Fortsetzung der
vaterländischen Geschichte (1819)
Was nun in dem Kalender der Jahre 1813 und 1814
über die Zeittafel der vaterländischen Geschichte weitläufig ist erzählt
worden, das läßt sich zur Wiedererinnerung im Jahr 1819 kürzlich also
zusammenstellen.
Erstlich waren die Markmannen im Land ein deutsches Geschlecht. Die sind
wieder davongezogen und verschollen. Man hört nichts mehr von ihnen. -
Nach ihnen kam allerlei fremdes Volk über die Grenzen hinüber in die
verödeten Besitzungen, und zogen die Römer nach sich. Die legten Städte
an, und bauten Türme und machten das Land zinsbar auf lange Zeit.
Endlich kamen, man weiß nicht recht woher, die Allemannen, ein braves
gesundes Geschlecht, des dermaligen rheinländischen Lesers Stammväter
größtenteils. Die kauften den Fremden, den Römern die schönen
Landschaften für sich und ihre Nachkommen ab, nicht mit Geld, sondern
mit dem Schwert, und übten weit und breit ihre Herrschaft aus, ein
mächtiges und furchtbares Volk, bis in das Jahr nach Christi Geburt 496.
Da stießen sie mit einem andern deutschen Volk, mit den Franken, wie
zwei Gewitterwolken zusammen, in der Schlacht bei Zülpich. Denn das
liebten die Deutschen von jeher, Händel auf eigenem Boden. Sie wetzen in
Friedenszeiten die Tapferkeit aneinander selbst, damit sie im Krieg
scharf genug sei gegen den Feind.
In der Schlacht von Zülpich aber verlor das tapfere Heer der Allemannen
den Sieg und seine Herrschaft, und wurden Untertanen des fränkischen
Königs, wie bereits in dem Kalender des Jahrs 1814 ist erzählt worden.
Das gefällt dem geneigten Leser am Hausfreund fast noch am besten, daß
er ihm gern alles zweimal sagt.
Diese unglückliche Schlacht dämmte hernach das herrliche Gebiet der
Allemannen, in ein Herzogtum ein, dessen nördliche Grenze, noch jetzt
von dem Schwarzwald herab, durch die lustige Stadt Baden läuft, nämlich
die Oosbach die bei dem Dorfe Oos, auf dem halben Weg zwischen Rastatt
und Bühl an die Landstraße tritt, und nachgehends jenseits derselben mit
der Murg gemeine Sache macht. In dieser Gegend berührten sich die
fränkischen und allemannischen Wohnsitze, und noch jetzt, nach mehr als
1000 Jahren ist dort die Scheidelinie zwischen zwei Völkern wohl
erkennbar. Dann um ein paar Stunden Wegs über der Oosbach auf und ab
wird alles auf einmal anders, andere Gesichtszüge, und ein anderer
Wuchs, wer genau darauf achtgibt, vornehmlich aber eine andere
Sprachweise, andere Sitten und Gebräuche, ein anderer Zuschnitt, und
andere Farben der Kleidung. Ferner wurde das Land in Gauen eingeteilt,
oder in Landschaften. Davon sind zwischen dem Schwarzwald und Rhein im
Namen noch übrig: das Breisgau und die Ortenau, eigentlich die Mortingau.
Verklungen aber sind weiter hinab über der Oosbach die alten Benennungen
das Ufgau, das Albgau und andere. Weiter wurden die größeren Gaue
eingeteilt in mancherlei Grafschaften, die Grafschaften noch in kleinere
Aufsichten und Gebiete.
In solche Maschen strickten sie für die Zwecke des Kriegs und Friedens
das Land voll tapferer Männer, voll Freiheitslust, und sieggewohnter
Schwerter. Mancher Tropfen Blut wurde zwar noch um das teure Eigentum
des vaterländischen Bodens und seiner Freiheit vergossen, aber
vergeblich. Nach und nach lernten die Väter in dieser Frankenschule was
jetzt den Enkeln so wohl ansteht. Sie gewöhnten sich an beständige
Wohnsitze, und an häusliches Eigentum. Die meisten jetzt noch blühenden
Ortschaften datieren sich aus diesem Zeitalter. In der nämlichen Schule
lernten sie den Ackerbau und allerlei nützliche Hantierungen, und
erkannten die Notwendigkeit und Wohltätigkeit der Gesetze, wenn man sie
ehrt. Ja sie warfen ihre heidnischen Altäre um, und errichteten an ihre
Stelle das heilige Kreuz.
Mancher geneigte Leser wird gar nicht lange fragen, auf welcher Straße
die Boten des Evangeliums mit ihren Friedenspalmen, und Auferstehungs-
und Himmelfahrtsfahnen zuerst in das Land gekommen seien. Er meint ganz
natürlich von Bethlehem und Nazareth, den nächsten Weg über Augsburg und
Ulm. Antwort: Der Wind weht wohin er will, und du hörest sein Sausen
wohl, aber du weißt nicht von wannen er kommt, und wohin er geht.
Zwar wie das schöne Tageslicht wenn es einmal aufgegangen ist, breitet
es sich nach allen Seiten aus, und scheint in die dunkeln Gemächer, also
auch das Evangelium, nachdem es aus Jerusalem über das Mittelländische
Meer in Italien gelandet hatte, sendete es bald seine Morgenstrahlen an
die Grenzen unseres Vaterlandes. Aber um den Schwarzwald selbst und
seine Gauen ging es still herum durch Frankreich, und noch einmal über
ein Meer, als ob es sich zuerst an die fremden Völker und an ihre
Wildnisse gewöhnen wollte, und zündete hernach noch von England und
Irland her seine Lichtlein im Schwarzwald an. Der erste, der aus jenem
Land, auf einer langen Pilgerreise, wahrscheinlich um das Jahr nach
Christi Geburt 512 in den Schwarzwald kam, war der heilige Fridolin, der
ließ sich nieder auf einer waldigen Insel des Rheins, und machte das
Erdreich zahm für den Garten- und Feldbau, predigte im Land das
Evangelium und taufte. Auch gründete er auf der Insel eine christliche
Kirche, die erste im Schwarzwald, und stiftete ein Kloster. Das ist die
jetzige Stadt Säckingen am Rhein zwischen Rheinfelden und Laufenburg,
mit ihren Türmen und Dächern. Noch erkennt man den Rinnsal eines alten
Rheinarms der einst die Landschaft zu einer Insel umschloß.
Gleichermaßen von den frommen Männern: Trudpert, Offo, Ruthard, Pirmin,
Landolin und andern wurden die ersten christlichen Pflanzgärten angelegt
im obern und untern Münstertal an der Schutter und Kinzig, und weiter
hinab. Das sind die Anfänge zu den nachmaligen Klöstern und Abteien, St.
Trudpert, Schuttern, Gengenbach, Ettenheimmünster und andere, die
insgesamt noch in unser Andenken fallen, und noch das Zeugnis ihrer
Mauern und Türme haben. Alle jene Männer aber sind aus England gekommen.
Zwei von ihnen Trudpert und Landolin sind von Landeseingebornen
gewaltsam getötet worden. Denn das hat die christliche Kirche von ihrer
Stiftung her. Wohin sie sich verbreiten soll, das Land muß zuerst mit
dem Blute ihrer Zeugen getauft werden. Wo findet man mehr solchen
Glauben? Diese Männer haben daheim alles verlassen um seines Namens
willen, und sind unter Gottes Geleit getrost zu fremden Völkern
gewandert, und haben für alles was sie daheim zurückließen, nichts
gewollt als das Licht der Wahrheit und den Segen der Frömmigkeit und des
ackerbauenden Fleißes in die Finsternisse des Schwarzwaldes zu bringen,
haben auch auf ihrem Sterblager noch nichts mitgenommen als die
Hoffnung. Ein anderes wäre es, wenn sie jetzt wiederkämen, und die
Früchte ihrer Arbeiten und Aufopferungen beschauen könnten.
Wie die Flüsse des Schwarzwaldes, die Dreisam, die Schutter, die Kinzig,
die Alb, aus ihren unscheinbaren Quellen freudig durch die Täler
hervorrauschen, und mit Leben und Wachstum die Ebenen befruchten, also
wandelte von den Bergpfaden, in die Täler, aus den Tälern in die weiten
Ebenen das Leben und Wachstum des Christentums, christliche Sittenzucht
und Fleiß, und verbreitete sich in alle Gauen am Rheinstrom. Ei, wohin
jetzt das Auge sich wenden mag, erblickt es in fetten Gemarkungen
untereinander schöne lutherische und katholische Ortschaften, mit ihren
Kirchen und Schulhäusern, und mit gottesfürchtigen Pfarrherrn und
verständigen Schulmeistern, darin. Die stattlichen Kirchtürme schauen
einander in der Sonntagsfrühe freudig an, daß jetzt ihr Ehrentag sei,
und grüßen sich mit paritätischer Eintracht und Liebe in ihrer
prachtvollen Glockensprache. Inwendig aber ergeht das andächtige
Orgelspiel und der fromme Morgenpsalm. Nachmittags aber beten die Kinder
in der Kirche eines schöner als das andere sein Hauptstücklein, und
seinen Psalm. Aus der Predigt des Herrn Pfarrers ist kein Sprüchlein
verlorengegangen, und was er zu fragen weiß, es bleibt ihm keine Antwort
aus.
Ohngefähr 250 Jahre waren unsere Altvordern unter fränkischer
Oberherrschaft, als ein Hausmajor des Königs mit Namen Pipin dem König
die Krone vom Kopf abhob, und auf seinen eigenen probierte. Er fand, sie
stehe ihm recht, und ließ sie demnach sitzen. Unsere Vorväter aber, ob
auch die neue Lehre ihnen sagte: „Seid Untertan der Obrigkeit", -
verstanden darunter doch noch immer die allemannischen Herzoge, weniger
die fränkischen Könige, und zeigten ihren guten Willen, gegen die
Franken, nämlich den bösen, bei jeder Gelegenheit mit der Tat bis
endlich Pipin kurzen Prozeß machte. Er nahm den Herzog gefangen,
zerschnitt das Herzogtum in viele kleine Teile, und regierte sie durch
Statthalter aus anderem Blut, welche er wollte.
Das ist immer das alte Ende vom immer neuen Lied, wenn die besiegte
Schwäche gegen die Großmut oder Staatsklugheit der Sieger trotzen, und
nicht zufrieden sein will mit dem Schicksal der Länder und Völker, wie
es die Gegenwart der Vorsehung auf den Schlachtfeldern entschieden hat.
Oder glaubt der geneigte Leser, die Vorsehung müsse erst nachher durch
einen Adjutanten erfahren, wer den Sieg davongetragen habe?
Auf den König Pipin aber folgte im Jahr 768 in der Regierung sein Sohn
Karl. Das war ein Herr von großer Macht, von großen Eigenschaften und
Tugenden, denen Deutschland viel Gutes zu verdanken hat.
Denn ohngeachtet seiner schweren Kriege und Staatsgeschäfte brachte er
die Religion und Gerechtigkeitspflege in bessere Ordnung; er brachte die
deutsche Sprache zu Ehren und Würden, vorher betete und richtete man
lateinisch. Er brachte den Ackerbau und die Künste in höhern Flor; er
ließ ein Gesangbuch von alten deutschen Liedern veranstalten, das sich
aber nirgends mehr hervorzeigen will. Er stiftete
die deutschen Schulen, und zierte sie mit kenntnisreichen Lehrern. Das
muß jedem wackern Schulherrn eine Freude, und eine Aufmunterung sein,
daß er insofern vom Kaiser Karl dem Großen abstammt. Denn als Karl die
Königskrone von Deutschland, Frankreich und Italien auf seinem
glorreichen Haupt vereinigt hatte, zog er nach Rom, und wurde in der
Christnacht des Jahrs 800 von dem damaligen Papst Leo dem Dritten zum
römischen Kaiser ausgerufen. Solches Weihnachtsgeschenk, brachte ihm die
Christnacht des Jahrs 800, eine strahlende Kaiserkrone. Das ist das
Heilige Römische Reich, welches bis in unsere Tage gedauert hat, und zu
welchem wir und unsere Väter auch noch gehört haben. Der geneigte Leser
aber wolle nun hier ein Zeichen machen, damit er wisse, wo wir im
Jahrgang des Kalenders 1820, wer ihn erlebt, wieder fortfahren werden.
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