zurück Predigt am zweiten Christtage 1796.
     

Unerkannt in ihren Anfängen und geheimnißvoll in ihren ersten Spuren sind, o Gott, deine Werke und Anstalten, die, mit welchen du in der irdischen Natur für unsere Bedürfnisse und Freuden sorgest, die, mit welchen du uns von der Kindheit bis ins Alter und bis ans nahe oder ferne Grab unter Zufriedenheit und Klage fortführest, und die, mit welchen du unsern bessern Theil, den Geist, der dem Grabe nicht angehört, seiner ewigen Bestimmung entgegenbringst. Unerkannt und geheimnißvoll, und doch wenn Zeit und Erfahrung die Decke weggenommen hat, unter der sie uns verborgen lagen, Gott, so sind sie groß und weise, und wohlthätig, gegründet in den Tiefen deiner Ewigkeit auf Liebe und Ernst, und fortleitend durch die Zeit und durch das Grab bis an die Höhen deiner Ewigkeit zum Vertrauen und zur Vollendung. Wir erkennen es o Vater! Gib, daß unserer Erkenntniß unsere Gesinnungen entsprechen. Erhalte uns in der Liebe und in der Furcht, auch wenn keine auffallenden Erfahrungen des Lebens uns an dein nahes Wirken erinnern, damit wir, wenn du mit Wohlthaten oder Züchtigungen hervortrittst, uns trösten können, daß du es bist, und wenn einst alles zur unaussprechlichen und herrlichen Vollendung reift, was du ferneher vorbereitet hast, daß auch wir mit unaussprechlicher und herrlicher Freude uns erfreuen, und das Ende unsers Glaubens davon bringen mögen, der Seele Seligkeit.   Vater Unser!

Text: Lukas 2, 15 - 20

15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.
16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.
17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.
19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war. 

 

Wie laut auch die Wünsche, wie lange und tief genährt die Hoffnungen waren, womit die Israeliten einem verheißenen Retter ihres Volkes entgegen sahen; wie merkwürdig und bedeutungsvoll ihnen auch in den Tagen, in welche unsere vorgelesene Geschichte fällt, die Zeichen der Zeit erscheinen mochten, wenn sie in den Schriften ihrer Vater den Winken nachforschten, woran sich ihre Hoffnungen festhielten; so waren sie doch nicht alle von den nämlichen Wünschen und Erwartungen belebt. Manchem ehrlichen Simeon, dem sein Alter die Ahndung erheiterte, daß seine Augen den Christ des Herrn noch sehen würden, ehe sie im Tode entschlummerten, stand wohl noch ein weltkluger Mann gegenüber, der auf keinen Christ des Herrn wartete, und zwischen ihnen der Gleichgültigen mancher, die sich nur wenig und selten darum bekümmerten, ob und wann er kommen würde.

Auch waren wohl nicht aller Erwartungen gleich edel und rein im vernünftigen und biblischen Sinne. Jeder machte sich von seiner Ankunft und von seinem Zwecke seine eigene Vorstellung; Jedem schmückte sie sein Gefühl und seine Einbildungskraft mit den lieblichsten oder feurigsten Farben aus, die sie hatte; und fast alle, selbst die am sehnlichsten seiner harrten, übersahen seine Ankunft in der Geburt des Sohns Mariä unter dem bethlehemischen Hirtendache.

Unerwartet für manche, und unbemerkt selbst denen, die ihn erwarteten, erschien Christus. Mensch unter den Menschen; und noch oft in seinem Leben war er gerade da nicht, wo man ihn suchte, kam er gerade alsdann nicht, wenn man ihn am sehnlichsten herbei wünschte, und stand ungekannt mitten unter ihnen wenn sie ihn nicht mehr erwarteten.

Laßt uns seine Geschichte in gegenwärtiger Stunde von dieser Seite miteinander ansehen, und aus unserer Betrachtung gute Erweckungen

1) zu einem behutsam frommen Sinne

2) zu anhaltend frohen Hoffnungen schöpfen.

Unerwartet für manchen, und unbemerkt selbst denen, die ihn erwarteten, erschien er unter den Menschen.

Wenn wir, meine Zuhörer, mit den Schriften der Propheten in der Hand, die erste Geschichte Jesu betrachten, so mag es uns nicht schwer scheinen, in allen Umständen die wunderbare Erfüllung alles dessen zu entdecken, was von einem künftigen Beglücker der Menschen aus dem Geschlechte Abrahams ferne und dunkel angekündigt ward; und wir verkennen in langen Reihen von Begebenheiten die unsichtbare Hand nicht, die alle Umstände so zu leiten wußte, daß sie zur rechten Zeit und am rechten Orte zur Erfüllung dessen, was beschlossen war, zusammentrafen. Und wir mit den Schriften unsrer Evangelisten und Apostel in der Hand finden es nicht fremde, in dem Säugling auf hartem dürftigem Lager zu Bethlehem den zu erkennen, von welchem gesagt ist: Es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten; und gerne findet ihr schon in seiner Geburt seine erste Entsagung an alle Hoheit, Freuden und Bequemlichkeiten des Lebens zu eurem Besten, die Einweihung zu einem armen, mühereichen, gefahrvollen Leben, in der dürftigen Geburt die Einweihung zu einem jammervollen Tode.

Aber so erschien diese Geschichte nicht den Menschen in seiner Vaterstadt, und noch weniger den Menschen in Jerusalem. Er ward in Bethlehem geboren, weil seine Eltern gerade nach Bethlehem gewandert waren, um einem Gebot des Kaisers, daß alle Welt geschätzet würde, auch für ihre Person Folge zu leisten; er ward in eine Krippe gelegt, weil sonst kein Raum für ihn in der fremden Herberge war. So stille und ungeahndet wußte die Vorsehung, das ferne Wetterleuchten einiger Erscheinungen abgerechnet, den Anfang der merkwürdigsten Begebenheiten und Enthüllungen unter die Gestalt des Natürlichen und Alltaglichen zu verbergen, und so gieng er für den größten Theil der Zeitgenossen als eine gemeine Begebenheit unter den übrigen gemeinen Begebenheiten des Lebens verloren, ganz in der eigenthümlichen Weise der Werke und Anstalten Gottes, der in der sichtbaren Natur und in der unsichtbaren Weltregierung an verborgener Stätte oder in übersehenen Augenblicken aus dem Unscheinbarsten das Größte und Wichtigste und Entscheidenste in fruchtbaren Folgen bereitet.

Aber laßt uns unter der Hütte, wo der Säugling großen Thaten und großen Leiden und großen Vollendungen entgegen schlummert, hervortreten, um auf die Menschen ausser ihr noch einige weitere Blicke zu werfen.

Wohl begrüßte da oder dort ein frommer Jsraelite die Morgenröthe derselben Nacht mit dem Wunsche: Ach daß der Herr aus Zion käme und die Hülfe herein brache! Und siehe, sie war schon da! Vor dem Gebet war die Erhörung auf dem Wege.

Blinde, gehörlose, kranke Menschen, tief bekümmerte Menschen sahen nach einer traurigen Nacht einem neuen freudenleeren trostlosen Tage entgegen; und doch war er nun einmal da, herkommen sollte, um einst auch ihre Klage und ihr sprachloses Gestöne in Lobgesänge hinauf zu stimmen, und den Armen das Evangelium zu predigen.

Bald acht Jahre lang lag schon der Kranke am Teiche zu Bethesda, und verzagte vielleicht an Hülfe und Genesung in der Nacht, als der geboren wurde, der ihm noch nach dreißig Jahren sagen wird: Nimm dein Bette und gehe heim! So feiert oft der Mensch die Stunde seiner Rettung mit Thränen und mit Klagen, — und oft die Stunde seines Unglücks mit Gesang und Freude.

Menschen sündigten vielleicht, Trunkene tobten, Beleidigte dachten auf Rache, Diebe stahlen, Menschenfeinde mordeten in der Stunde, da ihr Richter geboren ward.

Als der Messias schon in der Krippe weinte, spotteten noch starke Geister der frommen Einfalt derer, die auf einen Messias hofften.

Die den Säugling weinen sahen, ahndeten sie wohl, zu welchen himmlischen Belehrungen, zu welchen frohen Verheißungen, zu welchem milden Troste sich die Stimme dieser Lippen noch ergießen, zu welchen Segnungen sich diese Hände noch über sie und ihre Kinder ausbreiten würden? Kein Mensch in Bethlehem bot eine Stätte dem, der gekommen war, um wieder hinzugehen, und uns eine Stätte zu bereiten, wo wir ewig wohnen sollen.

Unbegreifliche Vorsehung, was entwickelst du aus den Begebenheiten eines Augenblicks, und arme kurzsichtige, leichtsinnige Menschheit, die du so oft nicht bemerken kannst, oft bemerken könntest und nicht willst, was in deinem Schoße vorgeht, oft nicht verstehst, was unter deinen Augen geschieht! Welche Empfindungen würden uns vielleicht ergreifen, wenn wir alles wüßten, was in diesem Augenblicke nahe oder ferne um uns her geschieht, und wozu das alles nur so lange wir noch leben, und nur auf uns noch wirken wird? In diesem Augenblicke steigt vielleicht eine Wolke auf, die einen Monat oder ein Jahrhundert lang unbemerkt, schnell den Himmel der Freude überflügeln und verdunkeln, und in tausend Herzen Weh und Klage hinabdonnern wird. Vielleicht fällt auch in diesem Augenblicke das Saatkorn, das nach einem Monat oder Jahrhundert zum fruchtbaren Baume gedeihen, und über ganze Geschlechte Schatten und Labung verbreiten wird.

Wenn wir alles wüßten, was hie und da um uns geschieht, wie ganz anders würden vielleicht viele von uns leben? Aber warum leben wir nicht wirklich anders? Was wir würden vorgehen sehen, wenn wir allwissend waren, das geschieht darum nicht weniger, weil wir es nicht wissen. Was hindert uns jederzeit so zu leben, daß wegen uns geschehen mag, was will? Was hindert uns weise zu seyn, wachsam, gewissenhaft, mit Vertrauen zu Gott erfüllt, gefaßt auf das Schlimmste und auf das Beste?

Der Augenblick in welchem der Mensch geboren ward, der seiner Brüder Erlöser und Richter werden sollte, war nach unsrer Empfindung wichtig genug, daß jeder, der es gewußt hatte, sich hatte freuen und zittern sollen. Der Trunkene hätte von seinem Taumel erwachen, der Mörder hatte den Dolch sollen fallen lassen und ein Engel werden. Aber dünkt euch der Augenblick nicht eben so wichtig, an welchem der Geborne lebt, und vom Himmel herab» schaut, und unsre Wege beobachtet, und ist der Augenblick nicht jetzt noch und stets gegenwärtig da?

Sie mögen uns begleiten diese Erinnerungen in unsre Freuden und in unsre Leiden, und leben in unfern Gesinnungen, und fruchtbar werden in unfern Thaten! Lacht euch die Stunde des heitern Glücks und der höchsten Erdenwonne und Seligkeit, begrabt unter der Freude die Nüchternheit des Geistes und das Gewissen nicht! Ihr wißt nicht welche Leiden euch diese Stunde nahe oder ferne zubereitet. Dämmert euch die Stunde des trüben Ungemachs und der tiefsten bangsten Leiden, begrabt unter Leid und Klage euer Vertrauen und eure Hoffnung nicht! Ihr wißt nicht welche Morgenröthe euch aus den Finsternissen dieser Jammernacht aufgeht. —

Du willst eine Uebertretung begehen, halte ein! Dein Schöpfer ist mit einer Wohlthat für dich auf dem Wege, sie würde dich beschämen, wenn sie dich in einer Ungerechtigkeit anträfe; oder mit einer Züchtigung, sie würde dich niederwerfen in Schrecken und Trostlosigkeit, wenn sie dich im Taumel des Leichtsinnes ergriffe. Du sinnest auf Kränkung an einem Menschen, dem du gram bist, halte ein! In diesem Augenblicke betet er vielleicht für dich, und dein Richter siehet deine Gedanken, und höret seine Worte. Kämpfet ihr in euch selbst den schweren Kampf um Entsagen oder Ergreifen, um Versöhnung oder Rache, um Liebe oder Haß, um Wirken oder Säumen, um Erde oder Himmel, o blicket auf zu dem, der vom Himmel auf die Erde kam, euer Erlöser zu seyn, und von der Erde zum Himmel zurückkehrte, euer Richter zu werden, und vollendet in dem Gedanken, daß er euch sieht, den schönen Sieg der frommen Liebe und des wachsamen Ernstes. Habt ihr unter Versuchung Leiden, unbemerkt und ungepriesen in Liebe und Vertrauen eine gute That vollbracht, wohl euch! auch sie hat er beobachtet, und wird sie einst in den Kranz eurer Belohnung flechten, wenn er aufzuwecken und zu richten, und heimzuführen, und alles zu vollenden, wieder kommen wird.

Wenn er wiederkommen wird? Ja! Und ob auch Menschen noch so kühn seinem Wort und seiner Verheißung wiedersprechen; und ob auch Menschen noch so frevelnd seines Lebens und seines Wirkens und seines Gerichtes spotten; und ob auch Menschen noch so klug und glücklich dem sinnlichen bilderreichen Ausdruck seiner Rede einen Sinn neuer Deutung gefunden haben: er wird wiederkommen, wie er gesagt hat. —

Oft in seinem Leben, war er da nicht, wo man ihn suchte, und kam nicht, wenn man ihn am sehnlichsten herbei wünschte, und stand mitten unter ihnen, wenn sie ihn nicht mehr erwarteten. Laßt uns an diesem Gedanken noch einen Augenblick unsre anhaltend frohen Hoffnungen beleben.

Nicht allen Menschen kam er so unerwartet und unbemerkt auf die Erde, wie den meisten. Von Engeln eingeladen, giengen die Hirten vom Felde heim und fanden Joseph und Maria, und das Kind in der Krippe liegend; und alle, vor die es kam, verwunderten sich der Rede, die sie von den Hirten gehöret hatten. Von geheimen Ahndungen getrieben, kam Simeon in den Tempel, und betete, das theure Pfand seiner Hoffnung auf dem Arme: Herr, nun lassest du deinen Diener im Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen. Und seiner Mutter gieng kein Wort von Engeln und Menschen verloren, das sie nicht in ihrem Herzen bewegte, und in sanfte Muttergefühle und in frohe Hoffnungen einhüllete.

Aber wie gar bald verbleichte wieder die Glorie, die seine Geburt umstrahlte, in die Farbe des Gemeinen und Alltäglichen! Dreißig Jahre lang trat kein Engel zu ihm; Jahre lang war er nur Josephs Sohn, der Zimmermann, wie sie ihn bei Markus nannten, und unterthan seinen Eltern in einer unbesuchten Hütte zu Nazareth. Es gehörte viel dazu, wem er unter den Augen wandelte, dreißig Jahre lang den Glauben fest zu halten, daß dieser sey der verheißene Segen Abrahams und der Erbe auf dem Stuhle Davids. Viele hatten alles, was sie einst von ihm erwarteten, schon längst in das große Buch getäuschter Menschenhoffnungen geschrieben; viele hatten alles, was sie einst von ihm hörten, schon längst wieder vergessen. Kein Mensch redete mehr von ihm, kein Mensch dachte mehr an ihn. Fand er doch, als er mit Weisheit und Kraft vom Himmel genährt, mit Zeichen oben in den Wolken und unten auf Erden gleichwohl öffentlich hervor trat, fand er doch in seiner eigenen Heimath keinen Glauben; mußte doch Johannes bezeugen: er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennet; hatte doch sein Petrus und Philippus, und ein rechter Jsraelite ohne falsch noch nichts von ihm gehört. Und gleichwohl trat er hervor, wie die Sonne, wenn sie hinter einer strahlenden Morgenröthe aufgieng, aber bald in einen dichten Wolkenschleier sich verbarg, und erst am Abend freundlich und segnend wieder hervor scheint, die Erde noch einmal in gedeihliche Warme hüllt, und dem müden Wanderer in die Heimath leuchtet.

Geliebt von denen die ihn kannten, aber angefeindet von den ersten seines Volkes, und doch kraftiglich erwiesen ein Sohn Gottes durch That und Lehre, wandelte er nun die schönste hoffnungsreichste Bahn. Aber bald weinten an seinem Grabe, die gehoffet hatten, er sollte Israel erlösen, Thränen des Mitleids, der Verwaisung und der gesunkenen Hoffnung. Er ward nicht weggenommen durch den leichten, sanften Tod, dessen sein Leben werth war. Mörder jauchzten an seiner blutigen Todesstätte ihres Sieges. Er war nun weggetilget, wie sie wähnten, aus dem Lande der Lebendigen, der scharfe Beobachter ihres Herzens, der freimüthige Zeuge ihrer Handlungen, der kühne Störer ihrer ehrsüchtigen eigennützigen Plane. Aber er kam wieder, wie die Sonne, die am Abend groß und ruhig in den Schoß einer Gewitterwolke hinabsinkt, und des Morgens mit neuer Herrlichkeit wieder am geheiterten Himmel heraufbricht. Mitten unter den Seinen stand er so, als sie ihn nicht mehr erwarteten, und sein Friede war mit ihm. Vor den Richterstühlen, worauf seine Mörder saßen, schallte wie Donner am heitern Mittagshimmel das Zeugniß seiner Boten: er ist auferstanden, und nach weniger als vierzig Jahren brach er unerkannt den Tempel ab.

Er ist aufgenommen von den Menschen zu Gott. Laßt uns in den Glauben an das, was er that, den Glauben an das verflechten, was er verhieß: Er wird wieder kommen.

Die Stimme, die bei seiner Geburt "Ehre sey Gott in der Höhe" sang, die Stimme, die aus seinem Grabe rief: er ist auferstanden sie tönet noch einmal hinter seinem triumphierenden Heimgange her: dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird wieder kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren. —

Schon frühe erwartete man, daß er an der Spitze vieler tausend Heiligen aus den Wolken hervorbrechen, und die zwölf Geschlechter Israels wieder aufrichten würde. Wenn er nichts anders gemeint hätte, als was diese erwarteten, so hatte er sie freilich für seinen Hingang nur mit süßen Hoffnungen getauscht. Aber laßt es euch nicht irren, auch wenn ihn seine Vertrautesten nur so verstanden hatten! Mehr als einmal in seinem Leben erschien er in der Stunde nicht, in der man sein am gewissesten wartete.

Seit er aufgenommen ist, geht noch alles unter der Sonne in der Christenwelt und außer ihr, wie es kann und mag. Neben der Weisheit keimt die Thorheit auf; mit dem Glauben kämpfet der Unglaube unversöhnlich um Leben oder Tod; die Liebe erstirbt im frostigen Hauche der Eigensucht. Dem Zerstörer schreitet ein Saemann durch die Bahn, und dem Saemann wieder ein Zerstörer, wie jeden sein Weg führt. Alles begegnet und durchkreuzt und umschlingt sich, wie es der Zufall zusammenbringt, und scheidet sich wieder nach natürlichen Gesetzen. Der billigste Beurtheiler der Menschheit sieht überall nur die alten Thorheiten in neuem Gewande, immer die nämlichen Gebrechen an andern Krücken, und vor den Augen des scharfern oder ängstlicher« schwinden Religion und Edelsinn, und Christus»Geist im Wirken, Dulden und Hoffen schnell und furchtbar dahin, sieht es aus, als ob Christus zum zweiten Mal aus dem Lande der Lebendigen sollte weggetilgt werden. Laßt euch auch das nicht befremden! So wird das Schauspiel sich nicht enden; so wird der Mißlaut nicht verhallen. Er wird wieder kommen. Mehr als einmal in seinem Leben stand er unter ihnen, wenn sie ihn nicht mehr erwarteten.

Zwar ganze Geschlechter sind schon hingesunken in den Staub. Auch ihr werdet zu euern Vätern entschlummern, und noch manche weinende Tugend ungetröstet, und noch manchen frevelnden Uebermuth ungedemüthigt zurücklassen. Und noch lange kann über euern Gräbern die Tugend weinen, und der Frevel triumphieren. Laßt es euch nicht irren! Er wird wieder kommen, und euch aufwecken, als Zeugen seines Tages und seiner Vergeltung.

Aber hört ihr sie wieder die alte freudenleere Stimme von Corinth herüber, die Auferstehung der Toten seye nichts? Auch das müsse euch nicht irremachen. Wenn er einmal da war,— und war ers nicht? — wenn er mit Gotteskraft aus Galiläa nach Jerusalem hervorbrach, und aus Jerusalem durch das Grab nach Galiläa zurückkehrte, wenn er vom Himmel auf die Erde trat, und von der Erde in den Himmel aufgenommen ward, so wird er wieder kommen. Wenn er angefangen hat, so wird er auch vollenden. O es liegt noch so manche heiß und fromm geweinte Thräne in dem Sande, die noch zu keiner Freudenernte aufkeimt; es hat so mancher Kampf schon ausgeblutet, den noch kein Sieg gekrönt hat; es schwebt noch so manches Gebet über den Wolken, das noch auf seine Erhörung wartet, so manche Frage unter den Wolken, die noch keine Antwort hat; es schlummert noch so manche Hoffnung in dem Grabe, die noch zu keiner Erfüllung aufgeweckt ist. Er wird wieder kommen, und auferwecken und richten, und heimführen, und alles vollenden.  

Amen.

 

 
zurück

nach oben