zurück | Predigt am zweiten Christtage 1801. | |
Meine Seele erhebet den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes meines Heilandes. Vater unsers Herrn Jesu Christi, so drückt sich der Dank des frommen Herzens vor die aus, wenn wir an den Segen gedenken, den uns dein Sohn vom Himmel brachte, und noch mehr, wenn wir ihn erfahren und verstehen, in der Seligkeit des Glaubens an dich, in der Kraft, womit er den guten Willen bis zur Vollendung eines heiligen Lebens unterstützt, in dem steigenden Trost, womit er uns durch jedes Leben dieser Tage dem großen Ziele näher führt, das nur Freuden und keine Leiden mehr hat. Du aller Menschen Vater und Freund, gib uns allen diesen Glauben und diese Erfahrung. Auf den Wegen, die deiner Weisheit bekannt, und deiner Allmacht offen sind, sende Jedem, was er bedarf in der langen Nacht des Irrens und Zweifelns dein erfreuliches Licht, in den Versuchungen der Sünde einen warnenden Engel, in dem Kampfe der Tugend einen ermunternden , und in dem bangen Leiden, die so schwer auf manchem Herzen liegen, einen tröstenden. Laß uns auch heute an der Betrachtung deines Wortes die Erhörung unsers Gebetes finden. Unser herz weihet sich der Andacht in einem stillen V. U. Text: Lukas 1, 46 - 55 46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, So ward nicht nur von Engelserscheinungen und Lobgesängen, sondern auch mit frommer menschlicher Lippen Dank der Besuch des Himmlischen unter den Sterblichen angekündigt und gefeiert, als Gott seinen Sohn zum Erlöser der Menschen sendete; und wie viel werther müssen uns diese menschlichen als alle himmlischen Lobgesänge seyn! Wir verstehen sie, und können sie nachsprechen und mitempfinden, und unsere eigenen nennen. Aus einem Herzen geflossen, das wie das unsrige fühlte, finden sie in dem unsrigen Eingang und Heimath. Sie drücken unsere Erfahrungen und unsere Gefühle aus, und thun uns wohl, weil sie menschliche Erfahrungen und Gefühle ausdrücken. So betet und dankt in unserm Text die Andacht des Weibes, deren mütterliche Liebe und Pflege die Vorsehung die Kindheit unsers Erlösers anvertraute. Meine Seele erhebt den Herrn; und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes. - Denn er hat große Dinge an mir gethan, der da mächtig ist, und deß Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit wahret immer für und für, bei denen die ihn fürchten. — Er hebet die Niedrigen empor, und erquicket die Elenden mit seinen Gütern. Wie viel Ursache haben auch wir, meine Freunde, in unserm ganzen Leben, und jetzt vorzüglich wo wir das Andenken der Tage feiern, in denen uns Gott mit Christo alles gab, wie viel Ursache haben wir zu sprechen: der Herr hat große Dinge an mir gethan, der da mächtig ist, und deß Name heilig ist! Und wie getröstet darf auch noch der Gedrückteste und Kummervollste unter uns den Lobgesang der Glücklichen mit dem dankbaren Bekenntniß verherrlichen: Seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen die ihn fürchten. Wir weilen in gegenwärtiger Stunde an dieser Stelle unsers Textes. Möge sich daran unser Herz zur dankbaren Liebe Gottes, zur freudigen Erfüllung seiner väterlichen Absichten, und zum Trost in den Leiden unserer Prüfungstage ermuntern. Der Herr hat großes an mir gethan, so betet Maria in einem eigenen Sinne; aber schwerlich ist Jemand unter uns, der nicht in irgend einem Sinne, auch nur im Andenken an besondere irdische Schicksale, das Nämliche sagen könnte, dem nicht das dankbare Herz die Erinnerung an eine große Wohlthat zuzuführen wüßte, die ihm Gottes Vaterhand auf seine Bitte und ohne sie entgegenbot, oder die Erinnerung an ein großes Leiden, von dem sie ihn, vielleicht früher als ers erwartete, vielleicht noch als ers nimmer erwartete, erlöset hat, oder die Erinnerung an eine bange Gefahr, auf deren langem schmalen Rande sie ihn sicher hinüber führte. Der Herr hat großes an dir gethan. Und wenn wir an die wunderbaren Wege gedenken, auf denen uns oft seine Hülfe erschien, an die unscheinbaren Mittel, mit denen er das bewirkte, was uns selbst für die gepriesensten und bewährtesten zu schwer schien, mögen wir alsdann nicht gerne unsere menschliche Kurzsichtigkeit und Ohnmacht anerkennen, und dankbar hinzusetzen: der da allmächtig ist! Doch auch dasjenige Leben, und diejenigen Theile eines jeden Lebens, die der auffallenden Erfahrungen und schnellen Veränderungen, und des Ausgezeichneten überall am wenigsten bieten, sind darum nicht die ärmsten an Proben der göttlichen Güte und Allmacht. Und das Große und Bewunderungswürdige in unsern Schicksalen ist nicht das Seltenste, sondern eben darum das Uebersehene und Verachtete, weil es das Gewöhnlichste ist, weil es mit der Sonne jedes Morgens und mit den Sternen jedes Abends, mit den Blüthen jedes Frühlings und mit den Früchten jedes Sommers wiederkehrt, und allemal vor dem Bedürfniß und vor dem Wunsche darnach schon da ist, und unerschöpft eines langen vielbedürftigen Lebens Erfordernisse bis zum letzten, dem Leichentuch ins Grab, aushält. Und der große Segen, der aus tausend offenen und verborgenen Quellen von der Sonne herab und aus der Erde herauf und aus Menschen Hand und Mund und Herz, und wo wir gehen und weilen, uns umfließt, ist darum nicht des letzten Dankes werth, weil er uns mit Vielen und auf des Schicksals festgehaltener Wage ungleich getheilt ist, sondern des größten, wenn dein bescheidener Theil, da wo so viele bitten und erwarten, fordern und nehmen, dir doch zureicht, und unter den viel Tausend tausenden, die Gottes Güte nährt und kleidet, und schützt und erfreut, du nie vergessen warst, und wenn die Frage jedes Morgens: was werden wir essen, was werden wir trinken? mit der Sättigung jedes Abends beantwortet und beschämt ist. Oder an wem thut Gott größers, an den Glücklichen, (so nennen wir sie), denen er der Erde Güter für einen langen Lebensgenuß und darüber hinaus in den Schooß legte, oder an denen, die nicht nur nackt aus Mutterleibe, sondern nackt und arm aus der Eltern Hütte in ein Leben voll Bedürfnisse hinaustraten, und die er doch täglich, und bis beide am Grabe zusammen kommen, und leer hinab steigen, nährte und kleidete? An wem Größeres, an dem, der von seiner Hand geleitet, und geschützt durch Länder und durch den Sturm der Meere einem unbekannten Glücke entgegen gieng, oder an dem, der nahe an der heimischen Hütte fand, was jenen unter einem fremden Himmel erwartete? An dem, den er aus großen Nöthen rettete, oder an dem, den er vor großen Nöthen bewahrte? An dem, der zu einer schweren Last des Lebens Muth und Kraft in abgemessenen Verhältnissen empfieng, oder an dem, der mit wenig Kraft eine leichte Bürde an das Grab trägt? Doch wir denken hier nur an irdische Bedürfnisse und Wünsche. Gott hat großes an uns gethan, der allmächtig ist; — er thut noch größeres, deß Name heilig ist. Denn was suchen wir auf dieser Erde? Zu welchem Ziele treiben wir uns, jeder auf seinem eigenen Weg und alle im ewigen Kreis von Freude und Leid, durch Suchen und Finden und Verlieren, durch Genuß und Sättigung und neue Bedürfnisse? Und was haben wir errungen, wenn der König das seidene Gewand und der Bettler das härene vor dem Sterbebette zum letztenmal auszieht? Der Weiseste ist an der großen vollgeschriebenen Tafel der Natur und Erfahrungen ein Leben lang forschend gestanden, und hat am Ende desselben noch keinen Aufschluß. Der Betriebsamste hat an Gold und Silber ein Leben lang glücklich gesammelt, und ist am Ende desselben noch nicht reich. Dem Sinnlichsten schwebte der Becher der Freuden ein Leben lang an der Lippe, und er ward ihm immer fader und bitterer. In uns lebt ein Geist, der zwischen den Bedürfnissen und Thorheiten, zwischen den Thronen und Leichensteinen dieser Erde sein Heimwesen und sein Erbtheil nicht anerkennt, und es lieber nirgends hat, wenn ers nicht über den Sternen des Himmels suchen darf. Aber auch für ihn hat Gott gesorgt, der Vater der Geister, gütig und heilig in seinen Absichten, tröstend und vergütend für das, was auf der Erde noch drückt und wehe thut. Gütig und heilig in seinen Absichten. Denn wir sind, so hat er uns durch Christum gelehrt, nicht für diese Erde, ein zweckloses Spiel ihrer Veränderungen ohne Regel da, sondern zur Vorbereitung in Glaube, Liebe und Hoffnung für ein besseres Daseyn, wie die Pflanze, die noch im Spätjahre keimt, nicht für die Stürme des Winters aufgieng, aber von ihnen gestärkt für die Blüthe einer mildern Jahrszeit. Sollten wir auch die Wohlthat dieser Belehrung und die Seligkeit dieses
Glaubens, darum weil wir sie ohne ängstliches Suchen wohlfeilen Preises
erhalten, für gering, und weil wir sie nie entbehrten, für entbehrlich
halten können? Nein! Wenn wir in den Wohlthaten, die uns an unserm Weg zum
Grabe erfreuen, eines liebenden Vaters Nähe erkennen, wenn uns im Glauben
an sie und in der Liebe zu ihm diese Fremdlingschaft der Erde
freundlicher, und die Zukunft heiterer wird, es ist nicht unsere Weisheit,
sondern die Anerkennung eines gegebenen Worts. Und wenn unser Geist nach
allen Befriedigungen, die ihm die Erde geben kann, doch noch ein
unbefriedigtes Sehnen fühlt, in höhere Welten aufschaut, und dort sein
Ziel erblickt und nach ihm zu ringen wagt, es ist darum, weil wirs wissen
und anerkennen, nicht unsere Weisheit; diese hohe Aussicht hat uns der
eröffnet, der von dorther kam, um Leben und unvergängliches Wesen an das
Licht zu bringen. — Stark im Glauben an das Unsichtbare den Kampf mit dem
Sichtbaren zu bestehen, und auszuführen, an den Leiden und Freuden dieses
Lebens einen frommen Sinn zu üben, zu bewahren und für die reinen Freuden
des Himmels zu lautern , Gottes Beifall und des eigenen Herzens Frieden
höher zu schätzen, als Gold und Würden und Freudenkranze, die bald
verwelken: diese Weisheit und den Muth dazu, und die Kraft zum Muth, das
Vertrauen wenn die Kraft zu sinken droht, und die Erhörung, die das
Vertrauen krönt, wir verdankens alles dem, der uns verbürgt hat, daß wir
der Erde nicht angehören, und dem Glauben daran, daß wir ihr nicht
angehören. — Und wenn sie uns das Letzte aufthut, was sie für uns übrig
hat, ihren Schooß, und der unsterbliche Gast auf ihr thränenlos und ruhig
von ihr scheidet, und das einzige Himmlische und Eigene, was er auf ihr
zurückläßt, frommer Freunde Herz und Liebe, auf bessern Sternen wieder
erwartet, so betet er sterbend nur seines Erlösers Worte nach: Aber laßt uns von der hohen Aussicht die noch ferne ist, den Blick wieder auf die Erde herabziehen, der wir noch nahe sind. Nicht nur gütig und heilig erscheint der Vater der Menschen in dem Aufschluß, den er uns durch Christum für unsere letzte Bestimmung gibt; er begegnet uns in seinem Sohne tröstend und vergütend auch für das, was hier noch drückt und wehe thut. Ach, dicht am Rande des stillen heitern Tages lagern sich oft die Wolken für den nächtlichen Sturm. Nicht nur auf die unweise, oft auch auf die besonnene Freude lauert im nahen Hinterhalte der Schmerz; und zwischen den Glücklichen, die sich unter der Sonne freuen, ist doch auch manches Auge von Thränen roth, und in manchem Herzen blutet eine verborgene Wunde. Aber Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende bei denen, die ihn fürchten, er hebet die Niedrigen empor und füllt die Schmachtenden mit seinen Gütern. So betet Maria, und ihr Sohn hat nach dreißig Jahren und auf der Himmel Thron das tröstende Amen dazu ausgesprochen. Schon in den Tagen seines irdischen Lebens weilte er mit Hülfe und Trost gerne um die, die mühselig und beladenen Herzens waren, und erschien freundlich und milde in den Hütten des Elendes, an denen die Pharisäer seiner Zeit stolz und betend vorübergiengen, ward selbst in allen Dingen seinen Brüdern gleich, um sie zum Vertrauen auf seine Barmherzigkeit einzuladen, und macht durch sein Evangelium bis auf diese Stunde die Worte des Lobgesangs und seine eigenen wahr: Was erniedrigt ist, wird Gott erhöhen; und selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Gott ist aller Menschen Freund und Vater, und verkennt in der bestaubten Hütte, und im kümmerlichen Gewande, im Herzen voll Narben und Wunden des Schicksals, sein Kind und seines Himmels Erben nicht. — Er bereitet den Glücklichen durch die Prüfungen der guten Tage, und den Unglücklichen durch die schweren Prüfungen der bösen zu einer Vollendung vor, und fragt die, welche beides erfahren haben, wann sie seine Nähe inniger fühlten, die Spuren seiner Weisheit und Güte deutlicher erkannten, den Segen der Religion lebhafter empfanden, weiser und besser waren, und mit festerm Blick an dem Himmel hiengen. Zwischen den Lobgesängen der Fröhlichen, die ihn preisen, verschmäht Gott das Seufzen der Unglücklichen nicht, die ihn anflehen. Nicht das Gebet, das in den schönsten Worten tönt, sondern das aus dem lautersten Herzen kommt, ist ihm das angenehmste. Aber oft — (wir wissen nicht, was wir bitten, aber er kann überschwenglich thun, über alles was wir bitten und verstehen) — oft ist Versagen unsers Wunsches die Probe seiner Vatergüte, die wir in der Willfahrung erwarteten, und der Trost, womit das Gebet das kindliche Herz des Dulders stärkt, seliger als die Erhörung. Und es ist noch eine Ruhe zurück dem Volke Gottes, und ein Tag der Vergeltung, wo nicht eure Namen und Würden und Schätze, sondern euer Herz und eure Thaten in des Richters Wage liegen, wo jede fromme Thräne, und jedes fromme Gebet, dessen Erhörung er euch schuldig blieb, vergolten wird, und alle ausgeweinten Leiden dieser Erde nur in süßer getrösteter Erinnerung durch eure Seele gehen werden Auch diese Tröstungen dankt das bekümmerte Herz dem Evangelium, das uns Jesus brachte, und so währet Gottes Barmherzigkeit für und für, bei denen die ihn fürchten. So erhebet er die Niedrigen und sättiget die Schmachtenden mit seinen Gütern. O es liegt viel Trost in dieser Ausgleichung des Unsichtbaren mit dem Sichtbaren, und des Zukünftigen mit dem Gegenwärtigen, für die welche das Schicksal arm und leer ließ, und viele Weisheit und Warnung für die, welche die Erde mit ihren Gütern füllte. Laßt uns alle ringen nach dem Beifall des einen Freundes im Himmel, dem Beifall Gottes, der aller Menschen verlorene oder entbehrte Gunst vergüten kann. Laßt uns die Ehre der Kindschaft Gottes und eines göttlichen Lebens suchen und bewahren; sie macht auch den Niedrigsten hoher Achtung werth, und erhöhet die Würden noch, die um den Purpur und auf Kronen schweben. Laßt uns sammeln am Reichthum guter Thaten; er allein begleitet euch in die Ewigkeit, wenn der irdische am Grabe zurückbleibt. In jede heiße Wunde, die das Schicksal euerm Herzen schlug, fließe heilend oder lindernd der Balsam der Religion, und sie bewahre euch vor den Wunden des Gewissens, die bis in die Ewigkeit offen bleiben. Unsern Dank für sie und für das Große, was Gott durch Christum an uns gethan hat, und für die Barmherzigkeit, die kein Ende hat an denen die ihn fürchten, mögen ihn nicht nur schöne Worte heucheln, sondern ein frommes Herz und ein christliches Leben bewahren! Im Glauben ohne Wanken, im Eifer guter Thaten, im weisen Gebrauch und in der ruhigen Entbehrung dessen, was vergänglich ist, im ungebeugten Muth, wenn der härteste Sturm der Erde an dir vorübergeht, erhebe deine Seele den Herrn; und wenn über dem Körper das Grab sich schließt, und vor dem Geist die Ewigkeit offen steht, so freue sich dein Geist Gottes deines Heilandes. Amen.
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