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AN SOPHIE UND GOTTFRIED HAUFE

   

Großkarlsruh 24. Merz [18]12    

Die Gewächslein werden angekommen sein. Hier schicke ich auch das Brieflein dazu nach. Damit aber nicht die Frau meint, ich schreibe an den Mann und der Mann meint ich schreibe an die Frau, und niemand weiß, wer mir antworten soll, nein ich schreibe an Beyde, und zum ersten mal auch an unser Töchterlein, wenn es anders Zeit hat an sich schreiben zu lassen vor entsetzlich vielen Geschäften, so daß es oft gar nicht weiß wo ihm der Kopf steht.

Es drückte mich den ganzen Winter, daß ich euch so lange eine Antwort schuldig sey. Da machte mich Herr Münz, statt mich zu trösten noch unruhiger, indem er mir sagte, dem sey gar nicht also, sondern ich hätte eine Antwort bey euch zu gut. So? dachte ich, denen pressirts nicht! Wenn es ihnen wäre wie mir, so schrieben sie. — Nicht wahr ich habe sehr billige Sentiments? Drum halt ich nichts auf eine Freundschaft, die nicht unbillig seyn kann. Liebe darf so gar ungerecht werden, im höchsten Grade ist sie so gar grausam, z. B. bey dem gegenseitig begangenen Selbstmord in Berlin, nach einem Berner Blatt.

Es ist mir sehr lieb, daß ihr so viel Geschäfte habt, erstlich um der Geschäfte willen, zweitens damit ihr es auch erklären könnt, wie man dazu kommt, sich in seiner Correspondenz auf die Geschwindschreiberey, nemlich auf die unsichtbare Gedankenschrift zu legen, in der ich so oft an euch schreibe, und wie ich hoffe auch richtige Antwort bekomme.

Ich habe schon oft gedacht, da man Copir- Schach- und Gebettsmaschinen hat, ia Claviere, die die gespielten Phantasien selber auf Noten setzen, Reisewagen, die den zurückgelegten Weg nach Meilen und Toisen anzeigen, ia Nachtmützen, in welchen sich die Träume abkopiren, so daß man sie früh nur letz machen darf, ob sich nicht eine Maschine erfinden ließe, die unter dem Hut alles nachschriebe, was man denkt. Vielleicht ist man nahe an der Entdeckung, da es schon Gedankendruck gibt und Gefühlspressen, auch radirte Herzblätter, ia ganze Herzen in schwarzer Manier.

Wenn ich nicht gewohnt wäre, mir selber nie Wort zu halten, so säße ich iezt bey euch, und den biedern Seelen im Aßmanshauser Hof, nicht bei mir. Zwar kann ich mich bei mir selber durch Geschäfte entschuldigen, daß ich mir den lieblichen Herzensgenuß versage, aber gegen euch will ich aufrichtig seyn, und gestehen, daß noch etwas in der Wagschale zog, erstlich die Behaglichkeit daheim, die immer stärker wird. Es ist nicht gut, wenn man durch das Geschäft so abgestumpft und abgestimmt werden kann, daß man die Ruhe daheim der Erholung draußen, und wo — in Klein Straßburg — vorziehn kann. Zweitens meine um wuchernde Bekanntschaft in und um Straßburg, die mir viel verderbt. O, der seligen Tage, wo ich bey euch und unsern Freunden fühlte, wie sich die übrige Welt von mir abscheelte, wo der ganze Aequator mir vom Calenderthurn bis zum Judenthor gieng, wo meine Wendekreise N. 115 auf dem Fischmarkt und Nro. 5? hinter den Mauern, die Rupprechtsau mein Amerika ienseits des Wassers war, von Mittelhausbergen nichts zu sagen, wo wir auch nie waren, aber in Gravenstaden und in Itenheim. Gleichsam als in 2 fremden Planeten. Aber im Sommer kann ich doch warhaftig nirgends hingehn, als ins Oberland über Straßburg, oder nach Straßburg.

Ich wäre gottlob gesund, ausgenommen, daß mir die Zauberinn Medea von Petersburg heraus ein Zugpflaster auf mein armes vernarbtes Herz geschickt hat. Ich bin aber selber dran schuld. Ich schrieb einmal auf ein Blatt Briefpapir: „Petersburg d . . . Lieber Herr Kirchenrath!" und schob es unter ihre Papire. Vielleicht findet sie's irgend einmal, dachte ich, und lacht, aber ich hatte es schon lange wieder vergeßen. Dieses Blättlein hat sie wirklich aus P. über und über beschrieben wieder zugeschickt.

Allhier schick ich auch das Verzeichniß der Pflänzlein. Ich habe die Wahl dem Hofgärtner überlassen. Er hätte sehr unglücklich werden können, und es ist ein seltener chirurgischer Fall. Er hatte schon in seiner Kindheit ein Bein gebrochen. Es schien vollkommen geheilt. Sehr viele Jahre gieng er darauf ohne die geringste Beschwerde. Auf einmal löste sich der Knochen wieder, an der Stelle wo er zusammengefügt war, ohne Veranlassung. Indessen wurde er zum zweiten mal geheilt. Die Aerzte glaubten, es sey noch eine Folge vom Anschwitzen. Nemlich der Gaymüller. Der Hofgärtner ist vollkommen gesund. Die Pflanzen haben den Auftrag von mir .schön zu blühen, euch am Abend geschäftsreicher Tage lieblich zu duften, und dem Garten überhaupt zu einer wahren Zierde zu gereichen. Eine davon, ich sage nicht welche, hat einen verborgenen Zauber. Sie kann reden. Wenn ich hinaufkomme wird sie mir sagen, ob ihr auch bisweilen an mich gedacht habt.

Mein Herzensgrüße im Schneegansischen Haus und Hof, bey Münz, Franz, Stöber und allen Kindern.

Herzlich Euer Freund      H.    

 

 

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Selbstmord in Berlin: vielleicht eine Anspielung auf
das tragische Ende Heinrich von Kleists und
Henriette Vogels am 20. November 1811.

Toise: Klafter.
Medea in Petersburg: Henriette Hendel-Schütz, die
ein Gastspiel in Petersburg absolvierte.

Gaymüller: nicht zu ermitteln.

 

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