zurück | Predigt am ersten Sonntage nach Trinitatis 1803 | |
Vater der Menschen, wir beten zu dir für unsere Brüder auf Erden, die uns nahe und ferne sind, die wir kennen und die wir nicht kennen, die uns lieben und die uns hassen, daß du dich ihrer väterlich erbarmen, ihre Unvollkommenheiten und Drangsale mindern, und sie alle, wenn auch durch mancherlei Leiden, zum Genusse deines Friedens führen wollest. Aber wir erkennen es auch, Beten erschöpft nicht unsere ganze Pflicht; denn du willst gerne, Gott der Güte, willst gerne Menschen erfreuen und segnen durch Menschen. Laß uns die Erhörung unserer Bitte für ihr Wohl dankbar und freudig erkennen, wenn du uns Unglückliche zuführst, die unsers Rathes und unserer helfenden Liebe bedürfen, uns ihre Gebrechen und Klage bekannt werden lässest, und wir Kraft und Mittel zum Trösten und Beruhigen und Erfreuen in unserem Herzen und in unsern Händen finden. Möge dann nie eine mürrische und unfreundliche Weigerung unsers Wirkens unser Gebet für sie zur Lüge machen, und unser Herz vor dir verdammen. Gut und barmherzig, das wollen wir seyn, wie du es gegen uns bist, und mit diesem Dank für deine Güte dich ehren. Es stärke uns dazu die Betrachtung deines Wortes in dieser Stunde, und unser stilles Gebet! V. U. Text: Lukas 16, 19 — 31 19 Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und
kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.
Ein gefühlvolles Herz, das in fremdem Glück sein eigenes finden kann, und für fremdes Elend Thränen, Gebete und Hülfe hat, es ist die schönste Gabe, womit der Vater der Menschen uns beglücken und würdigen konnte; eine Quelle der edelsten Empfindungen für den guten Menschen selbst, und eine Quelle des Segens für seine Brüder, die sich seiner Sanftheit und Güte freuen. Oder wie konnte uns der Schöpfer den Genuß des Lebens angenehmer, edler, fruchtbarer vervielfachen, als indem er uns fähig machte, die Freuden so vieler, die unsers Geschlechtes sind, und die wir lieben, theilnehmend mitzufühlen! Wie konnte er uns ähnlicher seinem Bilde schaffen, als wenn er uns Liebe zur Natur, und Wohlthun zur heiligen Pflicht gab, er der Himmel und Erde mit Liebe umfaßt und sich aller seiner Geschöpfe erbarmt? Und wie konnte er die Leiden, die sich auch durch die Freuden seiner Kinder auf Erden vielfach flechten, angenehmer mildern und versüßen, als da er für die Thräne und für die Klage der Leidenden das Herz ihrer Brüder fühlend stimmte, und nicht etwa durch überirdische Wohlthäter, oder nur durch verborgene Naturkräfte, sondern am öftersten und liebsten durch lieben Menschenzuspruch Trost in die bekümmerten Seelen, durch thätige Menschenhülfe Balsam in die schmerzenden Wunden gießen läßt. Aber auch dieses heilige Gefühl — wie wird es oft verwahrlost, eingeengt, übertäubt, unterdrückt, fast bis zur letzten Spur aus der Seele weggewischt! Ein sprechendes Beispiel hiezu stellt uns Christus in der Erzählung unsers Textes auf. Wenn es eine wahre Geschichte ist, sie ist ein trauriges Denkmal, wie sehr sich Menschen verschlimmern können. Wenn es eine willkührliche Erzählung ist, in welche Jesus seinen Zuhörern eine wichtige Wahrheit einkleiden wollte, auch zu Gemälden dieser Art hat er die Züge nicht aus der Luft gegriffen, sondern tief aus dem menschlichen Herzen geschöpft, und seine einfachen Darstellungen sind ein Spiegel der Erfahrungen seiner und aller Zeiten. Möge die Absicht des lehrenden Menschenfreundes an uns erfüllt werden, wenn wir einige Warnungen gegen Gleichgültigkeit bei den Leiden unserer Nebenmenschen aus unserm Texte aufsuchen, und zeigen 1) warum es nöthig, und 2) wie es möglich sey, sich dagegen zu verwahren. Es muß nöthig seyn, sich gegen die Schwächung und Abstumpfung des zarten Gefühls für fremde Leiden zu bewahren; denn es gibt Menschen, deren Herz der himmlische Hauch der Liebe auch einst angeweht und zum Wohlthun geweihet hat, und die sich doch allmählig und unvermerkt so abhärten konnten, daß sie für Menschenwohl und Weh um sich her wenig Sinn mehr übrig haben. Sie ahnden die Noth stiller bescheidener Unglücklichen, und ihr Herz sagt ihnen nichts dazu. Sie hören die laute Klage, sie sehen die rinnende Thräne, aber ihr Auge hat keine Thräne des Mitleids dafür. Ja sie können Menschen, denen es wohl wäre, selber in Noth und Leiden stürzen, und über die Trümmer eines fremden Glückes ihr eigenes bauen; sie scheinen nur sich zu kennen, nur für sich zu leben, und wenn nur sie gesättiget und glücklich sind, kein edleres Bedürfniß zu fühlen, keine höhere Pflicht, keinen schönern Zweck des Daseyns mehr zu ahnden. So lebt in unserm Evangelium ein Mann im Ueberfluß und Vollgenusse, alle Tage umringt von neuen wechselnden Freuden, und an seiner Schwelle liegt ein Unglücklicher, niedergedrückt von Armuth und Krankheit, ein zweiter Hiob, nur von keinen Freunden besucht, aber auch ein — Mensch. Er fleht um Ueberreste, die den gesättigten Schwelger aneckeln, fleht um Labsal für seinen brennenden Schmerz. Aber umsonst; — seine Klage dringt nicht in den Zirkel der lärmenden Freude, nicht in das Herz der Trunkenen und Betäubten. Mögen zur Ehre und zum Troste der Menschheit der Hartherzigen dieser Art wenige seyn; nicht alle Uebrigen besitzen darum schon ganz und unverstimmt das feine, das lebendige, das allgemeine, das uneigennützige Gefühl der Theilnahme an fremder Noth, wie es die Menschlichkeit und die menschenfreundliche Religion Jesu erfordert. Die besitzen es nicht, die wohl alsdann, wann ein Lazarus voll Wunden an ihrer Schwelle niedersinkt, erschüttert werden, aber für die stille duldende Noth nahe und ferne um sich her keinen Sinn haben, und es nicht verstehn, wie viel wohlthätiger es sey, den Jammer, ehe er da ist, zu verhüten, als, wenn er da ist, nothdürftig zu mildern. — Die besitzen es nicht, die bei dem überraschenden Anblick eines Unglücklichen gerührt, bis zu Thränen gerührt werden, aber nichts für seine Rettung oder Erquickung thun. Ihr Mitleiden zerrinnt und erkaltet wirkungslos mit der wohlfeilen Thräne. — Auch die besitzen es nicht, welche mit einer dürftigen Gabe, die nicht tröstet noch erfreut, einen Unglücklichen nur abweisen, nicht dem Gefühl des Herzens Genüge thun, sondern sich davon entledigen, nicht eine Pflicht erfüllen, sondern so leicht als möglich davon loskaufen wollen. — Die besitzen es nicht, die nur für wenige, vielleicht unwürdige Menschen, für Lieblinge oder Schmeichler eine offene Hand, aber für viele Andere und Würdige ein verschlossenes Herz haben, und lieber von jenen sich preisen, tauschen und verlachen, als von diesen segnen, und im Stillen zu Gott für sich beten lassen. So liebt nicht der Menschenfreund, in dem Jesus Christus seinen Jünger erkennt. Die willkührlosen Regungen, womit auch die Natur zur Theilnehmung auffordert, befestiget er durch Grundsätze, heiliget und nährt er durch Liebe zu Gott, dem Vater der Menschen. Wach und leise ist sein Gefühl, umfassend sein Herz, ausdauernd sein Eifer, tröstend sein Blick, segnend sein Wort, lindernd und wohlthitig seine hülfreiche Hand. Ein Blick zum Himmel stärkt ihn auch zu großen und mühevollen, ermuntert ihn auch zu ungewissen Unternehmungen für Menschenbeglückung, und sein stilles Bewußtseyn, die Freude, Thränen getrocknet zu haben, und der sichere Dank des Himmels, sind ihm schöner Lohn für jede Mühe, Ersatz für den Aufwand, erstattender Genuß für jede Versagung, und der gute Wille Trost für die versagende Kraft. Es muß ferner nöthig seyn, sich gegen die Entkräftung und Abstumpfung des zarten Gefühls für fremde Leiden zu verwahren; denn in unserm eigenen Busen liegen, wenn auch schlummernd, die Feinde und Verräther, und viele andere Gefühle und Triebe, unvertragbar mit jenem, theilen sich in das schwache Herz. Laßt den schlummernden Eigennutz erwachen, o ihr werdet bald mit der kummervollen Armuth rechnen, und sie wirds vielleicht am Abbruch, nicht an der Zuthat eurer Gaben fühlen, wie sich euer Segen vermehrt. Gebt dem geheimen Hang zur ausschweifenden Freude, oder zum Aufwand und zu ehrfüchtigen Entwürfen Gehör, bald wird euch die Klugheit zur Einschränkung eurer Güter rathen; bald wird es euch bei dem besten Willen sie auszuüben an Zeit oder Kraft, bald vielleicht bei der schönsten Gelegenheit an gutem Willen fehlen. Menschen, die Gott und einerlei Natur einander nahe an's Herz legte, entfernt hier der Stolz, dort der Partheigeist, da die gereizte Empfindlichkeit oder das Andenken einer alten Beleidigung; der eine erblickt in dem Unglücklichen einen Unwürdigen, der andere einen Fremden, der Dritte einen Feind, und keiner den Menschen. Es muß endlich nöthig seyn, sich vor Härte und Ungerechtigkeit gegen Unglückliche zu verwahren, weil gerade die in der größten Gefahr dazu sind, denen die Natur zum Mitleiden die schönste Anlage, und das Glück zum Wohlthun die reichste Fülle ertheilte. Das offenste, weichste und reizbarste Gemüth, wohl ist es für Mitleiden das empfänglichste, aber es ist auch für so viele andere ungleiche Gegenstände und Empfindungen eben so offen und reizbar, und der erste bessere Eindruck macht vielleicht bald einem zweiten lebhaftern Raum, oder der bessere kommt zu spät, weil schon ein lebhafterer sich der Seele des reizbaren Menschen bemächtigt hat. Er wird in der ersten Anwandlung des guten Mitgefühls Hülfe versprechen und vielleicht den Harrenden mit getäuschter Hoffnung martern. Er wird vielleicht eine zeitlang helfen, und den Halbgeretteten wieder grausam zurücksinken lassen in sein voriges Elend. Er wird vielleicht aus gutmüthiger Eile Wunden schlagen, wo er heilen wollte, und bald von dem Schmerz der Reue darüber zu andern angenehmern Gegenständen übergehen, und des Unglücklichen wieder vergessen. Und die, denen das Glück zum Wohlthun Kraft und reiche Fülle gab, o sie wissen es alle nicht, — der edlere Theil denkt es nur, und versteht es nicht ganz, wie es einem Lazarus zu Muthe ist. Manche wollen es nicht wissen, und bereden sich gerne, daß der Arme, der ihre Sorge und Geschäfte, ihre zahlreichen Bedürfnisse und ihre Langeweile nicht hat, noch glücklicher sey als sie, als ob die Sorgen des Mangels nicht drückender wären, als die des Ueberflusses und die Nächte in Kummer verwacht nicht länger als der Tag, der über schalen Freuden wegschleicht. Und wenn die Unglücklichen sich selber nicht besser verständen, und die freundliche Rechte reichten, und sich so gut sie können, durch das Leben hülfen, es wäre hie und da einem übel gerathen. Es ist nöthig, das zarte Gefühl für Menschenwohl im treuen warmen Herzen sorglich zu bewahren, und wie werden wir es? Fast können wir jede Ermahnung dazu auf die wenigen Worte einschränken: Kämpft nicht gegen eure eigene Natur, unterdrücket und beschädiget nicht, was der Schöpfer tief und reich ins menschliche Herz gelegt hat. Es ist nichts fremdartiges, das durch Kunst gefaßt und zusammengehalten, und durch mühsame Uebungen in die Seele gezwängt, jeden Augenblick sich wieder zu verflüchtigen droht. Es ist da, es wacht und geht mit eurem Leben auf, und hält gerne euer Leben aus. Es lacht und weint schon im zarten lallenden Kind; es betet und segnet, es fürchtet und hofft, es liebet noch im Greise, der für sich auf der Erde nichts mehr zu fürchten oder zu hoffen hat. Aber es ist ein zartes Gefühl; — hütet euch auch vor der geringsten Verletzung und Unterdrückung desselben. Alles Zarte und Edle ist desto geschwinder verletzt und gelähmt, je zarter es war. Die Saite, die am reinsten und feinsten tönt, wird durch die leiseste Erschütterung am ersten verstimmt; die zarteste Morgenblume leidet schon unter dem sanftesten Druck. Hütet euch vor der ersten Verletzung und Unterdrückung des zarten Gefühls für Menschenwohl; die geringste ist nur der nächste Uebergang zur zweiten größern, der erste Schritt auf einen Abweg, und ihr wißt nicht wie weit er euch führt. Unterdrückt selbst bei dem Leiden eures Feindes die Menschlichkeit nicht. Ihr hattet von Eigenliebe gereizt, von Rachsucht übernommen, schon einen großen Kampf gegen eure bessere Natur bestanden, denn auch euer Feind ist ein Mensch. Ihr würdet euch vielleicht bald gewöhnen, auch ungerührt an einem Unglücklichen vorüberzugehen, den ihr weder zu euren Freunden noch zu euren Feinden zählt, denn auch er ist nur ein Mensch. Würdet ihr nicht bald in einer bösen Stunde oder Laune auch dem Freunde den Zoll der Menschlichkeit, sey es Hülfe oder eine Thräne, versagen können? Denn auch er ist am Ende nur ein Mensch. Liebet und pfleget um dieser einen willen jede andere schöne Anlage eurer Natur, jede Tugend, die die nämliche Religion und Vernunft euch empfiehlt; sie bieten sich alle schwesterlich die Hand, und eine windet sich an der andern zur schönen Verherrlichung auf. Eure Demuth im Glück wird euch allein und sicher bewahren, daß der Mensch in jeder traurigen Gestalt des Unglücks euch nicht fremd erscheine. Eure Dankbarkeit zu dem, von welchem jede gute Gabe und jede vollkommene Gabe ausfließt, wird euch die Gelegenheit gerne suchen und sicher finden lassen, von den Kräften eures Geistes und Körpers, und von dem Segen, der in euren Händen liegt, den edelsten Gebrauch zu machen. Eure Besonnenheit wird euch vor eigenen Leiden bewahren, die das Herz gegen fremde verschließen und hart machen. Berufsfleiß und Mäßigkeit wird es euch nie an Mitteln fehlen lassen auszuüben, wozu euch Gott durch euer Herz ermahnt. Glaube an die Vorsehung, die morgen noch walten wird wie sie heute waltete, wird euch vor der ängstlichen Furcht und Sorge für die Zukunft bewahren, die so leicht in Engherzigkeit und Selbstsucht ausartet. Eure Sanftmuth und Versöhnlichkeit wird es euch bei den Leiden eures Feindes vergessen lassen, daß er euch einst beleidiget hat; und eure Verträglichkeit und Milde wird euch vor Feindschaft und Beleidigungen, die das schöne Gefühl der Menschlichkeit in euch verbittern könnten, bewahren. Stärket und ermuntert euch zur Bewahrung und Uebung eures menschenfreundlichen Sinnes durch öftere Erinnerung an den Werth und die Wichtigkeit eines liebevollen und wohlthätigen Lebens. Liebe und Barmherzigkeit stellt den Menschen in seiner eigenthümlichen und schönsten Würde dar; sie bezeichnet den Edlen, der die Winke Jesu Christi verstand und faßte, und in seinen Fußstapfen wandelt; sie führt uns Gott entgegen. Gott ist die Liebe. Durch Menschenliebe bereiten wir uns selbst die reinsten, dauerhaftesten und seligsten Freuden; mit ihr wird uns die Erde schön. Sie tröstet und erquickt uns wieder im eigenen Leiden. Ihr Segen begleitet uns in dem Dank und Gebet unserer Brüder an das Sterbebette; keine Klage ertönt wider uns auf unserm Grabe. Die Ewigkeit nimmt uns zu ihren vergeltenden Freuden auf. Die Freuden des reichen Mannes rauschten mit jedem Abend dahin und waren vergessen, wenn ihn nicht bittere Folgen an die traurige Ursache erinnerten Ein Strahl der Freude in dem Blick des armen Lazarus, seine Erquickung und sein Dank hatten ihm dauerhafter und inniger gelohnt, ihn getröstet im eigenen Kummer, der vielleicht später nur, aber irgend einmal auch die Schwelle des Glücklichen findet, hatten ihn erheitern können in der dunkeln Todesstunde. Und je mehr Segen und Freude er auf der Erde zurückließ, desto belohnender hatte ihn der Beifall des Richters und die Freude der Engel an den Pforten der Ewigkeit begrüßt. — Er liegt in der Hölle und in der Qual, so sagt das Evangelium, und erfährt die ernste und die gerechte Vergeltung, über die er einst bei fröhlichen Gelagen mit seinen fünf Brüdern spottete. Laßt uns, meine Freunde, weise und gut, laßt uns wohlmeinend gegen uns selber seyn. Die Erde bietet nur wandelbare Güter und flüchtigen Genuß. — Die Jahre schwinden, ein Traum unter den abwechselndsten Auftritten am schnellsten dahin. — Jede Gelegenheit kommt uns nur einmal entgegen. — Die Kräfte zum Guten gehen benutzt oder unbenutzt dahin. — Was das Glück uns geben konnte, und nehmen kann, ist unser unsicherster Besitz. — Laßt uns aus diesem vergänglichen, fliehenden Leben durch wohlthätige Anwendung den dauerhaftesten Vortheil uns sichern, angenehme Erinnerungen für die Einsamkeit, sichern, Trost für die ungewisse Zukunft, ein frohes Geleite des Gewissens auf das Sterbelager, das gute Zeugniß der Zeitgenossen über unser Grab, den Dank unserer Brüder noch in der Ewigkeit, und Freuden bei Gott, dem Zeugen und Vergelter unserer Thaten sammeln. Amen.
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