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AN CHRISTIAN THEODOR WOLF

   

Ich umarme Sie, verehrtester Herr Kirchenrath, und schäme mich. Sie wissen, warum. Sie schrieben mir vor einem Jahr und so verbindlich, Ihr Schreiben athmete so viel Edelsinn und Freundschaft, und that mir so wohl, daß es sich unmöglich unter iene ältere Bedingung oder gegenseitige Vergünstigung unsers Briefwechsels qualificirte, sondern, durch seine eigene Weihe eximirt, auf eine baldige Antwort Anspruch hatte, und doch — ein Jahr!

Sie sind nach meiner Schätzung zu gut, als daß Sie an sich selber wissen könnten, wie man zu solchen Verschuldungen wohl kommen kann, aber, wie ich sehe, auch zu gut, als daß Sie nicht selbst solche Verschuldungen, über die Sie erhaben sind, verzeihen könnten. Die Saumseligkeit der ersten Wochen will und weiß ich nicht zu entschuldigen, in der Folge diente mir die Aussicht zu einer kleinen Reise, bey der ich mir die Hofnung machte, Sie persönlich zu sehen und um Verzeihung zu bitten, wie manchem das Verdienst Christi, zur Beharrung in der Sünde, und als mir mit dieser Aussicht auch diese Hofnung verschimmerte, wie da? Crescit quotidie pudor.

Empfangen Sie also meinen zwiefachen herzlichen Dank für Ihre neue freundschaftliche Zuschrift, die mir die Absolution selber entgegen bringt, und glauben Sie mir, daß ich diesen Beweis Ihres Zutrauens und Ihrer fortdauernden Freundschaft ganz zu schätzen weiß.

Gleichwohl muß ich Sie bitten, dieses Schreiben einsweilen nur als Empfangsschein für das Ueberschickte anzunehmen. So sehr ich mich freue, die so interessant gewordenen Verhandlungen über unsern Gegenstand wieder im Gang zu sehen, so bin ich doch in dem Fall, Ihre Erlaubnis benuzen zu müssen, meine Antworten auf Ihren gehaltvollen Brief und meine Bemerkungen zu dem überschickten Theil Ihrer schönen Abhandlung auf Augenblicke freierer Muße zu versparen. Ich werde nicht zögern, aber was werd ich Ihnen auf Ihre durchgedachten Gründe und Einwendungen zu entgegnen wissen? Um Ihnen einsweilen etwas mehr als einen bloßen Brief schicken zu können, lege ich die neue Instruktion für unser Consistorium bey. Da Sie selbst Mitglied eines solchen Collegii sind, so ist es Ihnen vielleicht nicht uninteressant, sie kennen zu lernen. Sie hat den Geh. R. Brauer zum Verfasser. Finden Sie Gefallen daran, so kann ich Ihnen mehrere neue Verordnungen in kirchlichen Angelegenheiten, meist von dieses Mannes Feder, zusenden. Bald wird unser Vaterland auch neue, oder wenigstens veränderte K[irchen]Agenden bekommen, woran ich die Formulare für Betstunden und Wochenpredigten, die monatlichen und den allgemeinen Büß- und Bettag, Beicht und Nachtmahl zu bearbeiten habe. Soll ich den Vorschlag thun, die Hostie einzutauchen? ? Viel wird beim ganzen nicht herauskommen, doch etwas. Das Konsi[storium] stellt masgebende Principien auf. Das alte soll so viel als möglich geschont und beibehalten werden. Der Marggrav, der die ganze Aenderung nicht gerne sieht, empfielt bei ieder Gelegenheit treue Gewahrsame des alten Glaubens, bei dem der gute Greis ein frommes und unter allen äußern Stürmen ein innerlich frohes Menschenalter durchlebt hat. Da soll also alter Most in neue Schläuche gefaßt werden.

Das Konsist[orium] hat meinen bisherigen Titel mit dem eines Professors vertauscht, ich weiß nicht warum. Der alte gefiel mir besser. Am besten ists, daß es nur Namen sind. An der Sache hat sich soviel geändert, daß ich gegen Befreiung von einigen geringeren Klassengeschäften die hebraeischen Lektionen und die Dogmatik bey den Studenten des Gymn[asiums] vorzutragen habe. Lezteres nicht zu meinem sonderlichen Dank.

Ob Sie mir gleich von dem armen Wirths nur eine neue Thorheit melden konnten, so danke ich Ihnen doch auch für diese Nachricht, weil ich schon lange gar keine mehr von ihm hatte. Den letzten Brief schrieb er mir noch von Dreieichenhain, in welchem er mir meldete, daß er Hofnung habe, durch Ihre gute Verwendung in Weinheini angestellt zu werden. Seinen Schritt weiß ich mir wohl zu erklären. Ich interessirte mich seit 1778 für ihn, und habe ihn, weil ich etwas über ihn vermochte, mehrmals, auch noch in spätem Zeiten, von dem Entschluß in die Welt auszulaufen, abgehalten. Einmal war er mir doch nach London entwischt, wo er den Grund zu seinem Unglück legte, und schrieb mir vielleicht von seinem letzten Vorhaben absichtlich nichts.

Leben Sie gesund und vergnügt, bester Herr Kirchenrath, und gönnen Sie Ihre fernere Freundschaft

Ihrem aufrichtig ergebensten Freund     Hebel             

CR., d. 1ten Nov. 1798.

 

 

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