Der Husar in Neiße
(1809)
Als im Anfang der
französischen Revolution die Preußen mit den Franzosen Krieg führten, und durch
die Provinz Champagne zogen, dachten sie nicht daran, daß sich das Blättlein
wenden könnte, und daß der Franzos noch im Jahr 1806 nach Preußen kommen, und
den ungebetenen Besuch wettmachen werde. Denn nicht jeder führte sich auf, wie
es einem braven Soldaten in Feindesland wohl ansteht. Unter andern drang damals
ein brauner preußischer Husar, der ein böser Mensch war, in das Haus eines
friedlichen Mannes ein, nahm ihm all sein bares Geld, so viel war, und viel
Geldswert, zuletzt auch noch das schöne Bett mit nagelneuem Überzug, und
mißhandelte Mann und Frau. Ein Knabe von 8 Jahren bat ihn knieend, er möchte
doch seinen Eltern nur das Bett wiedergeben. Der Husar stoßt ihn unbarmherzig
von sich. Die Tochter lauft ihm nach, hält ihn am Dolman fest, und fleht um
Barmherzigkeit. Er nimmt sie, und wirft sie in den Sodbrunnen, so im Hofe steht,
und rettet seinen Raub. Nach Jahr und Tagen bekommt er seinen Abschied, setzt
sich in der Stadt Neiße in Schlesien, denkt nimmer daran, was er einmal verübt
hat, und meint, es sei schon lange Gras darüber gewachsen. Allein, was geschieht
im Jahr 1806? Die Franzosen rücken in Neiße ein; ein junger Sergeant wird abends
einquartiert bei einer braven Frau, die ihm wohl aufwartet. Der Sergeant ist
auch brav, führt sich ordentlich auf, und scheint guter Dinge zu sein. Den
andern Morgen kommt der Sergeant nicht zum Frühstück. Die Frau denkt: Er wird
noch schlafen, und stellt ihm den Kaffee ins Ofenrohr. Als er noch immer nicht
kommen wollte, ging sie endlich in das Stüblein hinauf, macht leise die Türe
auf, und will sehen, ob ihm etwas fehlt.
Da saß der junge Mann wach und aufgerichtet im Bette, hatte die Hände
ineinandergelegt, und seufzte, als wenn ihm ein groß Unglück begegnet wäre, oder
als wenn er das Heimweh hätte, oder so etwas, und sah nicht, daß jemand in der
Stube ist. Die Frau aber ging leise auf ihn zu, und fragte ihn: „Was ist Euch
begegnet, Herr Sergeant, und warum seid Ihr so traurig?" Da sah sie der Mann mit
einem Blick voll Tränen an, und sagte: die Überzüge dieses Bettes, in dem er
heute nacht geschlafen habe, haben vor 18 Jahren seinen Eltern in Champagne
angehört, die in der Plünderung alles verloren haben und zu armen Leuten
geworden sein, und jetzt denke er an alles, und sein Herz sei voll Tränen. Denn
er war der Sohn des geplünderten Mannes in Champagne, und kannte die Überzüge
noch, und die roten Namensbuchstaben, womit sie die Mutter gezeichnet hatte,
waren ja auch noch daran. Da erschrak die gute Frau, und sagte, daß sie dieses
Bettzeug von einem braunen Husaren gekauft habe, der noch hier in Neiße lebe,
und sie könne nichts dafür. Da stand der Franzose auf, und ließ sich in das Haus
des Husaren führen, und kannte ihn wieder.
„Denkt Ihr noch daran", sagte er zu dem Husaren, „wie Ihr vor 18 Jahren einem
unschuldigen Mann in Champagne Hab und Gut, und zuletzt auch noch das Bett aus
dem Hause getragen habt, und habt keine Barmherzigkeit gehabt, als Euch ein
achtjähriger Knabe um Schonung anflehte; und an meine Schwester?" Anfänglich
wollte der alte Sünder sich entschuldigen, es gehe bekanntlich im Krieg nicht
alles wie es soll, und was der eine liegenlasse, hole doch ein anderer; und
lieber nehme man's selber. Als er aber merkte, daß der Sergeant der nämliche
sei, dessen Eltern er geplündert und mißhandelt hatte; und als er ihn an seine
Schwester erinnerte, versagte ihm vor Gewissensangst und Schrecken die Stimme,
und er fiel vor dem Franzosen auf die zitternde Knie nieder, und konnte nichts
mehr herausbringen, als: „Pardon!" dachte aber: Es wird nicht viel helfen.
Der geneigte Leser denkt vielleicht auch: „Jetzt wird der Franzos den Husaren
zusammenhauen", und freut sich schon darauf. Allein das könnte mit der Wahrheit
nicht bestehen. Denn wenn das Herz bewegt ist, und vor Schmerz fast brechen
will, mag der Mensch keine Rache nehmen. Da ist ihm die Rache zu klein und
verächtlich, sondern er denkt: Wir sind in Gottes Hand, und will nicht Böses mit
Bösem vergelten. So dachte der Franzose auch, und sagte: „Daß du mich mißhandelt
hast, das verzeihe ich dir. Daß du meine Eltern mißhandelt und zu armen Leuten
gemacht hast, das werden dir meine Eltern verzeihen. Daß du meine Schwester in
den Brunnen geworfen hast, und ist nimmer davongekommen, das verzeihe dir Gott."
- Mit diesen Worten ging er fort, ohne dem Husaren das Geringste zuleide zu tun,
und es ward ihm in seinem Herzen wieder wohl. Dem Husaren aber war es nachher
zumut, als wenn er vor dem Jüngsten Gericht gestanden wäre, und hätte keinen
guten Bescheid bekommen. Denn er hatte von der Zeit an keine ruhige Stunde mehr,
und soll nach einem Vierteljahr gestorben sein.
Merke: Man muß in der Fremde nichts tun, worüber man sich daheim nicht darf
finden lassen.
Merke: Es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst. |