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AN UNBEKANNT

 

 

 










Hochwohlgebohrener

     Hochverehrtester Herr !



In einigem Gedräng u. Geschäft erlau-

be ich mir ein Paar Blätter Ihrer Zu-

sendung noch um einen Posttag zu
 
rück zu behalten , u. schicke Ihnen eins-
 
weilen nebst dem werthvollen Weih-
 
gedicht nur dasienige zurück , wel-
 
ches zu nächst an den Druck komt
 
u. worüber Se eine Sinerklärung
 
wünschen.
 
In der Gegend , in welcher die
all. Gedichte sich bewegen , hält man
  
 
die sogenanten Irrlichter ( Frauen u.
 
Mäner ) für Geister von Gewissen-
 
losen , die bei Lebzeiten Gränz-
 
oder Marchsteine verrückt ha-
ben , daher der Name " Mar-
 
 
cher ". Der Aberglaube sagt
uns folgendes hierzu : Wen
  
einer betet so komen sie , wen
 
einer flucht, so fliehen sie , wen
 
einer ihnen folgt, so geräth er
  
in einen Sumpf . Diese Erscheinung
   
hat wohl , wie weit sie wahr ist ,
   
Ihre ,  ihren ph
ÿsischen Grund. Ich    
erinere mich aber aus den Jah-
   
ren in welchen s
ich selbst noch an    
   

 










Gespenster glaubte , wie schmerzlich
 
es mir war, zu hören , daß  xxx          
 
Nähe das Fluchen nächtlicher xxx
 
das Beten seÿ , daher nun folgen-
 
de Modifikation der Mÿthen .
 
Die feurigen Marcher existiren.
 
Aber sie stehen unter der Botßig-
 
keit der Engel , die in den Näch-
 
ten Geschäfte auf der Erde verrich-
 
ten . Die f. Männer müßen als                                                 f. = feurigen
 
da
n den E. vorangehen , nun ih-                                             E. = Engeln
 
nen durch den Schein ihrer bren-

nenden Körper zu leuchten. (Vergl.               

das Gedicht: Der Dengelegeist )

Daher nähern sie sich den Be-

tenden u. fliehen vor den

Fluchenden , nicht sie , sondern

die E.   We
n man aber seines                                                  E. = Engel

unbefangenen Ganges ihnen


| zu nahe komt , so weichen sie         | nemli* den E              E. = Engeln

aus , wie Leute , die etwas
 
Geheimes mit einander zu
 
besprechen oder zu Verrichten
haben . Hat man nun nicht
   
 
Anständigkeitssi
n genug , sie
 
gehen zu lassen , sondern ver-
     











 
folgt sie , wie zudringliche oder
 
Vorwitzige zu thun pflegen ,
 
so sinkt man zu lezt in eine
 
Pfütze . Hiernach die Moral

die sich nun von selbst ver-

steht.

Da Euer x einige andere                                                    x = ?

Stücke nicht aufnehmen, so

möchte ich vorschlagen auch

dieses auszuschließen , theils
 
weil ich es nicht zu meinen
 
gelungensten rechne, theils eben
 
weil es für das größere
 
Publikum einer Erklärung
 
bedarf. Ich hatte bei der erst-
 
Auflage nur meine Lands-
 
leute im Auge , u. gestehe,
 
daß ich dieses Gedicht kaum

würde aufgenommen haben
 
( einige andere ebenfalls
nicht ) we
n ich die große   
Aufmerksamkeit u. Theil-
  
 
nahme hätte erwarten kön-
 
nen, womit diese Samlung

geehrt wurde.

     Mit vorzüglicher Hochachtung

C. R. 14. Nov.
 
      1822            hochdero
 
                            ergebenster Dr.
 
                                  Hebel
   

 

Dieser Brief bezieht sich eindeutig auf die "Die Irrlichter" - Hebel beschreibt darin, gut 20 Jahre nach der
Entstehung seines allemannischen Gedichtes den lokalen Sagenhintergrund, ein einmaliger Vorgang in
seiner gesamten schriftstellerische Tätigkeit.
Warum sich er sich aber quasi von dem Gedicht distanziert und welches er ebenfalls eigentlich aus dem Kanon
entfernt haben wollte, ist unklar, es gibt in anderen Briefen und Texten keine weiteren Aussagen von ihm dazu.

Der Adressat ist unbekannt, da ein Umschlag fehlt. Denkbar ist einerseits, dass der Brief an Zschokke ging,
da ab 1820 in seinem Verlag Sauerländer die 5. Auflage gedruckt und aufgrund der hohen Nachfrage mehrere
zusätzliche Auflagen, zumindest in den Jahren 1821, 22, 23 und 26, nachgedruckt werden mussten,
oder er war an einen anderen Verleger gerichtet, der nur eine Auswahl der Gedichte veröffentlichen wollte
und bei Hebel nach einer Interpretation der "Irrlichter" angefragt hatte.

Weitere Hinweise gibt es nicht, auch ist eine gekürzte - autorisierte - Ausgabe der Al. Ged. um diese Zeit
nicht bekannt.

 

 

 

Auf der 2. Seite fehlen rechts ausgerissene Teile -
die mit rot  markierten Buchstaben sind vermutbare Ergänzungen,
die mit xxx markierten nicht zu erschließen.

* nemli = nemlich (nämlich)

Konsonantenverdoppelungen schreibt Hebel mit Reduplikationsstrich:
m
 = mm ; n = nn;
das y mit Überpunkt wie i und j, geht in 'Verdana' nicht, deshalb
hier als ÿ dargestellt

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Stadt- und Landesbibliothek Dortmund
Westfälisches Handschriftenarchiv
Nelly Sachs Archiv
Signatur: Atg. 8630
 

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