Der Mensch in Kälte und Hitze
[1805]
Der Mensch kann nichts Nützlicheres und
Besseres kennenlernen, als sich selbst und seine Natur; und mancher, der
bei uns an einem heißen Sommertage fast verschmachten will, oder im
kalten Jänner sich nicht getraut, vom warmen Ofen wegzugehen, wird kaum
glauben können, was ich sagen werde, und doch ist es wahr.
Bekanntlich ist die Wärme des
Sommers und die Kälte des Winters nicht in allen Gegenden der Erde
gleich, auch kommen sie nicht an allen Orten zu gleicher Zeit, und sind
nicht von gleicher Dauer. Es gibt Gegenden, wo der Winter den größten
Teil des ganzen Jahrs Herr und Meister ist, und entsetzlich streng
regiert, wo das Wasser in den Seen 10 Schuh tief gefriert, und die Erde
selbst im Sommer nicht ganz, sondern nur einige Schuh tief auftaut, weil
dort die Sonne etliche Monate lang gar nicht mehr scheint, und ihre
Strahlen auch im Sommer nur schief über den Boden hingleiten. Und
wiederum gibt es andere Gegenden, wo man gar nichts von Schnee und Eis
und Winter weiß, wo aber auch das Gefühl der höchsten Sommerhitze fast
unerträglich sein muß, zumal wo es tief im Land an Gebirgen und großen
Flüssen fehlt, weil dort die Sonne den Einwohnern gerade über den Köpfen
steht, und ihre glühenden Strahlen senkrecht auf die Erde hinabwirft. Es
muß daher an beiderlei Orten auch noch manches anders sein, als bei uns,
und doch leben und wohnen Menschen, wie wir sind, da und dort. Keine
einzige Art von Tieren hat sich von selber so weit über die Erde
ausgebreitet, als der Mensch. Die kalten und die heißen Gegenden haben
ihre eigenen Tiere, die ihren Wohnort freiwillig nie verlassen. Nur sehr
wenige, die der Mensch mitgenommen hat, sind
imstande, die größte Hitze in der einen Weltgegend und die grimmigste
Kälte in der andern auszuhalten. Auch diese leiden sehr dabei, und die
andern verschmachten oder erfrieren, oder sie verhungern, weil sie ihre
Nahrung nicht finden. Auch die Pflanzen und die stärksten Bäume kommen
nicht auf der ganzen Erde fort, sondern sie bleiben in der Gegend, für
welche sie geschaffen sind, und selbst die Tanne und die Eiche
verwandeln sich in den kältesten Ländern in ein niedriges unscheinbares
Gesträuch und Gestruppe auf dem ebenen Boden, wie wir's auf unsern hohen
kahlen und kalten Bergen auch bisweilen wahrnehmen. Aber der Mensch hat
sich überall ausgebreitet, wo nur ein lebendiges Wesen fortkommen kann,
ist überall daheim, liebt in den heißesten und kältesten Gegenden sein
Vaterland und die Heimat, in der er geboren ist, und wenn ihr einen
Wilden, wie man sie nennt, in eine mildere und schönere Gegend bringt,
so mag er dort nicht leben und nicht glücklich sein. So ist der Mensch.
Seine Natur richtet sich allmählig und immer mehr nach der Gegend, in
welcher er lebt, und er weiß wieder durch seine Vernunft seinen
Aufenthalt einzurichten, und so bequem und angenehm zu machen, als es
möglich ist. Das muß der Schöpfer gemeint haben, als er über das
menschliche Geschlecht seinen Segen aussprach: „Seid
fruchtbar und mehret euch, und erfüllet (oder bevölkert) die Erde, und
machet sie euch untertan."
Ich will jetzt einige Beispiele
anführen, was für hohe Kälte und Hitze die Menschen
aushalten können.
Zu Jeniseisk in Siberien trat einst im
Jänner 1735 eine solche Kälte ein, daß die Sperlinge und andere Vögel
tot aus der Luft herabfielen, und alles, was in der Luft gefrieren
konnte, wurde zu Eis, und doch leben Menschen dort.
Zu Krasnaiarsk, ebenfalls in Siberien,
wurde im Jahr 1772 den 7. Dezember die Kälte so heftig, daß eine Schale
voll Quecksilber, welches man in die freie Luft setzte, in ein festes
Metall zusammengefror. Man konnte es wie Blei biegen und hämmern, und
doch hielten es
Menschen aus.
Eine ähnliche Kälte erlitten
einst die Engländer in Nordamerika an der Hudsonsbay. Da fror ihnen,
selbst in den geheizten Stuben, der Branntewein in Eis zusammen. Sie
konnten
ihn nicht flüssig erhalten. In den langen dunkeln Wintertagen
erleuchtete man die Stuben mit glühenden Kanonenkugeln, und die starke
Ofenhitze daneben konnte doch nicht hindern, daß nicht die Wände und
Bettstätten mit Eis und Duft überzogen wurden.
Was für eine Hitze hingegen wieder die
nämliche Menschennatur aushalten kann, das sehen wir schon an unsern
Feuerarbeitern, zum Beispiel in Glashütten, Eisenschmelzen,
Hammerschmidten, wo die Leute sich durch schwere Arbeit noch mehr
erhitzen müssen. In Breitlingen, das ist eine Erzgrube am Rammelsberg in
Sachsen, mußte das feste Gestein unter der Erde durch Feuer mürbe
gemacht werden. Da sind nun viele schweflichte Teile und Dünste, die in
Entzündung geraten, und eine so erstaunliche und unerträgliche Hitze
verursachen, daß die Bergleute selbst noch den Tag nach der Löschung des
Feuers nackt arbeiten, und alle Stunde innehalten, und sich wieder
abkühlen müssen.
Manche Personen, die in Krankheiten
viel aufs Schwitzen halten, kriechen in einen heißdünstigen Backofen,
wenn das Brot herausgenommen ist, lassen nur so viel Öffnung zu, als zum
Atemholen nötig ist, und schwitzen so nach Herzenslust. Das mag nun
freilich nicht viel nützen, und ein vernünftiger Arzt wird es nicht groß
loben.
Wer das aber weiß, der wird nun
folgende wahre Erfahrungen nicht mehr so unglaublich finden. Vier
bekannte und berühmte Männer ließen einst ein kleines Zimmer so stark
erhitzen, als nur möglich war. Da kam die Hitze der Luft fast der Hitze
des kochenden Wassers gleich. Und doch hielten dieselben sie 10 Minuten
lang aus, wiewohl nicht ohne Beschwerden. Einer von ihnen trieb den
Versuch noch weiter. In einer Hitze, wo frische Eier in 10 Minuten in
der Luft hart gebacken wurden, hielt er 8 Minuten aus.
Das war nun freilich eine
gemachte künstliche Hitze. Aber auch in der Natur geht es manchen Orten
nicht viel besser. So weht bisweilen in heißen Gegenden auf einmal ein
so trockener und heißer Wind von den Sandwüsten her, daß die Blätter an
den Bäumen, wo er durchzieht, augenblicklich versengt werden und
abdorren. Menschen, die alsdann
im Freien sind, müssen sich freilich ohne Verzug mit dem Gesicht auf die
Erde niederlegen, damit sie nicht ersticken, und haben gleichwohl noch
viel dabei auszustehen. Selbst in geschlossenen Zimmern kann man sich
vor Mattigkeit fast nicht mehr bewegen. Aber gleichwohl übersteht man
es, wenn man vorsichtig ist und Erfahrungen benutzt.
Wenn man so etwas liest oder hört, so
lernt man doch zufrieden sein daheim, wenn sonst schon nicht alles ist,
wie man gerne mögte.
|