Unglück der Stadt Leiden (1808)
Diese Stadt heißt schon seit undenklichen Zeiten Leiden, und hat
noch nie gewußt, warum, bis am 12. Jänner des Jahrs 1807. Sie liegt am
Rhein in dem Königreich Holland, und hatte vor diesen Tagen eilftausend
Häuser, welche von 40 000 Menschen bewohnt waren, und war nach Amsterdam
wohl die größte Stadt im ganzen Königreich. Man stand an diesem Morgen
noch auf, wie alle Tage; der Eine betete sein „Das walt Gott",
der andere ließ es sein, und niemand dachte daran, wie es am Abend
aussehen wird, obgleich ein Schiff mit siebenzig Fässern voll Pulver in
der Stadt war. Man aß zu Mittag und ließ sich's schmecken, wie alle
Tage, obgleich das Schiff noch immer da war. Aber als Nachmittags der
Zeiger auf dem großen Turm auf halb fünf stand, - fleißige Leute saßen
daheim und arbeiteten, fromme Mütter wiegten ihre Kleinen, Kaufleute
gingen ihren Geschäften nach, Kinder waren beisammen in der Abendschule,
müßige Leute hatten lange Weile, und saßen im Wirtshaus beim
Kartenspiel und Weinkrug, ein Bekümmerter sorgte für den ändern Morgen,
was er essen, was er trinken, womit er sich kleiden werde, und ein Dieb
steckte vielleicht gerade einen falschen Schlüssel in eine fremde Türe,
- und plötzlich geschah ein Knall. Das Schiff mit seinen siebenzig
Fässern Pulver bekam Feuer, sprang in die Luft, und in einem Augenblick
(ihr könnt's nicht so geschwind lesen, als es geschah), in einem
Augenblick waren ganze lange Gassen voll Häuser mit allem, was darin
wohnte und lebte, zerschmettert und in einen Steinhaufen
zusammengestürzt oder entsetzlich beschädigt. Viele hundert Menschen
wurden lebendig und tot unter diesen Trümmern begraben oder schwer
verwundet. Drei Schulhäuser gingen mit allen Kindern, die darin waren,
zu Grunde; Menschen und Tiere, welche in der Nähe des Unglücks auf der
Straße waren, wurden von der Gewalt des Pulvers in die Luft
geschleudert, und kamen in einem kläglichen Zustand wieder auf die Erde.
Zum Unglück brach auch noch eine Feuersbrunst aus, die bald an allen
Orten wütete, und konnte fast nimmer gelöscht werden, weil viele
Vorratshäuser voll Öl und Tran mit ergriffen wurden. Achthundert der
schönsten Häuser stürzten ein oder mußten niedergerissen werden. Da sah
man denn auch, wie es am Abend leicht anders werden kann, als es am
frühen Morgen war, nicht nur mit einem schwachen Menschen, sondern auch
mit einer großen und volkreichen Stadt. Der König von Holland setzte
sogleich ein namhaftes Geschenk auf jeden Menschen, der noch lebendig
gerettet werden konnte. Auch die Toten, die aus dem Schutt
hervorgegraben wurden, wurden auf das Rathaus gebracht, damit sie von
den Ihrigen zu
einem ehrenvollen Begräbnis konnten abgeholt werden. Viele Hülfe wurde
geleistet. Obgleich Krieg zwischen England und Holland war, so kamen
doch von London ganze Schiffe voll Hilfsmittel und große Geldsummen für
die Unglücklichen, und das ist schön, - denn der Krieg soll nie ins
Herz der Menschen kommen. |
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