( 5.) Merkwürdiges
Rechnungsexempel
(1814)
Zwei
Schäfer auf dem Felde wollten miteinander ihr Abendessen verzehren, der
eine hatte fünf kleine Ziegenkäse, der andere drei. Kommt zu ihnen ein
dritter Mann von der Straße herüber. "Lasst mich mithalten für
Geld und gute Worte!" Also aßen sie selbdritt fünf und drei, sind
acht Käslein, jeder gleichviel. Hierauf dankt ihnen der Mann und schenkt
ihnen acht Dublonen.
Der eine wollte nach der Anzahl seiner Käse fünf davon behalten und dem
andern geben drei. Der andere sagte: "So der Herr hat uns das Geld
miteinander geschenkt, also gehörem jedem vier. Was deine fünf Stück
mehr wert sind, will ich dir herausbezahlen." Da sie nicht einig
werden konnten, brachten sie den Handel vor den Richter. Der geneigte
Leser sinnt nach: welchem von beiden hat der Richter recht gegeben?
Antwort: Keinem von beiden, sondern er sagt: "Demnach und wie ihr mir
beide vorgetragen habt, gehören dem ersten sieben Dublonen und dem andern
eine, und das von Rechts wegen. Punktum."
Man meint nicht, dass der Urteilsspruch richtig sei, aber es kann sich
nicht fehlen. Denn wenn man jedes Käslein in drei gleiche Teile
zerschneidet, soviel als Personen waren, so gaben dem ersten seine fünf Käslein
fünfzehn Stücke, dem andern seine drei gaben neun Stücke, zusammen
vierundzwanzig; davon bekam also ein jeder acht. Folglich bekam der dritte
Mann von den fünfzehn Stücken des ersten sieben. Von den neun Stücken
des andern aber bekam er nur noch eines. Sieben und eins tut acht. Also
gehörte auch dem ersten sieben Dublonen von Rechts wegen und dem andern
nur eine.
Der geneigte Leser wird ersucht, hieraus abzunehmen: erstlich, wie man
manchmal meinen kann, ein Richterspruch sei unrecht, weil man selber nicht
weiß, was recht ist; zweitens, wie misslich es sei, einen Prozess
anzufangen, so man auch glaubt, das augenscheinlichste Recht in den Händen
zu haben. |