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En alte Ma, en arme Ma,
er sprichtich um e Wohltat a!
e Stückli Brod ab euem Tisch,
wenns eue guete Willen isch!
He io, dur Gotts Wille!
In Sturm und Wetter, arm und bloß,
gibore bini uf der Stroß,
und uf der Stroß in Sturm und Wind
erzogen, arm, e Bettelchind.
Druf woni chräftig worde bi,
und d'Eltere sin gstorbe gsi,
se hani denkt: Saldate-Tod
isch besser, weder Bettelbrod.
I ha in schwarzer Wetternacht
vor Laudons Zelt und Fahne gwacht,
i bi bym Paschal Paoli
in Corsika Draguner gsi,
und gfochte hani, wie ne Ma,
un Bluet an Gurt und Säbel gha.
I bi vor menger Batterie,
i bi in zwenzig Schlachte gsi,
und ha mit Treu und Tapferkeit
dur Schwerdt un Chugle 's Lebe treit.
Z'letzt hen si mi mit lahmem Arm
ins Elend gschickt. Daß Gott erbarm!
He io, dur Gotts Wille!
"Chumm, arme Ma!
I gunn der's, wienis selber ha.
Un helf der Gott us diner Noth,
und tröst di, bis es besser goht."
Vergelts der Her, und dankder Gott,
du zarten Engel, wiiß und roth,
un geb der Gott e brave Ma! -
Was luegsch mi so biwegli a?
Hesch öbben au e Schatz im Zelt,
mit Schwert und Roß im wite Feld?
Biwahr di Gott vor Weh und Leid,
und geb dim Schatz e sicher Gleit,
und bring der bald e gsunde Ma!
's goht ziemli scharf vor Mantua.
's cha sy, i chönnt der Meldig ge. -
Was luegsch mi a, und wirsch wie Schnee?
Denkwol i henk mi Bettelgwand
mi falsche graue Bart an d'Wand? -
Jez bschau mi recht, und chennsch mi no?
Geb Gott, i seig Gottwilche do!
"Her Jesis, der Friedli, mi Friedli isch do!
Gottwilche, Gottwilche, wohl chenni di no!
Wohl het mi bigleitet di liebligi Gstalt,
uf duftige Matten, im schattige Wald.
Wohl het di bigleitet my b'chümmeret Herz
dur Schwerdter und Chugle mit Hoffnig und Schmerz,
und briegget und betet. Gott het mer willfahrt,
und het mer mi Friedli und het mer en gspart.
Wie chlopfts mer im Buese, wie bini so froh!
O Muetter, chumm weidli, mi Friedli isch do!" |
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Ein alter Mann, ein armer Mann,
Er spricht euch um eine Wohltat an!
ein Stückchen Brot ab eurem Tisch,
wenns euer guter Willen ist!
Na klar, durch Gottes Wille!
In Sturm und Wetter, arm und nackt,
geboren bin ich auf der Strasse,
und auf der Strasse in Sturm und Wind
erzogen, arm, ein Bettelkind.
Drauf wo ich kräftig geworden bin,
und die Eltern sind gestorben gewesen,
so habe ich gedacht: Soldaten-Tod
ist besser, wie das Bettelbrot.
Ich habe in schwarzer Wetternacht
vor Laudons Zelt und Fahne gewacht,
ich bin beim Pascal Paoli
in Korsika Dragoner gewesen,
und gefochten habe ich, wie ein Mann,
und Blut an Gurt und Säbel gehabt.
Ich bin vor mancher Batterie,
ich bin in zwanzig Schlachten gewesen,
und habe mit Treue und Tapferkeit
durch Schwert und Kugel das Leben getragen.
Zuletzt haben sie mich mit lahmem Arm
ins Elend geschickt. Dass Gott erbarme!
Na klar, durch Gottes Wille!
"Komm, armer Mann!
Ich gönne es dir, wie ich es selber habe.
Und helfe dir Gott aus deiner Not,
und tröste dich, bis es besser geht."
Vergelte es der Herr, und danke dir Gott,
du zarter Engel, weiß und rot,
und gebe dir Gott einen braven Mann!
Was schaust du mich so bewegt an?
Hast du etwa auch einen Schatz im Zelt,
mit Schwert und Ross im weiten Feld?
Bewahre dich Gott vor Weh und Leid,
und gebe deinem Schatz ein sicheres Geleit,
und bringe dir bald einen gesunden Mann!
Es geht ziemlich scharf vor Mantua.
Es kann sein, ich könnte dir Meldung geben. -
Was schaust du mich an und wirst wie Schnee?
Denkst wohl ich hinge mein Bettelgewand
mit falschem grauen Bart an die Wand? -
Jetzt beschaue mich recht, und kennst mich noch?
Gebe Gott, ich sei willkommen hier.
"Herr Jesus, der Friedolin, mein Friedolin ist hier!
Willkommen, willkommen, wohl kenn ich dich noch!
Wohl hat mich begleitet deine liebliche Gestalt,
auf duftigen Matten, im schattigen Wald.
Wohl hat dich begleitet mein bekümmertes Herz
durch Schwert und Kugel mit Hoffnung und Schmerz,
und geweint und gebetet. Gott hat meinen Wunsch erfüllt,
und hat mir mein Friedolin und hat mir ihn gespart.
Wie klopft es mir im Busen, wie bin ich so froh!
O Mutter, komm schnell, mein Friedolin ist hier!"
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An old man, a poor man,
He asks you for a favor!
a piece of bread from your table,
if it is your good will!
Of course, by the will of God!
In storm and weather, poor and naked,
I was born on the street,
and on the street in storm and wind
brought up, poor, a beggar's child.
When I have become strong,
and my parents had died,
I thought: a soldier-death
is better than beggar's bread.
I have in black weather night
guarded in front of Laudon's tent and flag,
I have been at the Pascal Paoli
in Corsica dragoon,
and I have fought, like a man,
and had blood on my belt and sabre.
I have been in front of many a battery,
I have been in twenty battles,
and have with fidelity and valor
borne through sword and bullet the life.
At last they sent me with a lame arm
to misery. May God have mercy!
Of course, by the will of God!
“Come, poor man!
I begrudge you as I have it myself.
And God help you out of your misery,
And comfort thee until thou art better.”
May the Lord repay you, and thank you God,
you tender angel, white and red,
and may God give you a good man!
Why do you look at me so emotional?
Have you also a treasure in your tent?
with sword and steed in the wide field?
May God protect you from pain and suffering,
and give your treasure a safe escort,
and bring you a healthy man soon!
Things are pretty hot outside Mantua.
It may be, I could give you news. -
Why do you look at me and become like snow?
Do you think I hang my beggar's robe
with a false gray beard on the wall? -
Now take a good look at me, and do you still know me?
God grant, that I may be welcome here.
“Lord Jesus, the Friedolin, my Friedolin is here!
Welcome, welcome, I still know you!
Your lovely figure has accompanied me,
on fragrant meadows, in the shady forest.
My troubled heart has accompanied you
through sword and bullet with hope and pain,
and wept and prayed. God has fulfilled my wish,
and gave me my Friedolin and saved it for me.
How my bosom throbs, how glad I am!
O mother, come quickly, my Friedolin is here!”
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In der Vergangenheit wurde wenig oder nicht
realisiert, was diese kurze Gedicht für ein hochkomplexes
literarisches Konstrukt ist. Es zeigt Hebel in all seinen
dichterischen, vor allem aber kommunikativen Fähigkeiten. Zudem
weist das Gedicht eine gemischte mehrfache monologische und
dialogische Struktur auf, die anscheinend ohne Vorlage aus dem
Nichts entstanden ist.
Das Gedicht beginnt mit einer leicht distanzierten Feststellung des
Ich-Erzählers (dass es sich um eine bestimmte weibliche Person
handelt, erfährt man erst später) und wechselt nach dem 1. Vers
sofort die Perspektive in eine rhetorische Frage an den Rezipienten,
ohne dass dies durch ein Fragezeichen kenntlich gemacht wird:
eigentlich sollte man erwarten, dass Hebel schreibt: 'sprichtmich'
(= speaks to me), er aber verwendet 'sprichtich' (speaks to you),
was den Rezipienten unwillkürlich in eine identifizierende Position
mit dem Ich-Erzähler hineinzieht (denke bitte darüber nach). Nach
der Ausformulierung der Bitte im 3. und 4. Vers folgt aber sogleich
eine leichte (auch leicht abwertende) innere Distanzierung 'He jo' =
Na klar (of course) im Sinne von 'Ja, ja, das kennen wir doch schon,
immer das Gleiche mit der Bettelei’.
Nun wechselt die Perspektive zum Bettler, der zunächst seine
Abstammung und sein Schicksal beschreibt sowie seine Überlegung, die
ihn dazu gebracht hat Soldat zu werden. Hier verarbeitet Hebel
Motive (aber nicht unbedingt biographische Tatsachen) aus der
Lebensgeschichte seines Vaters Johann Jakob, der als Diener und
Offiziersbursche des Basler Majors J. J. Iselin-Ryhiner diesen auf
den Kriegszügen seines Regimentes als Dragoner u. a. nach Flandern,
an den Niederrhein und insbesondere nach Korsika begleitete. Dort
standen sie in den Diensten des Pasquale Paoli, einem korsischen
Revolutionär und Widerstandskämpfer. Sein Vater hatte das Glück, die
Kriegszüge zu überstehen und kehrte unversehrt nach Basel zurück.
Nun wechselt die Perspektive erneut, aber diesmal wird sie in Form
einer wörtlichen Rede dargestellt, die nun schon wesentlich
empathischer auf die Person des Bettlers eingeht. Danach kehrt die
Darstellung wieder zu dem vermeintlichen Bettler zurück. Es wird
persönlicher und es wird plötzlich deutlich, dass es sich bei dem
Ich-Erzähler um eine junge Frau handeln muss, deren ‚Schatz’
(Geliebter) offensichtlich das Soldatenschicksal mit dem Bettler
teilt. Am Ende offenbart sich der Sprechende als eben dieser
‚Schatz’, nachdem er sich durch vorsichtiges Herantasten versichert
hat, immer noch willkommen zu sein. Nun offenbart die junge Frau
ihre Gefühle, ihre Liebe während der Zeit seiner Abwesenheit, ihre
Ängste und insbesondere die überbordende Freude über das nach Hause
kommen ihres geliebten 'Friedli' (= Fridolin).
Es ist bemerkenswert, wie Hebel den Spannungsbogen des Gedichtes,
die emotionale Intensität und das sprachliche Niveau in gleichem
Maße bis zu dem Höhepunkt in den letzten 2 Versen zu steigern
vermag. Mit diesem Gedicht erreicht er m. E. nahezu den Höhepunkt
seiner poetischen und kommunikativen Fähigkeiten und beweist
gleichzeitig, dass dies ohne Kitsch und falsches Pathos erreicht
werden kann. Bestechend finde ich auch, dass er sowohl innere als
auch äußere Monologe und Dialoge einsetzt und souverän beherrscht.
Weitere im Gedicht angesprochene militärische
Personen und Ereignisse:
- Laudon: Gideon Ernst Freiherr von Laudon (1716 - 90),
österreichischer Feldmarschall. Am Oberrhein bekannt durch seine
Teilnahme am österreichischen Erbfolgekrieg 1743/44. Am populärsten
wurde Laudon durch die Eroberung Belgrads 1789.
- Mantua: Die Belagerung Mantuas durch die Franzosen 1796/97. Unter
den Fahnen der in der Minciofestung eingeschlossenen Österreicher
kämpften auch zahlreiche Oberländer.
Aus den Jahreszahlen ergibt sich, dass Major Iselin-Ryhiner und
Hebels Vater selbst weder unter Laudon noch vor Mantua gedient haben
können. |
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In the past, little or no
one realized what a highly complex literary construct this short
poem is. It shows Hebel in all his poetic and, above all,
communicative abilities. In addition, the poem has a mixed, multiple
monologue and dialogic structure, which seems to have been created
from nothing without a model.
The poem begins with a slightly distanced statement by the
first-person narrator (we only find out later that it is a specific
female person) and immediately changes perspective after the first
verse to a rhetorical question to the recipient, without this being
indicated by a question mark: we should actually expect Hebel to
write: 'sprichtmich' (= speaks to me), but he uses 'sprichtich'
(speaks to you), which involuntarily draws the recipient into an
identifying position with the first-person narrator (please think
about it). The formulation of the request in the 3rd and 4th verses
is immediately followed by a slight (also slightly pejorative)
internal distancing 'He jo' = Na klar = of course, in the sense of
'Yes, yes, we've heard it before, always the same with the begging'.
The perspective now shifts to the beggar, who first describes his
origins and his fate, as well as the reasoning that led him to
become a soldier. Hebel uses motifs (but not necessarily
biographical facts) from the life story of his father Johann Jakob,
who, as a servant and officer's boy of the Basel Major J. J. Iselin-Ryhiner,
accompanied him on the military campaigns of his regiment as a
dragoon to Flanders, the Lower Rhine and, in particular, Corsica.
There they were in the service of Pasquale Paoli, a Corsican
revolutionary and resistance fighter. His father was lucky enough to
survive the war and returned to Basel unharmed.
Now the perspective changes again, but this time it is presented in
the form of verbatim speech, which is now much more empathetic to
the beggar's character. After this, the portrayal returns to the
supposed beggar. It becomes more personal and it suddenly becomes
clear that the first-person narrator must be a young woman whose
‘sweetheart’ (lover) obviously shares the fate of the soldier with
the beggar. In the end, the speaker reveals himself as this very
‘treasure’, after he has assured himself that he is still welcome by
cautiously approaching him. Now the young woman reveals her feelings
during his absence, her fears and especially her love and the
exuberant joy of seeing her beloved
'Friedli'
(= Fridolin)
come home.
It is remarkable how Hebel is able to heighten the poem's tension,
emotional intensity and linguistic level to the same degree until
the climax in the last two verses. In my opinion, he almost reaches
the peak of his poetic and communicative abilities with this poem
and at the same time proves that this can be achieved without kitsch
and false pathos. I also find it impressive that he uses both inner
and outer monologues and dialogues and masters
them
with confidence.
Other military persons and
events mentioned in the poem:
- Laudon: Gideon Ernst Freiherr von Laudon (1716 - 90), Austrian
field marshal. Known on the Upper Rhine for his participation in the
Austrian War of Succession in 1743/44, Laudon became most popular
through the conquest of Belgrade in 1789.
- Mantua: The siege of Mantua by the French in 1796/97. Numerous
Oberlanders also fought under the flags of the Austrians trapped in
the Mincio fortress.
The dates indicate that Major Iselin-Ryhiner and Hebel's father
could not have served under Laudon or in front of Mantua. |
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