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AN SOPHIE HAUFE

   

[16. August 1810]     

O Frau Gevatter!
Ich werde täglich matter.
— Gelogen! Mir strahlt das Auge voll Klarheit
Gesunder und lustiger war ich noch nie.
Nicht ich log, sondern die Poesie.
Nicht immer verträgt sich der Reim und die Wahrheit.
O Frau Gevatter!
Was ist der Mensch, und was hat er,
Wenn er nicht einmal die Worte soll reimen
Wahrheit hin oder her
Wo im Leben so schwer
Die Ungereimtheiten keimen.
Den Dichtern darf man in allem trauen,
Darf Felsen auf ihre Verse bauen
Nur in den lezten Worten der Zeilen nicht.
Denn eigentlich dort ligt das wahre Gedicht
Wer vorher weiß, was er sagen will,
und hält nicht des Reimes Leitungen still
der bleib auf der Landstraß und reime nicht.
Mir scheinen die lezten Worte der Zeilen
für den denkenden Leser die wahren Meilen-
zeiger zur Höhe des Liedes, der steilen.

Doch ich vergeße, liebe Frau Sophie, daß ich Ihnen klüger in Prosa schreibe, weil ich noch die Abschrift einer verlohren gegangenen poetischen Epistel beilegen will. Denn man muß des Guten nie zuviel auf einmal geben. Die eine von beiden würde nach Ihrem feinen Urtheil die bessere seyn, und das wäre mir leid für die schlechtere. Denn es ist mit den Versen, wie mit den Kindern. Die ungerathcnen sind gewöhnlich die Liebsten. Der Himmel lasse Ihr Neugcbohrenes recht wohl gerathen, erstlich um sein selbst willen, und zu euerer Freude, zweitens aber und vornehmlich um meiner Pathe willen, damit das kleinere nicht lieber werde. Sonst müßte ich wahrhaftig aus treuer Pathenpflicht dem ältern ein par Unarten anzugewöhnen suchen, und allerley curiose Grillen in den Kopf setzen, was ich doch in andern Hinsichten nicht gerne thäte.

Die Epistel schicke ich Ihnen blos zu meiner Legitimation nach, daß ich Ihre launige und schöne Verse gebührend honorirt habe. Denn ich hätte gerne noch viele und mehrere von Ihnen, bekomme auch viele, ich weiß es schon, wenn wir einmal im Schooß der Natur und der langen Weile auf dem Land leben. Da ich noch alle meine Briefe auswendig kann, die ich Ihnen geschrieben habe, so will ich Ihnen gelegentlich eine Abschrift von allen schicken, damit wir ins klare kommen, was Sie erhalten haben, oder nicht.

Ich muß doch ein wenig verliebt gewesen seyn in die Geliebte, wie ich iezt erst merke. Denn so lange Mad. Schönberger die Gepriesene und Bewunderte hier war, war ich sehr eifersüchtig über die Ehrenbezeugungen mit denen man ihr huldigte, und ließ es nicht gelten, daß sie schön spiele und singe. Aber in der That sie thut beides vortreflich, und ihre männliche Stimme durch weibliche Zartheit gemildert im Umfang von 19 Tönen thut in Männerrollen, die sie fast einzig spielt, außerordentliche Wirkung. Als Titus im Titus übertraf sie sich selbst. Doch Sie sehen sie vielleicht selbst, denn sie geht über Straßburg nach Paris.

Aber sind wir denn auch noch in Straßburg? Ich schließe diesen Brief zur Vorsorge an H. Schn. ein. Ich warte mit Sehnsucht auf den ersten Brief aus Ihrer neuen Sidelei, auf die schöne Beschreibung derselben, auf lauter erfreuliche und erwünschte Nachrichten von dort her. Grüßen Sie mir den Thurn und Ihre Kinder. Die Geheimniße meiner Reise weiß H. Schneeganß.

Herzlich Ihr Freund      H.              


N. S. d. 19tn. Es hat sein gutes Herr Gev. wenn man die Briefe noch ein par Tage lang ligen läßt, wenn sie geschrieben sind. Unterdessen bekam ich den Ihrigen. Das Geld für Hegi geht morgen ab. Die poetische Epistel folgt ein andermal.

H.              

 

 

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