im einzelnen und großen, denen wir, wenn wir sie auch für das nehmen, was sie sind, doch ihren Gang zu einem guten Ende und ihr reines Zusammenstimmen mit den wohltätigen Absichten der Vorsehung nicht erraten können, Begebenheiten und Verwickelungen, welche den, der sie voreilig schon für Entwickelung halten wollte, von Zweifel in Zweifel zu führen, in immer tieferes Staunen zu versenken und am Ende in seinem ganzen Glauben und Hoffen irrezumachen, mit allen seinen Grundsätzen zu entzweien imstande wären. Es sind zwei verwandte Bilder dieser Art, die, wenn sie auch seltener in ihrer ganzen Stärke erscheinen, doch nach der längsten Reihe von frohem Ansichten wieder kommen und, sooft sie vor unserm Blicke vorübergehen, ein trauriges Gefühl in der Seele zurücklassen. Es ist die menschenfreundliche, unverdrossene Tugend, wenn sie für ihre Mühe und Aufopferungen fast kein Dank und kein Glück unter der Sonne belohnt, und die leidende, oll noch unter dem Druck des Schicksals von menschlicher Bosheit gepeinigte, gottergebene Unschuld, wenn sie kein Mensch auf Erden zu unterstützen, kein Engel vom Himmel zu trösten, kein Gott in seinem Reiche zu bemerken scheint. Gerne fragt sich bei diesem Anblick der ungeduldige Mensch: Wie kann Gott das sehen, und ändert's nicht? Wie kann der Allmächtige dulden in seiner Schöpfung, was ich schwaches Geschöpf von Erde verbessern würde, wenn seine Macht mir zu Gebote stände? Mit welcher unbegreiflichen Ruhe läßt der Gütige und Weise in seinem Reiche bauen und zerstören, menschenfreundlich pflanzen und feindselig zertreten und alles zum Bösen wie zum Guten seinen ungehinderten Gang gehen? Und doch sollen wir an eine Vorsehung glauben, die alles wohl führt, und durch fromme Tätigkeit und stille Geduld uns ihres Segens wert machen? Wo ist Gerechtigkeit - so denkt dann gerne der Leichtsinnige - in den Schicksalen der Menschen? Wo schwebt der Preis, der die Tugend krönen, wo das Schwert, das den Frevler strafen soll? So denkt er, und eilt zu einer Sünde. Es sei gerne zugestanden, der abstechende Unterschied, der die Tugend und die Bosheit von einander entfernt, ist oft ins Unkenntliche verwischt in den Schicksalen der Menschen, wenn ihr nicht mitten durch den äußern Schein der Dinge, ungestört durch die Träne der Wehmut an dem Auge des Guten und durch den Freudengesang auf der Lippe des Bösen, in den Sitz der inneren Empfindungen eindringen könnet, die euch weder der eine noch der andere von den Dächern verkündiget; — und das Schicksal eines Menschen, des glücklichen wie des unglücklichen, ist ein seltsames Gewebe und, auf welcher Seite ihr es betrachtet, nicht frei von Verwirrungen, wenn ihr den fortlaufenden Gang der Dinge nicht in eine weite Ferne hinaus, nicht über das Grab hinweg bis in die Ewigkeit zu verfolgen imstande seid, wo sich das Verworrenste in Ordnung auflösen und alles Getrennte und Zerrissene in Harmonie vereinigen muß. Aber auch hierin ist uns Jesus Christus durch sein Schicksal von Gott gemacht zur Weisheit. Hat je ein Verehrer Gottes und Freund der Menschen mit reiner, reger Liebe gewirkt und gehofft, solange sein Tag dauerte und bis in die letzte sinkende Dämmerung hinaus, so heißt sein Name Jesus. Und hat je ein Freund und Wohltäter seines Geschlechts die edelste Saat auf einen steinigten Acker ausgestreut und, wo er guten Weizen aussäte, Unkraut und Dornen aufsprossen gesehen, die noch mit seinem eigenen Blute sich färbten, und für alle seine Aufopferungen den Undank seiner Zeitgenossen mit sich ins frühe Grab genommen, so ist es er. «Aber den Jesum», sagt unser Text, «den ihr erwürget habt und an das Kreuz gehängt, den hat der Gott unserer Väter auferweckt und durch seine rechte Hand erhöhet zu einem Fürsten und Heiland, um Israel durch Bekehrung und Vergebung der Sünden zu beglücken.» Lasset uns also auch liier aufsehen auf ihn, den Anfänger und Vollender unsers Glaubens, und, durch sein Beispiel ermuntert und durch sein Schicksal getröstet, so wie er laufen mit Geduld in dem Kampf der uns verordnet ist! Der Menschenfreund arbeitet einer Ungewissen fernen Ernte entgegen, und der Verehrer Gottes geht unter seiner Last mit stiller Geduld zum Grabe; aber die göttliche Wahrheit und Güte rechtfertiget sich schon jetzt an den Gefühlen, die seine Grundsätze und seine Taten begleiten, und einst in dem unausbleiblichen Segen seiner Arbeit und dem frohen Ausgang seiner Schicksale. Werfet einen Blick auf euere allgemeinsten Erfahrungen. Sie belehren euch, daß wir sehr unsicher schließen, wenn wir von den nämlichen äußern Umständen auch die nämlichen innern Eindrücke bei allen Menschen ohne Rücksicht auf ihre Grundsätze, Stimmung, Denkungsart und Verhältnisse voraussetzen. In seiner ganzen sichtbaren Schöpfung hat Gott nach dem Maß und der Wahl der Gaben, die er seinen Geschöpfen mitteilen wollte, die Stärke ihrer Bedürfnisse und die Richtung ihrer Wünsche, nach den Schwierigkeiten und Gefahren, unter welche sie sollten versetzt werden, die Fähigkeit, auszuweichen, entgegenzugehen und zu dulden, nach dem Druck, den sie empfinden sollten, die Reizbarkeit und Stärke ihrer Gefühle in ein weises, schonendes Verhältnis gesetzt. Wo der Weise weniger gewähren wollte, da hat der Erbarmende auch weniger und leisere Wünsche aufgeregt; wo seine Hand schwerere Lasten auflegt, da versagt sie auch festere Kraft zum Tragen nicht und läßt unter der zunehmend drückenden Bürde Mut und Kraft und Ausdaurung sich stärken. Sehet auf unglückliche Menschen, denen ein widriges Schicksal schon an der Wiege zur Seite stand, um! fast bis zum letzten Schritt des Lebens nur allzu getreuer Gefährte bleibt. Sie sollten, meinen wir, erliegen unter ihrer Last. Aber ein wohltätiges Wesen gab dem Kinde das Unvermögen, sein Elend zu verstehen, dem Jüngling den leichten Sinn, es zu vergessen, dem Manne Mut, es zu tragen, und dem Greisen die Erleichterung, es nicht mehr zu fühlen. Oder laßt dem Pilger, der, noch immer glücklich genug und doch nie an dem Ziel seiner Wünsche, unter frohen Hoffnungen die steile Bahn des Lebens hinaufstieg, laßt ihm auf der erreichten Höhe desselben, wenn er nun am jenseitigen Abhang hin zum Grabe schaut, noch jene lebhaften Gefühle und jene heißen regellosen Wünsche, die ihn einst wie Flügel emportrugen, so würde die nämliche Stimmung, die ihn dort zum frohen Geschöpf machte, ihn jetzt zum unglücklichsten Wesen umschaffen. Er sähe vielleicht keine Möglichkeit mehr vor sich, seine Wünsche zu erreichen, und doch auch keine Möglichkeit, sich ihres Dranges zu entladen. Aber die nämlichen Jahre und Erfahrungen, die seinen Verstand über den Wert der menschlichen Hoffnungen ernsthaft belehrt haben, die haben auch seine Einbildungskraft abgekühlt und seine Wünsche gemäßiget. Er läßt den Pilgerstab am Grabe fallen, ohne vielleicht gefunden zu haben, was er einst hastig suchte; aber seine Gefühle haben sich einverstanden mit seinen Erfahrungen, und er stirbt beruhigt und ausgesöhnt mit seinen Schicksalen. So hat jedes Alter, und so hat jeder Stand, jede Lage des Lebens, jede Art zu empfinden, zu denken und zu handeln neben ihrem eigentümlichen Ungemach auch ihren eigentümlichen Frieden, und in jede. Wunde fließt aus einer freundlichen Hand Balsam, der sie heilt, wenn er auch schmerzt oder wohltut, wenn er nicht heilen kann. Diese milde Schonung und diese wohltätige Vergütung, die dem Ungemach durch alle Verhältnisse des Lebens und durch die weite Schöpfung bis den vernunftlosen Wesen hinab folgt, hat der Ewige da am wenigsten vergessen noch verfehlt, wo er der menschenfreundlichen Tugend ein großes, mühevolles Geschäft auflegte und die schuldlose Rechtschaffenheit auf dornichtem Pfade wandeln hieß, aber den Preis, den ihr Menschen und Engel zuerkennen, erst in eine ferne Ewigkeit hinaus verlegte. Von außen sehen wir Schwierigkeiten sich häufen, Gefahren drohen, Stürme ausbrechen; aber in dem Herzen, das noch unter Undank und Verfolgung für das Wohl der Menschen fühlend und rege bleibt und unter dein Unbestand und Wechsel der irdischen Dinge für die Ewigkeit wirket und hoffet, in dem Herzen wohnet unentreißbare Ruhe. Es sind gewisse Neigungen, Grundsätze und Wünsche, die es einem Menschen vorvorzüglich schwer machen, den Unmut getäuschter Hoffnungen und verfehlter Zwecke, den Unbestand der zeitlichen Dinge und alle Prüfungen eines ungünstigen Schicksals zu ertragen, unweise Anhänglichkeit an die Erde und ihre täuschenden Güter, ungemäßigter Hang nach ihren Freuden, geheimer Eigennutz, der auch bei dem edelsten Scheine seinen Vorteil allein oder zuerst berechnet, und eine unselige Zweifelsucht, welche mit jenen Zerstreuungen des Geistes dem Glauben an Gott und an Vorsehung, an Unsterblichkeit und Vergeltung seine wohltätige Stärke raubt. Aber bemerket, wie Vertrauen auf Gott, die Freude seines Beifalls, der Trost der Unsterblichkeit wird sich in dem nämlichen aufwiegenden Verhältnis in eurer Seele erhöhen. Jeder Schritt auf dem guten Wege wird eure Füße stärken, jeder errungene Sieg euch Mut und Zuversicht und Kraft zu einem neuen ehrenvollen Kampfe gewähren. Die Erfahrung, daß auch den Besten seine Tugend nicht vor Leiden schützt, müsse euch eine große Wahrheit fühlbar und wichtig machen. Es gibt kein Mittel in eines Menschen Kraft, sich von den allgemeinen Gesetzen der Natur und von dem Rechte, das Wechsel und Unbestand über der Erde ausübet, frei zu kaufen. Das Los der Sterblichen ohne Unterschied — nennet sie, wie ihr wollt — ist überall, wenn schon in ungleichem Maße, aus Freude und Leid, Genießen und Entbehren, Finden und Verlieren gemischt. Lasset uns also, wenn sich die Umstände nie ganz und oft so gar nicht nach unsern Wünschen schmiegen, desto lieber jene Gesinnungen annehmen und bewahren, die uns auch das Schwerste mit Mut ertragen lehren, uns innere unabhängige Ruhe verschaffen und am Ende unserer ausgewandelten Lebensbahn, wenn der letzte Seufzer verstummet und die letzte Träne zerrinnet, reine, ewige, ununterbrochene Wonne verbürgen. Gottesglaube und Trost der Unsterblichkeit ist es, was den Menschenfreund zu guten Taten stärkt und unter verfolgenden Leiden tröstend zum Grabe begleitet, und sein Glaube täuscht ihn nicht. Denn Gottes Wahrheit und Güte rechtfertigt sich einst ganz in dem unausbleiblichen Segen seiner Taten und dem frohen Ausgang seiner Schicksale. Wer das Gute verrichtet, damit auch dieses Gute mehr getan sei, damit auch seine Tat und seines Lebens Kraft in dem großen Zusammenhang der Dinge mitwirke an ihrem Orte, um hier Torheit und Bosheit und Elend zu hindern und dort Menschenglück und Friede und Freude zu befördern; wem eines Menschen aufgeheiterter Blick und die Freudenträne in dem Auge eines Getrösteten und der späte Dank eines Glücklichen, der vielleicht erst in der Ewigkeit seinen Wohltäter findet, süße Belohnung ist, dem entgeht auch der frohe Segen seiner Taten nicht. Keine Tat verfehlt ihre Folgen. In dem großen Wirkungskreise, wo so mancherlei Kräfte gegen einander streben und so mancherlei nicht zu berechnende Umstände sich nach allen Richtungen aneinander reihen, mag wohl ihre Entwicklung lange gehemmt werden und unter unablässigen Schwierigkeiten langsamen Ganges sich fortwinden und die Reihe ihrer stillen Folgen in dem rauschenden Strom des allgemeinen Lebens und Wirkens sich unkennbar verlieren. Aber ihrer Folgen verfehlt sie nicht. Geschieht doch auch nichts Böses umsonst. Und wer gesteht diese traurige Wahrheit lieber zu, als wer jene frohere verkennt? Hie oder da, spät oder frühe wird ein Mensch dadurch betrübt, ein Unschuldiger geärgert, ein Leichtsinniger verführt, ein Boshafter bestärkt, etwas Gutes aufgehalten, etwas Schlimmes befördert und, wenn alles fehlt, der Stifter einer kleinern Übeltat zu einer größern vorbereitet. Wie sollte denn das Gute nur, wie sollte die ganze Lebensmühe eines Menschenfreundes unter den Augen der Vorsehung verloren oder unbrauchbar in ihren schaffenden Händen sein! Nein, Gott nimmt jede, auch die kleinste Steuer zum Menschenwohl, aus gutem Herzen gereicht, mit Wohlgefallen an und verschmäht sie nicht. Aber wohl wird in seiner Hand etwas anders daraus, als es in den Händen des schwachen Geschöpfes von Erde war. Wohl enthüllet sich ihr segnendes Wirken auf eine andere Art, in einem andern Maße, an einem andern Ort, zu einer andern Zeit, oft erst alsdann, wann der fromme Täter schon lange unter den Toten schlummert. Sehet auch hier zurück auf den größten Wohltäter, dessen die Erde sich freuet, auf Jesum. Groß und schwer war die Ausführung seines Vorsatzes, die Menschen aus dem tiefen Elende zu retten, wohin Unwissenheit und Irrtum und Sünde sie geworfen hatte. Aber unauslöschlich war sein Eifer, das große Werk zu vollenden, aushaltend sein Mut; wahr und schön und belebend seine Lehren, seine Ermahnungen und Tröstungen; zahllos und um teure Preise zustande gebracht seine Wohltaten. Kein Tag verging, an dem er nicht unter Freude oder Tränen, unter Hoffnung oder Seufzern in der lieben traulichen Gesellschaft seiner Freunde oder in dem harten Kampfe mit seinen Feinden dem großen Ziele näher rückte. Und noch als ihn die Nähe seines frühen Grabes umschattete, schien alles, was er in einem kurzen, aber tatenreichen Leben für Menschenglück gelehrt und getan hatte, nach seiner eigenen Vergleichung einem unbemerkten, den Stürmen preisgegebenen Senfkorne gleich. Aber mit dem Blute seines Herzens befeuchtet, hat sich sein Keim entfaltet, und seine Zweige haben sich stille und unzerstörbar über die Erde verbreitet; und wo sie geschont und gepflegt werden, da blühet noch jetzt aus ihnen Friede und Freude und Segen auf. Er ward weder in Jerusalem noch in Galiläa mehr gesehen; aber Israel fand in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden. So enthüllet unter Gottes Leitung die Zukunft, was die Gegenwart verbarg; und den Segen, den der müde Arbeiter am Wege des Grabes vergeblich zu schauen wünscht, zeigt ihm in reicherer Fülle die Ewigkeit. Die Ewigkeit, wo sein Schicksal sich froh entwickelt! Wir stehen hier an dem Rande unserer menschlichen Erfahrungen. Aber den einen unserer Brüder, Jesum, den einst verkannten Menschenfreund und stillen Dulder, «den sie erwürget haben und an ein Holz gehänget, hat ihn nicht Gott auferwecket und durch seine rechte Hand erhöhet zu einem Heiland und Fürsten?» - ihn, der dazu erschienen war, um alles, was die Vernunft Trostreiches von dem Schöpfer ahndet, und was die Offenbarung Großes und Wunderbares von ihm erwarten heißt, durch sein menschliches Leben sichtbar darzustellen und durch sein menschliches Schicksal zu verbürgen; ihn, der in allen Dingen seinen Brüdern gleich werden wollte, um sie einst sich gleich zu machen, wenn er durch Taten und Leiden seine Herrlichkeit errungen hätte, der mit dem süßen Tröste von seinen Lieben sich losriß: «Ich gehe hin, aber ich komme wieder; ich will euch zu mir nehmen, auf daß ihr seid, wo ich bin; ihr sollt meine Herrlichkeit sehen, die mir der Vater beschieden hat!» Einst getötet, jetzt lebt er. Einst der verachtetste und unwerteste, im blutbespritzten Staub der Erde niedergebeugt, sitzet er jetzt, der erstgeborene seiner Brüder, auf dem Throne seiner Herrlichkeit und ist geehrt von Gott, dem er vertraute, und angebetet von den Engeln, die seinen Tod betrauerten, und vernimmt vom Auf gang bis zum Niedergang das Gebet und Flehen vieler Tausende, die seinen Namen bekennen, und macht es ihnen in dem Tröste, womit er ihre Herzen beruhiget, und in der Kraft, womit er sie durch den Kampf zum Siege führet, fühlbar, daß er lebe und mit der hohen Wonne, selig zu machen, für seine Todesleiden getröstet sei. So groß und herrlich hat sich Gottes Wahrheit und Treue an der Vollendung seines Schicksals gerechtfertiget. Mit ihm wandelt der Trost und die Hoffnung der guten Menschheit zu Grabe; mit ihm kehrt sie, verklärt wie er, in das Leben zurück und windet sich mit ihm in die Unsterblichkeit auf. Wo er ist, soll sein Diener auch sein. «Wenn ich erhöhet bin von der Erde, will ich sie alle zu mir ziehen.» Solchen Trost gewähret uns, christliche Zuhörer, der Glaube an Gott und an die Verheißungen Jesu Christi bis zum gänzlichen Aufschluß über den Segen unsrer Taten und das Ende unsrer Leiden. Was wir Gutes tun, ist Gott getan, und seine Hand führet uns durch die Wolke der Prüfung, die nur diesseits des Grabes sieh ausdehnt, dem Leben im Glanze der Unsterblichkeit entgegen. Fühlen wir es also, daß dieses Weilen im Lande der Unvollkommenheit zu kurz, unser Schicksal selbst am Grabe seinem Anfang noch zu nahe, unser Blick auf Gottes Werk und seine fernen Absichten noch zu schwach und ungeübt sei, als daß die Summe aller Widerwärtigkeiten und Leiden, die uns Zufriedenheit und Hoffnung und selbst die Tugend erschweren könnten, uns zu einer Klage gegen Gott, zu einem Mißtrauen in die feste ewige Wahrheit seiner Verheißungen und zur Mutlosigkeit im Guten berechtigte? Lasset uns also, solange wir hier noch wallen, statt über Gottes Wege ungeduldig und vermessen zu urteilen, sie lieber durch stille Geduld und unverrücktes Vertrauen ehren. Hinter der menschlichen Torheit, an der unser Auge finster weilet, wirkt göttliche Weisheit in verborgener Stille; hinter der menschlichen Bosheit bereitet göttliche Güte unerwartete Wohltaten. Die Menschen werden verschwinden, ihr Werk wird sich zerstören; aber Gottes Gnade und Wahrheit wird hervortreten und ewig bestehen. Noch hier auf dem niedrigen Standpunkt und während des schwindenden Augenblicks unsers irdischen Daseins wollen wir seinen großen Plan, der von Ewigkeit zu Ewigkeit reicht und Erde und Himmel umfaßt und die Angelegenheiten der Erde und des Himmels miteinander verwebt, hier wollen wir ihn nicht überschauen und keinen einzelnen Faden in seinem verschlungenen Gang durch das Ganze verfolgen. Lieber laßt uns jeden zu seiner Zeit und an seinem Orte Gutes wirken für seine Absichten und an den Segen unsrer Taten glauben, — nicht verzagen, wenn wir wenig Früchte unsrer Mühe und unsers Schweißes gedeihen sehen! Eure Liebe und eure Tugend - habt sie nur! - wird euer Dasein auf der Erde überleben. Nicht ihr, nicht eure Zeitgenossen erst haben die Bäume gepflanzt, die euch jetzt Frucht und Kühlung geben; nicht sie haben das Land, das einst öde lag, in grüne Auen und saatenreiche Felder umgeschaffen; nicht sie haben erst Wahrheit und Weisheit in ihrem verborgenen Heiligtum aufgespürt und Gotteserkenntnis vom Himmel herabgeholt und Menschlichkeit und milde Sitten unter die Menschen zurückgebracht; nicht sie haben erst alle Verhältnisse der menschlichen Gesellschaft abgemessen und geordnet und durch alle Verhältnisse Leben, Wirksamkeit, Ordnung und Glück verbreitet. Oder hätten sie es? — Wohl so folgt auf schwache Menschentat naher großer Segen. Oder ist eure Bildung, euere Weisheit, euer Wohlstand und Glück die vereinigte Wirkung weggestorbener Geschlechter und verschwundener Jahrhunderte, haben Tausende und Abertausende jeder sein Scherflein dazu beigetragen, ohne zu wissen, wann und wo und wem er nützen würde, so wird auch euer menschenfreundlicher Eifer, euer Rat, euer Beispiel, euere Mühe, euer Opfer jedes an seinem Ort und in seinem Maße noch fortwirken und wohltun, wenn euch lange das Grab schon deckt und lange der Hügel eures Grabes wieder eingeebnet ist und nur im Himmel, nicht auf der Erde mehr euer Name genennet wird. Aber einst wird der, der alles bemerkt und nichts vergißt, der alles erhält und leitet, euch euers irdischen Daseins Segen im schönsten Lichte zeigen. Manchen frommen Menschenfreund, dessen freundlicher Wille und dessen stille unverdrossene Tätigkeit von Menschen übersehen, verkannt oder vergessen wurde, wird dann aus dem Munde des richtenden Menschensohnes das Zeugnis ehren: «Du hast vielen meiner Brüder Gutes getan; mir hast du es getan.» Manchem Armen, der hier im innigsten Gefühl der Teilnehmung und Liebe nur weinen über die vielfache Not seiner Brüder, nur wünschen, beten und hoffen konnte, manchem, der am Ende seines Lebens umsonst und traurig nach einer bleibenden Spur seiner Taten zurückschaute, wird dann die frohe Begrüßung entgegenkommen: «Über wenigem bist du getreu gewesen; über vieles will ich dich setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude!» Groß und unnennbar ist die Wonne, die ihn dann erwartet, noch von keinem irdischen Sinne empfunden, selbst über das innigste geistige Frohgefühl erhaben, mit dem ihr je in der Stunde der reinsten Andacht und der frömmsten Liebe diesseits des Grabes den Schöpfer um euer Dasein und um seine Gnade prieset. Wir wollen dieser Wonne durch gute Taten uns wert machen; wir wollen in dem Gedanken an sie unsere irdischen Leiden vergessen! Dort werden aus euern geweinten Tränen, fromme Dulder aller Art, Freuden der Ewigkeit für euch aufblühen; dort euch Schwache und Kranke der Balsam der Unsterblichkeit, dort euch Arme und Kummervolle der Reichtum des himmlischen Segens, dort euch Müde die ersehnte Ruhe, dort euch Verlassene und Verwaiste die Freundschaft Gottes und Jesu Christi, dort euch Pilgrime und Fremdlinge auf Erden die Heimat bei euerm Vater trösten und euer frohes Erstaunen und euer zusammenstimmender Preis und Dank die verkannten Ratschlüsse der Gottheit verehren. Er ist getreu, der uns zum Tröste unsrer irdischen Mühen die große Verheißung getan und selber die Bahn durch Leiden zur Freude eröffnet hat. Noch ist es nicht erschienen, was wir sein werden; wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihn sehen und so, wie sein Geist in uns wohnte und wirkte, selig sein werden, wie er es ist. Amen.
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