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AN MICHAEL FRIEDRICH WILD

   

Verehrtester Herr Rath!                                          Karlsruhe, den 27. Febr. 1803

Ich bin beschämt, den ersten Brief von Ihnen zu erhalten, den ich Ihnen schuldig war. Ihre Güte hat die allemannischen Lieder mit einer Auszeichnung geziert, und es freute mich besonders, daß iene liebliche und mit so vielem Beyfall aufgenommene Melodie einem Gedicht zutheil wurde, für welches ich selber eine eigene Vorliebe habe. Empfangen Sie dafür meinen verbindlichsten Dank.

Die gütige Aufnahme, welche die Gedichte selbst bey Ihnen gefunden haben, ist mir ausnehmend schätzbar. Wie sehr bin ich durch diese Aufmerksamkeit verehrungswerther Personen, durch ihre Zufridenheit und durch die Versicherung, daß meine Versuche auch bey dem Volke Sinn finden und etwas Gutes bewirken werden, geehrt und belohnt. Indessen erkenne ich, nicht alles, was mir das Wohlwollen zu einigem Verdienste anrechnet, unbedingt dafür nehmen zu dürfen. Der glückliche Einfall, eine edlere Dichtung in dieser ungewöhnlichen Manier zu versuchen, war wohl das meiste. Aber nach meinem Gefühl hat die einfache, zwar arme und verwahrloste, aber an sich nicht undichterische und dem Freund des Oberlandes liebliche Sprachweise, die mir durch Erziehung, Umgang und freiwillige Uebung fast mehr als die hochdeutsche zur natürlichen wurde, meistens das Gefällige und angenehm Überraschende auf ihrer Rechnung, was auf die meinige zu kommen scheint. Sehr Vieles durfte in der etwas gesichteten und geschmeidigten Sprache des Oberländers fast nur so hingestellt werden, wie er es mit seinen Organen ansieht und auffaßt, um naiv und originell gesagt zu scheinen. Sehr richtig finde ich Ihren Tadel wegen des Fluches. Der geflügelte daktylische Hexameter, in den er sich selber so ungezwungen formirte, war meine Versuchung. Ich glaubte, den rohen, empörten Menschen schon so etwas mit Entschuldigung dürfen sagen zu lassen. Aber freilich hätte, was er sagen durfte, wenigstens der Vater in der Nacherzehlung unterdrücken sollen, und ich fühlte die Warheit Ihrer Bemerkung ganz in einer Verlegenheit, in die ich über diesen Vers bey dem Vorlesen in einem Cirkel gebildeter Menschen kam.

Ich freue mich der angenehmen Hofnung, die Sie mir machen, vielleicht auch noch „Marktweiber" durch eine Melodie verschönt zu sehen. Aber für schwer halte ich es allerdings auch, durch die Musik den Wechsel der Rede auszudrücken. Denn es ist schon ein Fehler des Liedes selber, daß die Personen des Dialogs durch den Marktruf nicht sicher genug bezeichnet sind, und keine Eigenheit des Charakters haben oder bewahren. Ich hatte wohl die Idee dazu, finde aber ihre Ausführung wegen dem Zwange des iedesmal bindenden Reims zu schwer. Aber, wie ermüde ich Sie?

Gönnen Sie mir, verehrtester Herr Rath, Ihre fernere Gewogenheit, deren Besitz ich mir zu großem Gewinn rechne, und empfangen Sie die Versicherung meiner reinen Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu seyn Ihr gehorsamster und ergebenster Diener

J. P. Hebel             

 

 

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iene liebliche...Melodie: die zunächst anonyme Vertonung
 des Hebelschen „Morgensterns", zu der sich Wild erst nach
dem Erscheinen der Alemannischen Gedichte bekannte.
Tadel wegen des Fluches: Hier bandelt es sich um
zwei Stellen in dem Gedicht „Der Karfunkel":
 „Soll mi der Teufel hole, sobald i eine me a'riihr!"
und „Di soll der Dunder und 's Wetter in Erdboden
 abe verschlage!".

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