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AN SOPHIE HAUFE

   

Theuerste Freundinn!

Alle Ihre lieben Briefe gewähren mir köstlichen Genuß, und wenn noch etwas äußeres und zufälliges ihren Werth für mich erhöhen kann, so ist es das, daß es seit langer Zeit wenigstens, — keine Antworten sind —, sondern freie unveranlaßte Mittheilungen der Freundschaft, der Liebe, dankenswerthe Zeugnisse des unverwirrbaren Vertrauens zu dem fast stumm gewordenen Gemüth, in, welches Sie dieselben niederlegen. Ich sage dieses deswegen von allen, weil ich es von dem lezten, den Sie mir schrieben, besonders sagen muß, wie eben immer vom lezten, und weil ich doch schon bisweilen an die Möglichkeit gedacht habe, daß zulezt das Beispiel wirken könnte, nemlich, daß Sie zwar auch fortfahren könnten beide mich zu lieben, wie ich Sie liebe, aber daß Sie mir doch zulezt noch Gelegenheit könnten geben wollen, meine Selbstkenntniß ein wenig zu vermehren, nemlich ob ich auch im Stande sey, so gläubig an Ihre schweigende Liebe zu bleiben, wie Sie an die meinige. Doch daran denke ich nicht gerne, also nun etwas anderes, wie wohl ich noch nicht von Ihrem Briefe weg, sondern eigentlich erst in ihn hineinkomme. Es schmerzte mich in diesem Spiegel Ihres heiteren frommen Gemüthes ein paar Wölklein ziehen zu sehen. Solch ein Gemüth sollte immer heiter seyn können, nur sanft bewegt, von Zeit zu Zeit nur von einem Sonnenregen befeuchtet, wie uns der Herrenhuter in seinen Liedern schön sagt, die mir nun lieber sind, seit dem Sie sie auch kennen. Sie haben schon viele schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Aber auch diese haben das gute, eben daß sie Erfahrungen sind, das heißt Lehrerinnen. Wir sind noch immer in der lieben Schule. Ich will einmal, wenigstens als Ihr älterer Mitschüler ihr Dollmetscher seyn. Fahren Sie fort mit Wohlwollen und Liebe zu umfassen, was Sie erreichen können, Frieden, Freude, Liebe, wie einen Lichtglanz um sich zu verbreiten, aber fangen Sie an gefaßt zu seyn zum Voraus auf fehlgeschlagene Hoffnungen, nicht zu viel von der Welt zu verlangen, die so wenig hat, glücklich genug zu seyn in der Gegenliebe deren, die Sie Ihrer Liebe werth gefunden haben. Ihnen dürfen wir so etwas zumuthen nemlich die Erfahrungen und ich. Schonen Sie Ihre Gesundheit, an der sich Ihr Gatte und Ihre Kinder sonnen — ich auch. Es ist unvermeidlich, aber darum nicht die glücklichste Operation, daß der Mensch sein untheilbarstes, sein Ich in zwei Theile Seele und Leib oder Geist und Körper getheilt hat, die doch irgendwo, ich weiß nicht wo eins sind, und erst am Ende sich in zwei scheiden, wie reife Frucht und ausgetrocknete Schale. Sie bedürfen stärkende Lektüre. Ich empfehle Ihnen Geschichte.

Ich muß zum Ende eilen. Meine Zeit ist beengt, wie der Papirraum den ich noch vor mir habe. Er kommt mir vor, wie ein abnehmender Tag. Die erste Kammer hat mir die seltsame Ehre erwiesen, mich noch in den lezten Tagen zu ihrem Sekretär zu erwählen. Einmal war ich einstimmig zum Vice Präsidenten vorgeschlagen. Morgen wäre der Landtag geschlossen. Man harrt heute noch ängstlich auf einige Verlängerung. Gestern war eine Deputation der catholischen Gemeinde Steinegg in der Audienz, die mit Mann und Maus protestantisch werden will!

Lassen Sie mich bald etwas von sich wissen, etwas liebes, erfreuliches.

Herzlich Ihr Fr.      Hbl.         

30. Jen[ner 1823].

 

 

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der Herrenhuter: Nikolaus Ludwig Graf von
Zinzendorf (1700—1760), Verfasser der
„Geist- und lieblichen Lieder", aus denen das
Herrenhuter Brüdergesangbuch (1735) geworden ist.
Steinegg: südlich von Pforzheim im Würmtal gelegenes
Dorf. Am 6. April 1823 hatte hier der Übertritt des
katholischen Pfarrers Aloys Henhöfer zur evangelischen
Kirche stattgefunden, worauf die Gemeinde sich
zum gleichen Schritt bereit erklärte.

 

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