Das wohlbezahlte Gespenst
(1808)
In einem gewissen Dorfe, das ich wohl nennen
könnte, geht ein üblicher Fußweg über den Kirchhof,
und von da durch den Acker eines Mannes, der
an der Kirche wohnt, und es ist ein Recht. Wenn nun
die Ackerwege bei nasser Witterung schlüpfrig und
ungangbar sind, ging man immer tiefer in den Acker
hinein, und zertrat dem Eigentümer die Saat, so daß
bei anhaltend feuchter Witterung der Weg immer
breiter und der Acker immer schmäler wurde, und
das war kein Recht. Zum Teil wußte nun der beschädigte
Mann sich wohl zu helfen. Er gab bei Tag,
wenn er sonst nichts zu tun hatte, fleißig acht,
und wenn ein unverständiger Mensch diesen Weg
kam, der lieber seine Schuhe als seines Nachbars
Gerstensaat schonte, so lief er schnell hinzu und
pfändete ihn, oder tat's mit ein paar Ohrfeigen
kurz ab. Bei Nacht aber, wo man noch am ersten
einen guten Weg braucht und sucht, war's nur desto
schlimmer, und die Dornenäste und Rispen, mit
welchen er den Wandernden verständlich machen
wollte, wo der Weg sei, waren allemal in wenig
Nächten niedergerissen oder ausgetreten, und mancher
tat's vielleicht mit Fleiß. Aber da kam dem
Mann etwas anderes zustatten. Es wurde auf einmal
unsicher auf dem Kirchhofe, über welchen der Weg
ging. Bei trockenem Wetter und etwas hellen Nächten
sah man oft ein langes, weißes Gespenst über die
Gräber wandeln. Wenn es regnete oder sehr finster
war, hörte man im Beinhaus bald ein ängstliches
Stöhnen und Winseln, bald ein Klappern, als wenn alle Totenköpfe und Totengebeine darin lebendig
werden wollten. Wer das hörte, sprang bebend wieder
zur nächsten Kirchhoftüre hinaus, und in kurzer
Zeit sah man, sobald der Abend dämmerte und die
letzte Schwalbe aus der Luft verschwunden war,
gewiß keinen Menschen mehr auf dem Kirchhofwege,
bis ein verständiger und herzhafter Mann aus
einem benachbarten Dorfe sich an diesem Ort verspätete
und den nächsten Weg nach Haus doch über
diesen verschrieenen Platz und über den Gerstenacker nahm.
Denn ob ihm gleich seine Freunde die Gefahr vorstellten und lange abwehrten, so sagte er
doch am Ende: "Wenn es ein Geist ist, geh ich mit
Gott als ein ehrlicher Mann den nächsten Weg zu
meiner Frau und zu meinen Kinder heim, habe nichts Böses getan, und ein Geist, wenn's auch der
schlimmste unter allen wäre, tut mir nichts. Ist's
aber Fleisch und Bein, so habe ich zwei Fäuste bei
mir, die sind auch schon dabei gewesen." Er ging.
Als er aber auf den Kirchhof kam, und kaum am
zweiten Grab vorbei war, hörte er hinter sich ein
klägliches Ächzen und Stöhnen, und als er zurückschaute,
siehe, da erhob sich hinter ihm, wie aus einem Graben herauf, eine lange weiße Gestalt. Der
Mond schimmerte blaß über die Gräber. Totenstille
war rings umher, nur ein paar Fledermäuse flatterten
vorüber. Da war dem guten Mann doch nicht wohl
zumute, wie er nachher selber gestand, und wäre
gerne wieder zurückgegangen, wenn er nicht noch
einmal an dem Gespenst hätte vorbeigehen müssen.
Was war nun zu tun? Langsam und stille ging er seines
Weges zwischen den Gräbern und manchem
schwarzen Totenkreuz vorbei. Langsam und immer
ächzend folgte zu seinem Entsetzen das Gespenst
ihm nach, bis an das Ende des Kirchhofs, und das
war in der Ordnung, und bis vor den Kirchhof
hinaus, und das war dumm.
Aber so geht es. Kein Betrüger ist so schlau, er verratet
sich. Denn sobald der verfolgte Ehrenmann
das Gespenst auf dem Acker erblickte, dachte er bei
sich selber: Ein rechtes Gespenst muß wie eine
Schildwache auf seinem Posten bleiben, und ein
Geist, der auf den Kirchhof gehört, geht nicht aufs
Ackerfeld. Daher bekam er auf einmal Mut, drehte
sich schnell um, faßte die weiße Gestalt mit fester
Hand, und merkte bald, daß er unter einem Leintuch
einem Burschen am Brusttuch habe, der noch nicht
auf dem Kirchhof daheim sei. Er fing daher an, mit
der anderen Faust auf ihn loszutrommeln, bis er
seinen Mut an ihm gekühlt hatte, und da er vor dem
Leintuch selber nicht sah, wo er hinschlug, so mußte
das arme Gespenst die Schläge annehmen wie sie fielen.
Damit war nun die Sache abgetan und man hatte weiter nichts mehr davon erfahren, als daß der Eigentümer
des Gerstenackers ein paar Wochen lang mit blauen
und gelben Zieraten im Gesicht herumging, und
von dieser Stunde an kein Gespenst mehr auf dem
Kirchhof zu sehen war. Denn solche Leute wie unser
handfester Ehrenmann, das sind allein die rechten Geisterbanner, und es wäre zu wünschen, daß jeder
andere Betrüger und Gaukelhans ebenso sein Recht
und seinen Meister finden möchte.
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