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Hebel-Gedichte - hochdeutsche und englische Übersetzung
 

Gespenst an der
Kanderer Strasse

Gespenst an der
Kanderer Strasse

Ghost on the
Kanderer Street

 

 

 


's git Gspenster, sell isch us und isch verbey!
Gang nummen in der Nacht vo Chander hei',
und bring e Ruusch! De trifsch e Plätzli a,
und dört verirrsch. I setz e Büeßli dra.

Vor Ziten isch nit wit vo sellem Platz
e Hüsli gsi; e Frau, e Chind, e Chatz
hen g'othmet drinn. Der Ma het vorem Zelt
si Lebe g'lo im Heltelinger Feld.

Und wo sie hört: „Di Ma lit unterm Sand!"
se het me gmeint, sie stoß der Chopf an d'Wand.
Doch holt sie d'Pappe no vom Füür und blost,
und gits im Chind, und seit: „Du bisch mi Trost!"

Und 's wärs au gsi. Doch schlicht e mol mi Chind
zur Thüren us, und d'Muetter sizt und spinnt,
und meint, 's seig in der Chuchchi, rüeft und goht,
und sieht no iust, wie's uffem Fußweg stoht.

Und drüber lauft e Ma, voll Wi und Brenz,
vo Chander her ans Chind und überrennt's,
und bis sie 'm helfe will, sen ischs scho hi,
und rüehrt sie nit - e flösche Bueb ischs gsi.

Jez rüstet sie ne Grab im tiefe Wald,
und deckt ihr Chind, und seit: „I folg der bald!"
Sie sezt si nieder, hüetet's Grab und wacht,
und endli stirbt sie in der nünte Nacht.

Und so verwest der Lib in Luft und Wind.
Doch sizt der Geist no dort, und hüetet's Chind,
und hütigs Tags, de Trunkene zum Tort,
goht d'Chandrer Stroß verbey an selbem Ort.

Und schwankt vo Chander her e trunkne Ma,
se siehts der Geist si'm Gang vo witem a,
und führt en abwärts, seig er, wer er sey,
er loßt en um kei Pris am Grab verbey.

Er chunnt vom Weg, er trümmlet hüst und hott,
er bsinnt si: „Bini echterst, woni sott?"
Und luegt und lost, und mauet öbbe d'Chatz,
se meint er, 's chreih e Guhl an sellem Platz.

Er goht druf dar, und über Steg und Bruck
se maut sie eben all'wil witer z'ruck;
und wenn er meint, er seig iez bald dehei,
se stoht er wieder vor der Weserei.

Doch, wandle selli Stroß der nüchteri Lüt,
se seit der Geist: „Ihr thüent mi'm Büebli nüt!"
Er rührt si nit, er loßt sie ordeli
passieren ihres Wegs.
Verstöhntder mi?

 


Es gibt Gespenster, dies ist aus und ist vorbei!*
Geh nur in der Nacht von Kandern heim,
und bringe einen Rausch mit! Du triffst du ein Plätzchen an,
und dort verirrst du dich. Ich setze eine kleine Buße daran.**

Vor Zeiten ist nicht weit von diesem Platz
ein Häuschen gewesen; eine Frau, ein Kind, eine Katze
haben geatmet darin. Der Mann hat vor dem Zelt***
sein Leben gelassen im Heltelinger Feld.****

Und wo sie hört: "Dein Mann liegt unterm Sand!"
da hat man gemeint, sie stoße mit dem Kopf an die Wand.
Doch holt sie den Brei noch vom Feuer und bläst,
und gibts dem Kind, und sagt: "Du bist mein Trost!"

Und wäre es auch gewesen. Doch schleicht einmal mein Kind
zur Tür hinaus, und die Mutter sitzt und spinnt,
und meint, es sei in der Küche, ruft und geht,
und sieht noch gerade, wie es auf dem Fußweg steht.

Und darüber läuft ein Mann voll Wein und Branntwein,
von Kandern her ans Kind und überrennt es,
und bis sie ihm hekfen will, da ist es schon hin,
und rührt sich nicht - ein feister Bursche ist es gewesen.

Jetzt rüstet sie ein Grab im tiefen Wald,
und deckt ihr Kind, und sagt: "Ich folge dir bald!"
Sie setzt sich nieder und hütet das Grab und wacht,
und endlich stirbt sie in der neunten Nacht.

Und so verwest der Leib in Luft und Wind.
Doch sitzt der Geist noch dort und hütet das Kind,
und heutigen Tags, den Betrunkenen zum Schaden,
geht die Kanderer Straße vorbei am selben Ort.

Und schwankt von Kandern her ein betrunkener Mann,
so sieht es der Geist seinem Gang von weitem an,
und führt ihn abwärts, sei er wer er sei,
und lässt ihn um keinen Preis am Grab vorbei.

Er kommt vom Weg, er taumelt rechts und links,
er besinnt sich: "Bin ich in Echt, wo ich sollte?"
Und schaut und hört, und miaut etwa die Katze,
so meint er, es schreine ein Hahn an jenem Platz.

Er geht darauf dort, und über Steg und Brücke
so miaut sie eben alleweil weiter zurück;
und wenn er meint, er sei jetzt bald daheim,
so steht er wieder vor der Weserei.*****

Doch wandeln diese Strasse her nüchterne Leute,
so sagt der Geist: "Ihr tut meinem Bübchen nichts!"
Er rührt sich nicht, er lässt sie ordentlich
passieren ihres Weges. Versteht ihr mich?

 

 
There are ghosts, this is over and done with!
Just go home from Kandern in the night,
and bring an intoxication with you! You'll find a little place,
and there you'll get lost. I'll put a little penance on it.

Not long ago, not far from this place
a little house not far from this place; a woman, a child, a cat
breathed in it. The man has in front of the tent
lost his life in the Heltelingen Field.

And where she hears: ‘Your husband lies under the sand!’
She thought she was banging her head against the wall.
But she fetches the porridge from the fire and blows,
and gives it to the child and says: ‘You are my comfort!’

And would have been. But once my child sneaks
out of the door, and the mother sits and spins,
and thinks she is in the kitchen, calls and leaves,
and just sees her standing on the pavement.

And a man full of wine and brandy walks over it,
from Kandern to the child and runs him down,
and by the time she wants to help him, he's already gone,
and does not move - he was a feisty fellow.

Now she digs a grave in the deep forest,
and covers her child, and says: ‘I'll follow you soon!’
She sits down and tends the grave and keeps watch,
and finally she dies on the ninth night.

And so the body decays in the air and wind.
But the spirit still sits there and tends the child,
and today, to the drunken man's harm,
the Kanderer street passes by the same place.

And if a drunken man staggers from Kandern,
the spirit sees it in his gait from afar,
and leads him downwards, be he who he may,
and will not let him pass the grave at any price.

He goes astray, staggering left and right,
He thinks to himself: ‘Am I really where I should be?’
And he looks and listens, and the cat meows,
he thinks a cock is crying in that place.

He goes there, and over the footbridge and bridge
she meows back again and again;
and when he thinks he will soon be home,
he stands again before the Weserei.

But if sober people walk along this road,
the ghost says: ‘You won't hurt my little boy!’
He does not move, he lets them go on their way.
pass their way. Do you understand me?
 
     
 

 

 

Mögliche sinngemäßere Übersetzungen / Possible more analogous translations:

* dies ist aus und ist vorbei! > dies ist sicher und unbestreitbar > this is certain and indisputable
** I setz e Bueßli dra > Ich wette um ein Bußgeld (falls ich verliere) > I bet on a fine (in case I lose)

*** Der Ma het vorem Zelt > Der Mann hat vor dem Zelt > Der Mann hat (beim Militär) auf dem Schlachtfeld > The man has (in the military) on the battlefield
**** Heltelinger Feld > Gemarkung bei Haltingen (heute ein Vorort von Weil am Rhein) > District near Haltingen (today a suburb of Weil am Rhein)
***** Weserei > Bekanntes historisches Gasthaus in Kandern > Well-known historic inn in Kandern

       

Illustration: Sophie Reinhard

 
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Übersetzung in Hochdeutsch: Hansjürg Baumgartner

Übersetzung in Englisch: DeepL (free version)